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Schreien, Faust auf den Tisch hauen, Vasen zu Boden werfen – Wut ist zerstörerisch. Aber sie erleichtert auch das überkochende Gemüt. Was ist gesünder: Dem Zorn freien Lauf zu lassen oder sich mühsam zu beherrschen?

Lange hat sich der Ärger angestaut – aber dann bricht er sich Bahn in einem Wutanfall: Wer hat nicht schon mit Erstaunen friedliche Zeitgenossen beobachtet, die aus heiterem Himmel plötzlich losbrüllen? Die eigene Wut erscheint dagegen meist erklärlich und gerechtfertigt – auch wenn dabei harte Worte fallen. Warum reagieren wir manchmal mit rasendem Zorn?

Wut ist eine unserer angeborenen Basismotionen. (Die anderen sind Traurigkeit, Angst, Freude, Überraschung, Ekel und Stolz.) Doch wie leicht und unter welchem Umständen wir wütend werden, hängt auch von Erziehung und Erfahrung ab. Wer eine Kränkung erfuhr, wird später in vergleichbarer Lage wieder empfindlich reagieren. Außerdem spielt die Persönlichkeit eine Rolle. Schon die Antike unterschied das leicht erregbare cholerische und das ruhige phlegmatische Temperament.

Wut ist keine Erfindung des Menschen. Viele Tiere reagieren wütend, wenn ein Artgenosse in ihr Territorium eindringt. Unseren Vorfahren lieferte sie die nötige Energie, um sich gegen Feinde und andere Bedrohungen zur Wehr zu setzen. Damals war sie aber eine Ausnahmereaktion. In unserer heutigen, stressreichen Welt besteht die Gefahr, ständig von Ärger übermannt zu werden. Manchem erscheint die Mitwelt wie eine riesige, feindliche Verschwörung. Das mag angesichts der Ohnmacht des Einzelnen gegenüber Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und politischer Willkür verständlich sein. Doch wer den Ärger persönlich nimmt, neigt zur Überreaktion, oft an Personen, die nur zufällig ins Blickfeld geraten. Und dann droht Gefahr – selbst wenn es ohne Handgreiflichkeiten abgeht. Denn Wut löst eine Stressreaktion aus. Sie treibt den Blutdruck in die Höhe, schüttet Adrenalin aus, erhöht die Muskelanspannung, schädigt auf Dauer Herz und Blutgefäße. Wer permanent unter Druck steht, hat ein erhöhtes Infarkt- und Schlaganfallrisiko.

Also den Ärger in sich hineinfressen? Das wäre ebenso verkehrt. Die Wut schwelt im Innern weiter und macht sich irgendwann in einem Riesenkrach Luft – oft aus nichtigem Anlass. Das betrifft meist Frauen. Männer haben weniger Probleme, ihren Ärger sofort herauszubrüllen.

Wut unterliegt einem Lernprozess. Sie schaukelt sich hoch. Wer seiner Wut freien Lauf lässt – egal, ob in offenen Ausbrüchen oder beim heimlichem In-sich-hineinfressen – verstärkt im Laufe der Jahre seine zornigen Empfindungen. Es lohnt daher, sich eine Reaktion anzugewöhnen, die Konflikte klärt und die Wut mindert:

Meinungsverschiedenheit statt Feindschaft. Auf die Palme gehen, ist zunächst sehr bequem. Es erspart einem, über die Gründe nachzudenken. Warum ärgere ich mich so? Warum hat der andere bei mir einen empfindlichen Punkt getroffen? Bin ich überhaupt gemeint, oder will er nur seinem allgemeinen Frust Luft machen? Solche grundsätzlichen Überlegungen in einer ruhigen Minute helfen zu mehr Gelassenheit. Tritt mir einer in der U-Bahn auf den Fuß, ärgere ich mich über den Rüpel. Trete ich selbst jemanden, war es nur ein Versehen. Was hindert mich, den „Angriff“ des anderen auch als Versehen zu bewerten?

Geduldssekunden. Wenn sie losplatzen wollen, halten Sie einen Moment die Luft an. Meist reagieren wir übertrieben, weil wir spontan loswüten – wir reagieren stark, weil der Angriff überraschend kam. Warten Sie drei Sekunden ab. Versuchen Sie, die Lage erst einmal richtig einzuschätzen. Oft mildert sich dann Ihr Urteil. Wenn nicht, können Sie nach den drei Sekunden immer noch loswettern.

Gefühle aussprechen statt ausleben. Ob man seine Wut verbal oder eher nonverbal (Brüllen, Dinge werfen, Zuschlagen) äußert, ist eine Frage der Gewohnheit. Doch oft ist dem Gegenüber nicht klar, warum Sie überhaupt loswüten. Das können Sie nur mit Worten mitteilen. Je klarer, desto besser. Am besten in Form einer Ich-Botschaft, in der Sie Ihre Gefühle mitteilen: „Ich bin stinksauer, weil …“

Selbsterkenntnis. Erinnern Sie sich: Wie oft haben Sie Ihre spontanen Wutausbrüche später bereut? Wann haben Sie angemessen reagiert? Leiten Sie daraus für sich eine passende Strategie für die Zukunft ab.

Und wenn mein Gegenüber einen Wutanfall bekommt? Wie verhalte ich mich da am besten?

Das Wichtigste: Nicht zurückbrüllen! Sonst schaukelt sich der Krach hoch. Fragen Sie lieber nach: „Womit genau bist du nicht einverstanden? Und warum?“ Auch wenn seine Worte Sie zum Widerspruch reizen – hören Sie geduldig zu. Wenn Sie eine ausufernde Diskussion vermeiden wollen, widersprechen Sie nicht. Sie brauchen auch nicht zuzustimmen. Sagen Sie statt dessen: „Danke, dass du mir deine Meinung gesagt hast. Lass mich eine Weile darüber nachdenken.“

Mit dieser Reaktion nehmen Sie dem Wütenden den Wind aus den Segeln. Sie gewinnen bei ihm damit in wenigen Minuten mehr Anerkennung, als wenn Sie stundenlang über die Berechtigung seiner negativen Gefühle diskutieren.

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Veröffentlicht im September 2007 © by www.berlinx.de

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