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Wenn sich wichtige Lebensentscheidungen nachher als falsch erweisen

Man lebt nur einmal – mit fataler Konsequenz. Wir haben keine Chance auf ein zweites Dasein, in dem wir alle Irrtümer des ersten Versuchs vermeiden können. Einmal falsch abgebogen und schon ist der Lebenslauf verpfuscht. Oder?

Jana ist Krankenschwester. Wegen der sinkenden Geburtenrate wurde ihre Kinderklinik geschlossen. Man bot ihr eine Stelle an in einer neu eröffneten Kinderpsychiatrie. Sie griff zu – und seitdem besteht ihre Hauptaufgabe darin, verhaltensgestörte Rabauken im Teenageralter zu bändigen. Von Krankenpflege und dankbaren Patienten keine Spur. Schon einige Male kam sie in gefährliche Situationen. Seitdem geht sie mit Angst zur Arbeit.

Bevor ihre alte Klinik zumachte, hatte Jana einige Jobangebote in anderen Städten ausgeschlagen. Heute fragt sie sich, ob sie nicht beizeiten woanders hätte neu anfangen sollen. Sie steht mit diesen Überlegungen nicht allein. Knapp jede(r) Dritte bereut frühere Berufs- und Karriereentscheidungen. Andere hadern mit sich, weil sie den/die Falsche(n) bevorzugt und den/die Richtige(n) abgewiesen haben. Ja, wenn man die Möglichkeit hätte, verschiedene Varianten erst auszuprobieren und sich dann zu entscheiden!

Der Schweizer Dramatiker Max Frisch erprobte diesen Wunschtraum in seinem Stück „ Biographie. Ein Spiel “. Sein Held Kürmann bekommt nach seinem Tod eine zweite Chance. Er wird gefragt, von wo ab sein Leben verkehrt lief. Er darf an dieser Stelle noch einmal anfangen und alles anders machen. Das ironische Ergebnis der zweiten Chance: Diesmal läuft es für Kürmann noch schlimmer.

Lange galt das Ausdenken von alternativen Lebenswegen als nutzlose Grübelei . Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, fertig! Heute nehmen die Psychologen Bedauern, Reue und Träume von einem andern Leben ernst. Es kommt darauf an, nicht bei Jammern und Klagen stehen zu bleiben. Sondern vom Nachdenken zu konstruktiven Schritten zu gelangen.

Schritt 1: Für und Wider alternativer Szenarien durchdenken. Wenn der gewählte Weg nicht alle Hoffnungen erfüllte, heißt das nicht, ein anderer Weg hätte wirklich mehr Glück gebracht. Schließlich hatten Sie damals Gründe, warum Sie sich für den ersten Weg entschieden. Wenn Sie heute Weg Zwei bevorzugen würden – überlegen Sie, welche Chancen, aber auch welche Risiken Sie einplanen müssten.
Wären Sie damals auf die Schauspielschule gegangen – vorausgesetzt, man hätte Sie genommen – heißt das nicht automatisch, Sie spielten heute die Rollen von Veronika Ferres oder Til Schweiger. Sie könnten auch in einem kleinen Provinztheater vor halbleeren Rängen in Nebenrollen auftreten. Oder gar Stammkunde im Arbeitsamt sein und auf den Job umgeschult werden, den Sie im wirklichen Leben schon ausüben.
Das gilt auch für fremde Entscheidungen, deren Opfer Sie wurden. Zum Beispiel, wenn Ihre große Liebe Sie verlassen hat. Hätten Sie sie aufmerksamer behandelt und sie wäre geblieben – die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die gleiche (oder eine andere) Krise später viel dramatischer eingetreten wäre. Denn Sie beide wären ja die gleichen Persönlichkeiten geblieben, mit den gleichen Unverträglichkeiten.

Schritt 2: Die zweite Chance ergreifen. Wenn Sie sicher erkennen, dass Sie an einem Kreuzweg falsch abgebogen sind, müssen Sie nicht unbedingt den ganzen Weg zurücklaufen. Oftmals gibt es eine Abkürzung – querfeldein zum richtigen Weg. Auf Ihren Lebenslauf übertragen heißt das: Welche Möglichkeiten gibt es, sich dem Traumjob als Quereinsteiger anzunähern? Welche Ausbildungen lassen sich nebenbei nachholen? Aus Ehen, sicheren Routinejobs oder kreditbelasteten Eigenheimen zu fliehen, ist ein Risiko und verlangt Opfer.
Studien zeigen: Langfristig bereuen wir Dinge, die wir unterlassen haben, stärker als eingegangene Wagnisse, an denen wir scheitern. Allein die gelungene Selbstüberwindung liefert einen Energieschub für die Seele, der Sie mit guten Gefühlen belohnt. Sie müssen nicht wieder bei Null anfangen. Fast immer können Sie Errungenschaften Ihres alten Lebens in das neue hinüberretten.
Dazu kommt: Zufriedenheit hängt nur zur Hälfte von äußeren Bedingungen ab. Die andere Hälfte gewinnen Sie aus sich selbst. Die Glücksgefühle nach dem Sprung über den eigenen Schatten können also Verluste an Gütern und alten Sicherheiten ausgleichen.

Schritt 3: „Gereifte“ Alternativen wählen. Versuchen Sie nicht, die alten Träume eins zu eins nachzuholen. Sie haben sich seit damals verändert. Die Erfahrungen, die Sie auf dem falschen Weg gemacht haben, sind nicht spurlos an Ihnen vorübergegangen. Daher ist meist die Enttäuschung vorprogrammiert, wenn man lediglich die alte Liebe wieder beleben will. Denn auch sie hat sich weiterentwickelt – und wahrscheinlich in eine anderen Richtung als Sie. Sie wird kaum noch dem Menschen ähneln, den Sie in Ihrer Erinnerung bewahren. Verwirklichen Sie Ihre alten Träume in einer Form, die Ihrem heutigen Ich entsprechen.

Unser Lesetipp:
Neal Roese: Ach hätt’ ich doch! Wie man Zweifel in Chancen verwandelt. Eichborn Verlag, € 17,90.

Veröffentlicht im August 2007 © by www.berlinx.de

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