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schadenfreudeAuslachen als aus­gleichende Gerech­tigkeit

Sie gilt als Zeichen von Neid, als bos­hafte Freude am Leid anderer. Doch besteht der schlechte Ruf der Schaden­freude zu Recht?

Ausgerechnet die hochnäsige Sandra darf dem Chef zu seinem Firmen­jubiläum die Grußansprache halten! Klar, sie sieht immer aus wie aus dem Ei gepellt, mit ihrem Chanel- und Diorlook. Wie sie im Alltag ihre Kolleginnen ausnutzt und hinter ihren Rücken lästert, kann der Chef nicht sehen. Da – jetzt schreitet sie zum Podium. Wie hoch sie ihre Nase trägt! Plötzlich stolpert sie, verliert ihren linken Schuh und die Mappe – und kracht auf den Boden. Alles grinst: Das kommt davon, wenn man den Blick nach unten vergisst.

Was gibt es Öderes als lateinische Texte vorzulesen! Nur Streber Tom meldet sich freiwillig. Er liest nicht einfach nur vor. Nein, er hat den Text aus­wendig gelernt. Voll Pathos legt er los, als sei er Caesar persönlich. Da – er verhaspelt sich! Er weiß nicht weiter. Er sucht im Buch, findet aber die richtige Stelle erst nach vier Anläufen. Setzen – vier! Alle kichern.

Nachbar Schmidt ist der Raser des Viertels. Kinder und Rad­fahrer flüchten, die übrigen Auto­fahrer weichen großräumig aus. Gestern hat die Gemeinde neben seiner Garage eine neue Straßen­laterne aufgestellt. Prompt ist er reingedonnert, als er wie immer über den Bürgersteig seine Abkürzung nehmen wollte. Ergebnis: eine Riesen­delle im rechten Kot­flügel seines Sportwagens. Die Laterne war stärker. Die ganze Straße lacht.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Das ist eines der ersten Sprich­wörter, die wir als Kind gelernt haben. Es zeigt, wie weit­verbreitet die Schaden­freude ist. Dabei ist Häme ein komplexes Gefühl. Wir müssen in der Lage sein, unsere Resultate mit den Erfolgen anderer zu vergleichen. Wir müssen uns in die Situation des anderen hinein­versetzen können. Die Welt und sein momen­tanes Scheitern mit seinen Augen betrachten.

Deswegen verstehen Vorschul­kinder Schaden­freude noch nicht. Sie begreifen nicht, was da vor sich geht und schauen nur ungläubig. Doch ab sieben wird für Kinder die eigene Leistung im Vergleich zu anderen wichtig. Es entwickeln sich Konkurrenz, Streber­tum, Angeberei und Neid – ein hervor­ragender Nähr­boden für Schaden­freude.

Als Erwachsene begegnen wir vielen Kon­kurrenten gar nicht mehr persönlich. Wir kennen die Erfolg­reichen und Schönen nur noch aus Erzählungen und den Medien. Folglich leben wir auch die Schaden­freude zunehmend aus der Ferne aus. Wir freuen uns am Scheitern von Möchte-gern-Superstars und genießen allerlei Pleiten, Pech und Pannen im TV. Das Scheitern stutzt die Großen dieser Welt wieder auf ein menschliches Maß zurück.

Meist bleibt die Schaden­freude harmlos. Sie entzündet sich an kleinen Miss­geschicken. Sie erzeugen eine aus­gleichende Gerech­tigkeit, damit die Lorbeeren anderer nicht allzu sehr in den Himmel wachsen. Diese Art von Schaden­freude dürfen wir ohne schlechtes Gewissen genießen.

Anders sieht es aus, wenn aus der Schaden­freude Hass wird. Wenn der Unter­legene mit Intrigen versucht, den erfolg­reicheren Konkurrenten zu Fall zu bringen und dabei vor keiner Gemeinheit zurückschreckt. Dieser Punkt ist erreicht, wenn der bislang Unterlegene mit List und Tücke nachhilft. Wenn der Schaden nicht mehr kichernde Freude auslöst, sondern bös­artige Triumph­gefühle.

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veröffentlicht im September 2015 © by www.berlinx.de

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