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Terrorismus – ein uraltes Phänomen oder der Alte vom Berge u. A.

Sie waren der Schrecken des christlichen Abendlandes. Ihre Kämpfer nannten sich Fedajin und sie führten nach ihrem Selbstverständnis einen Dschihad, also einen heiligen Krieg, Allah zum Wohlgefallen. Ihre Morde wurden im Auftrage eines Führers durchgeführt, welcher in einer uneinehmbaren Felsenfestung irgendwo im nahen Osten saß.
Warum stehen diese Sätze im Imperfekt? Das ist doch heutige erschreckende Gegenwart.

Die Einleitugssätze beziehen sich nicht auf  Terrororganisationen von heute sondern auf Ereignisse vor fast 1000 Jahren.
Weil die Parrallelen zu den heutigen Terroranschlägen so verblüffend sind, erscheint es uns lohnend, die alten Geschehnisse noch einmal zu beleuchten.

Ihre Führer nannten sich selbst „Scheikh al Dschebl“ also Herr der Berge und die Untertanen Assassinen. Da diese Terrororganisation fast 200 Jahre existierte wurden aus den nachfolgenden Anführern eine mythische Figur welche als „Der Alte vom Berge“ tief in das Bewußtsein der Völker eindrang. Die Blutspur der Assassinen ist bis heute im kollektiven Gedächtnis unvergessen und spiegelt sich in vielen europäischen Sprachen wieder.
Zum Beispiel im englischen, französischen und italienischen heißt Meuchelmord, Attentat: „Assassinat“.
Auch der deutsche Begriff „Attentat“ geht auf die Assassinen zurück. Es erfolgte lediglich eine Lautverschiebung vom „s“ zum „t“ sowie eine Wortverkürzung, und so wurde aus „der Assassinentat“ —> „das Attentat„.

Aus psychologischer Sicht ist die Methode, mit welcher „Der Alte“ seine Gotteskrieger in ihre Selbstmordkommandos trieb, auch heute noch hochinteressant.
Folgen wir den Erzählungen des venezianischen Kaufmannes und Asienreisenden Marco Polo, dann geschah es folgendermaßen:
Der Alte vom Berge“ behauptete, als direkter Nachkomme des Propheten Mohamed, über die Gabe zu verfügen, schon als Lebender direkten Zugang zum himmlischen Paradies zu haben. Auserwählte Krieger wurden mittels Drogen in einen Rauschzustand versetzt und in einen geheimen Bereich seiner Bergfestung Alamut gebracht, in welcher Ihnen die Freuden des Jenseits kurzzeitig gewährt wurden.
Es gab Wein (für gläubige Moslems ist bekanntlich Alkohol verboten), schöne, unverschleierte Frauen, sowie Speisen, welche die spartanisch erzogenen jungen Männer noch nie gesehen, geschweige gegessen hatten.
Durch ein starkes Schlafmittel betäubt, erwachte der zukünftige Attentäter später wieder auf seiner steinigen Lagerstätte.
Sehnsucht nach diesem Paradies war danach das alles beherrschende Denken.
Die Kämpfer kannten keine Angst vor dem Tode, sondern im Gegenteil, sie lebten nur noch für dieses Ziel.
Um ganz sicher ins Paradies zu kommen, mußte nur noch für eine Allah (bzw. seinem Stellvertreter, dem Alten) gefällige Tat gestorben werden.
Während der Gründer der Sekte Hassan bin Sabbah (1090) seine Mordkommandos noch zu moslemischen Würdenträgern schickte, welche seiner Meinung nach vom wahren Glauben des Propheten abwichen, befahlen spätere Führer Morde an christlichen Fürsten die als Kreuzritter in den Orient eingefallen waren. Während dies noch den Hauch von gerechter Abwehr gegen einen feindlichen Aggressor trug, sanken die Assassinen im 12. Jahrhundert auf das Niveau von (nach heutiger Begriffdefinition) Mafiosi herab, d.h. sie erpressten an den europäischen Fürstenhöfen Schutzgelder dafür, dass sie niemanden umbrachten und drohten ansonsten mit Mord, der dann auch postwendend ausgeführt wurde.
Die Taten selbst wurden mit den berüchtigten Krummdolchen der Assassinen begangen.
Der Täter, meist noch unter 20 Jahre alt, verkleidete sich gern als Mönch oder Messdiener, und erdolchte den Fürsten oder Bischof bevorzugt in einer Kirche beim beten.
Die Täter versuchten danach nicht einmal zu fliehen, sondern ließen sich, das Paradies nahe, bereitwillig von der Leibwache in Stücke hauen.

Das Ende des Alten vom Berge und seiner Mörderbande fand 1256 statt und klingt wie eine Ironie der Weltgeschichte.
Ausgerechnet die Mongolenhorden (eines Nachfolgers) des Dschingis Khan, welche selbst eine viel tiefere Blutspur* durch Europa und Asien gezogen hatten, zerstörten quasi im vorbeigehen die Festung Alamut und machten somit dem Assassinenspuk ein Ende.

Terrorismus gibt es aber nicht erst seit dem Islam und seiner Ideologie des Dschihads.

Der erste Terrorist, der in die Geschichte einging, hieß Herostratos. Im Jahre 356 vor Christus, steckte er den Tempel der Jagdgöttin Artemis in Brand. Das war nicht irgendein Tempel, sondern eins der sieben Weltwunder, der ganze Stolz der Stadt Ephesos.
Als ihn seine Richter nach dem Grund für den Frevel fragten, antwortete er, mit dieser unerhörten Tat wolle er in die Geschichte eingehen – – was ihm, wie diese Zeilen beweisen, auch gelang, während die Namen der Erbauer des einstigen Weltwunders vergessen sind.

Sein Motiv war Geltungssucht. Da er weder durch künstlerische, philosophische oder militärische Leistungen zu Ruhm gelangen konnte, entschied er sich für das Verbrechen.

Attentate als Mittel der Politik waren also schon im Altertum verbreitet:
Judith ermordete, wie schon die Bibel berichtet, den assyrischen Heerführer Holofernes, um ihr Volk der Hebräer von der Belagerung der Feinde zu erlösen.

Angefangen von Julius Caesar fielen mehr als die Hälfte aller römischen Kaiser Mordanschlägen zum Opfer.

Bis zum Ausgang des Mittelalters galten Attentate und Terror als normales Mittel der Politik.

Erst in der Neuzeit setzte sich dank der Aufklärung die Idee durch, Herrschaft dürfe sich nicht über Menschenleben hinwegsetzen.
Im 18. Jahrhundert schafften die ersten Staaten die Folter und später auch die Todesstrafe ab.

Die Welt durch Gewalttaten Einzelner zu verbessern – dieses Programm wurde dann von Intellektuellen des 19. Jahrhunderts erdacht.
Durch Attentate sollte staatliche Macht nicht bloß verändert, sondern zerstört werden. Diese Theorie des Anarchismus stammt von dem englischen Pfarrer William Godwin (1756-1836), dem französischen Sozialisten Pierre Joseph Proudhon (1809-1865), dem deutschen Philosophen Max Stirner (1806-1856) und dem Russen Michail A. Bakunin (1814-1876).
Ihre Zielgruppe fanden die Anarchisten stets in der zur jeweiligen Zeit mächtigsten Oppositionsbewegung. Lange Zeit war das der Sozialismus, deshalb stammten die meisten Terroristen lange Zeit vorrangig aus der linken Ecke.
Nach dem Zusammenbruch des Weltkommunismus entwickelte sich der Islam zur stärksten antiwestlichen Ideologie. Deshalb berufen sich gewalttätige Weltverbesserer heute zunehmend auf Mohammed und Allah, womit sich der Kreis zu den Assasinen schließt.
(Einige Nationalisten, Rechtsradikale und manche religiöse Sekten greifen seit den 90er Jahren ebenfalls zum Mittel des Terrorismus.)

Der moderne Terrorismus lebt nicht zuletzt von der Aufmerksamkeit, die er erzielt.
Herostratos Motiv ist in unserer heutigen Mediengesellschaft lebendiger denn je. Große Gangster wie Al Capone sind mindestens ebenso berühmt wie Albert Einstein, ihre Taten werden häufiger verfilmt als die Leistungen bedeutender Wissenschaftler – der Nervenkitzel ist größer.
Michail Gorbatschow sagte 2001 in einem Interview, als er die BILDER von den ins World Trade Center stürzenden Flugzeugen sah, glaubte er zuerst, einen Hollywoodschocker zu sehen. Seit den 60er Jahren erzählen uns James-Bond-Filme, daß kleine, nichtstaatliche Organisationen, geleitet von einem reichen Fanatiker wie Dr. No, durchaus die Weltmächte in Angst und Schrecken versetzen können.
Videos von Terroranschlägen und Hinrichtungen erreichen in kürzester Zeit Rekordklickzahlen auf Internetportalen.

Auch Terroristen haben Internet und  gehen ins Kino!

Veröffentlicht im November 2001 (2015 überarbeitet) © by www.berlinx.de

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