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Wie mächtig ist Ihr „Mit-mir-nicht!“-Gefühl?

Wie oft beharren Sie auf Ihrem Standpunkt, obwohl sie sich das Leben leichter machen könnten, indem Sie einfach nachgeben? „Bis hierher und nicht weiter“ – dient der Stolz unserem Selbstschutz oder schadet er uns eher?

Als Martin Luther 1521 in Worms vor dem Kaiser seiner Lehre abschwören sollte, rief er: „Hier stehe ich! Ich kann nicht anders.“

Stolz ließ Ketzer den Widerruf verweigern, Genies wie den Dichter Puschkin im sinnlosen Duellen sterben – und schickt heute Selbstmordattentäter in den Tod. Bis heute appellieren Regierungen an den Nationalstolz, um Kriege zu entfesseln. Diese Beispiele zeigen: Stolz ist eines der mächtigsten Gefühle überhaupt. Er hat Millionen in den Tod geschickt, aber auch zu Widerstand gegen mächtige Diktaturen ermuntert.

Auch in unserem Alltag kann der Stolz Stärke geben und Unheil anrichten. Wie verhalten Sie sich in folgenden Situationen:

  • Ihr Chef piesackt Sie Tag für Tag mit kleinen Gemeinheiten. Beißen Sie die Zähne zusammen oder kündigen Sie erhobenen Hauptes – obwohl Sie keinen neuen Job in Aussicht haben?
  • Eine Freundin hat Ihnen 5000 Euro geliehen, aber nun reibt sie Ihnen ständig unter die Nase, dass Sie Ihre Schuldnerin sind. Schlucken Sie Ihren Ärger hinunter oder nehmen Sie einen teuren Kredit auf, um Ihr das Geld vor die Füße werfen zu können?
  • Ihr Partner lässt häufig seine schlechte Laune an Ihnen aus und beteiligt sich nicht mehr an der Hausarbeit. Tolerieren Sie sein liebloses Verhalten oder setzen Sie ihn stolzerhobenen Hauptes vor die Tür – auch mit dem Risiko, allein zu bleiben?

Der Stolz ist der letzte weiße Fleck auf der Landkarte unserer Gefühle. Es gibt zahlreiche Studien über Glück, Trauer und Ängste – doch der Stolz blieb weitgehend unerforscht. Angst, Traurigkeit, Überraschung, Ekel, Ärger und Freude gelten seit 50 Jahren als Basisemotionen, die an angeborenen Gesichtsausdrücken zu erkennen sind. Erst 2007 fanden Forscher der USA und Kanada heraus, dass dies auch für den Stolz zutrifft. Weltweit erkennen schon Kleinkinder die Kombination folgender Körpersignale als Ausdruck von Stolz:

  • leichtes Lächeln
  • erhobener Kopf und gestreckte Körperhaltung
  • die Hände an die Hüften gelegt.

Stolz ist Ausdruck von Selbstachtung. Verletzter Stolz beeinträchtigt die Stabilität der Persönlichkeit. Deshalb wehren wir uns heftig. Doch woher wissen wir, wann der Stolz angegriffen wurde und wann nicht? Es gibt dafür kein objektives Maß: Was den einen tief verletzt, lässt seinen Nachbarn kalt. Der Stolz scheint von folgenden Faktoren beeinflusst zu werden:

Status. Werde ich schlechter behandelt, als es meinem Status entspricht, fühle ich mich angegriffen: Als Chef wie ein Laufbursche abgekanzelt. Als zahlungsbereiter Kunde wie ein lästiger Bittsteller abgewimmelt. Als Experte wie ein ahnungsloser Laie belehrt.

Soziale Anerkennung. Jeder erwartet, in seiner Umgebung geachtet, gehört und akzeptiert zu werden. Wer sich als Außenseiter missachtet sieht, reagiert mit verletztem Stolz – entweder durch Gegenwehr oder indem er sich in seiner Sonderrolle der Masse überlegen fühlt.

Leistung. Wer Erfolg hat oder etwas Außergewöhnliches zustande bringt, empfindet Stolz. Auch dann, wenn die soziale Anerkennung ausbleibt. Wird meine Leistung von anderen geleugnet oder sammelt ein Fremder das Lob ein, ist mein Stolz verletzt.

Verletzter Stolz reizt zu spontaner, unüberlegter Gegenwehr. Vorsicht, Manipulationsgefahr! Ihr Gegenüber kann mit Sticheleien Ihren Stolz reizen und Sie zu Äußerungen verleiten, die er Ihnen dann ewig vorwerfen kann.

Nehmen wir ein scheinbar harmloses Alltagsbeispiel. Die Tagesschau berichtet über ein neues Gesetz. Ihr Partner findet es vernünftig, Sie halten es für Unfug. Da sagt er: „Kannst du das denn überhaupt beurteilen?“ Sie antworten spontan: „Offenbar besser als du!“ Von nun an sagt er ständig: „Ich weiß, du hältst dich für klüger als ich …“

Wie können Sie Ihren Stolz schützen, ohne sich eine Blöße zu geben? Sehen Sie sich folgende Beispiele an.

  • Ihr Chef sagt: „Na, das hätte ja sogar meine vierjährige Enkelin besser hingekriegt!“
  • In einer Diskussion entgegnet Ihnen jemand: „Wer so denkt, sollte gar nicht mitreden dürfen.“
  • Ihr Partner sagt: „Hast du denn gar kein Einfühlungsvermögen?“

Die Versuchung ist groß, mit einer scharfen Erwiderung das Feuer anzuheizen. Doch es gibt eine viel elegantere Variante, die immer funktioniert. Gewöhnen Sie sich an, bevor Sie zurückschlagen, folgende Frage zu stellen: „Warum sagst du das?“

Das zwingt Ihr Gegenüber, seinen Angriff zu begründen. Egal, was er Ihnen antworten wird – er muss sich nun verteidigen. Ihr Stolz bleibt unverletzt. Aus seiner Antwort picken Sie sich nur die sachlichen Argumente heraus und diskutieren darüber. Bringt er keine, können Sie genüsslich nachfragen: „Hast du auch sachliche Gründe für deinen Angriff?“

Behalten Sie die Rolle eines Fragenden bei, solange Sie sich angegriffen fühlen. Dadurch zwingen Sie den andern, Farbe zu bekennen und selbst Angriffsflächen preis zu geben. Sie schützen damit nicht nur Ihren Stolz, sondern hüten sich auch, den Stolz Ihres Gesprächspartners (versehentlich oder absichtlich) zu verletzen. Verletzter Stolz reizt zu hinterhältigen Racheakten. So groß der momentane Triumph auch sein mag, es dem andern mal richtig gegeben zu haben – die Genugtuung ist kurz. Kränkung und Rachegelüste dagegen dauern oft über Jahre an.

Veröffentlicht im September 2007 © by www.berlinx.de

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