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Raupen spinnen sich in einen schützenden Kokon ein, in dessen Innern sie sich in einen prächtigen Schmetterling verwandeln.
Auch unter uns Menschen wächst in letzter Zeit das Bedürfnis, Glück in den eigenen vier Wänden zu finden. EGO-Net stellt den neuen Trend vor.

In den sechziger Jahren galten Häuserbauen und Nesthockermentalität als spießig. Mit 16 weg von zu Haus und mit Rucksack bis Thailand trampen als schick. Als in den Achtzigern die Singles auf dem Vormarsch waren, vibrierten die Citys von nächtlichen Partys. Mehrmals Urlaub im Jahr, dazu mehrere Kurztrips nach Paris und London – Hauptsache ‚raus aus der Singlebude, wo einem die Decke auf den Kopf fiel, Leute kennenlernen, Spaß haben. In den Neunzigern trieb uns die Fitness nach draußen: Joggen, Radfahren, Trecking in den Bergen – bloß nicht als Couch-Potatoe vor dem heimischen Fernseher träge und fett werden!

Jetzt haben Sozialpsychologen einen neuen Trend ausgemacht: den Rückzug ins Private. Was vorher verpönt war, gilt auf einmal als Lebenskunst. Der Begriff „Cocooning“ bedeutet wörtlich „sich in einen Kokon einspinnen“ und ist zuerst von der englischen Marktforscherin Faith Popcorn gebraucht worden für den Rückzug in die eigenen vier Wände. Innenarchitekten griffen das Cocooning-Prinzip auf und bezeichnen damit ein häusliches Wohnen, das Gefühle der Ruhe und Wärme vermittelt.

Seit einem Jahr entwickelt sich aus dem einstigen Nischenkonzept ein neuer Trend. Die Terroranschlägen vom 11. September 2001 haben unsere Verletzlichkeit an den Tag gebracht. Man kann sich gesund ernähren, Sport treiben, sich rundum medizinisch betreuen lassen – und dennoch von einem Tag zum andern aus dem Leben gerissen werden. Bei den Amerikanern beobachten wir seit diesem Datum unter anderem folgenden Veränderungen:

  • Emotional Eating: Es wird soviel gegessen wie nie zuvor. Die durchschnittliche Kalorienmenge der Klienten von Ernährungsberatern soll um 30 Prozent zugenommen haben. Ein Katastrophe für die Gesundheit. Aber wen kümmert’s, wenn dich von einem Tag auf den andern eine Bombe zerfetzen kann?
  • Stress-Symptome – Schlaflosigkeit, Nervosität oder Zähne knirschen – nehmen zu. Die Zahl der Angstpatienten stieg in um vier Prozent. Die Anfälligkeit, unter Stress in Panik zu verfallen, ist gewachsen.
  • Technikphobie. Apparate gelten nicht mehr als Komfort, sondern als tödliche Falle. Das geht soweit, daß viele Amerikaner nicht mehr den Fahrstuhl benutzen, sondern die Treppe. Was Warnungen von Fitnessexperten nicht schafften, erreichten die Berichte vom World Trade Center.

Inzwischen werben immer mehr Wohnungseinrichter mit dem Schlagwort „Cocooning“, da sich mit ihm neue Käuferschichten erreichen lassen. Tapeten, Pflanzen und Möbel werden so kombiniert, daß sich Gefühle der Vertrautheit, Geborgenheit und Sicherheit einstellen. Gemütlichkeit, warme Farben, schützende Ecken und vieles mehr sollen in der Wohnung eine Wohlfühlwelt schaffen. Doch Cocooning ist längst mehr als nur ein Wohnkonzept. Es ist eine Lebenshaltung, die sich durch Einstellungen auszeichnet wie

  • Weniger Partys, weniger Ausgehen, lieber Lieferdienste der Restaurants in Anspruch nehmen
  • Wellness zu Haus: Duftkerzen, ausgedehnte Bäder, Fitnessgeräte zu Haus nutzen
  • Statt laufend neue Leute kennenlernen Beschränkung auf wenige sehr gute Freunde; neue, unverbindliche Kontakte lieber beim Chatten vom heimischen Computer aus suchen
  • Weniger Fernreisen – seit den Anschlägen in Bali, Tunesien und Moskau entwickelt sich Urlaub in der Nähe und in Privatdomizilen zur attraktiven Alternative
  • Genußvoll essen, Bücher lesen, Fernsehen, private Hobbys – alles, was man allein und in der vertrauten Umgebung tun kann, gewinnt an Beliebtheit
  • Rückbesinnung auf Treue und Familie – trotz der schlechten Erfahrung der geschiedenen Elterngeneration
  • Risikosportarten wie Bungee Jumping oder Climbing verlieren an Attraktivität, sanfte Fitness ohne Gefahren ist angesagt
  • Geld wird weniger in äußerliche, auffällige Statussymbole investiert, sondern mehr in das heimische Wohlfühlen.

Was erhoffen sich die Anhänger des Cocooning von ihrer Lebensweise? Es sind vor allem:

  • Weniger Stress: Die meisten von uns glauben, ihre Mitmenschen hätten mehr Stress als sie selbst. Das brachte eine neue Befragung an den Tag. Ein Zeichen dafür, daß man neuerdings darauf achtet, weniger Hektik an den Tag zu legen als die Kollegen.
  • Mehr Kontrolle: Fremden Anordnungen ausgeliefert sein – eine Horrorvorstellung. Für den Traum, sein eigener Chef zu sein, seinen Tag nach eigenem Gutdünken einteilen zu können, ist so mancher bereit, auf ein Spitzeneinkommen zu verzichten. Aber nicht nur im Job: auch seine Beziehungen, seine Gesundheit und die eigenen Seele unter Kontrolle zu haben, gilt als erstrebenswert.
  • Mehr Sicherheit: Auch wenn es absolute Unverletzlichkeit nicht gibt: Wer es schafft, einige Risiken zu verringern, erlebt schon einen Erfolg seines Cocooning. „So leben, als könnte jeder Tag dein letzter sein“ – diese Haltung ist out.

Für die neue Geborgenheit muß auf einiges verzichtet werden. Die Forscher beobachten unter anderem:

  • mehr Einsamkeit
  • mehr Intoleranz gegen abweichende Lebensformen, die als Gefahr für das eigene Wohl wahrgenommen werden
  • weniger soziales Engagement.

Viele sind bereit, für die neue Geborgenheit diese Nachteile in Kauf zu nehmen. Noch befindet sich das Cocooning im Stadium der Vorankündigung. In Amerika befindet sich der neue Trend seit einem Jahr im Wachsen. Wenn er mit der üblichen Verzögerung zu uns herüberschwappt, dürfte er sich ab 2003 bei uns ausbreiten. Auf der Internetseite von http://www.homeforliving.de wird Cocooning als Einrichtungskonzept für den kommenden Januar angekündigt. Anmelden können Sie sich schon jetzt.

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