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Sind Sie immun gegen Reklame?

Schalten Sie genervt weg, wenn im Fern­se­hen der Wer­be­block be­ginnt? Fra­gen Sie sich man­chmal, für wen die Fir­men ihre teu­ren Wer­be­bud­gets aus­geben?
Wir haben die Antwort.

Georg sieht mehrere Stunden am Tag fern. Er weiß genau, dass ein Werbe­block ungefähr sieben Minuten dauert. Sobald die Unter­brechung beginnt, schaltet er konsequent auf einen werbe­freien Sender um oder geht auf Toilette. Er ist sich sicher, seit Jahren keinen voll­ständigen Werbe­spot mehr angeschaut zu haben. Verhält sich nicht jeder vernünftige Mensch wie er? Falls ja, warum kommt die Werbe­wirtschaft nicht endlich zur Einsicht, dass all das Geld für ihre Kurz­filmchen zum Fenster hinausgeworfen ist?

Für Georgs Ansicht sprechen einige Fakten. Was eine Werbe­minute im Fernsehen kostet, hängt von der Einschalt­quote der Sendung ab. Sie wird in rund fünf­tau­send­sechs­hun­dert Muster­haushalten ermittelt. Dort wird aber nur gemessen, welche Sendung gerade in den Fernseh­geräten läuft. Ob auch tatsächlich jemand zuschaut, weiß niemand. Es kann also sein, dass die gesamte Familie während der Werbe­unter­brechung Scrabble spielt und erst zum spannenden Spielfilm wieder Augen und Ohren dem Bildschirm zuwendet.

Ein zweiter Fakt: Werbung hat ein negatives Image. Die Mehrzahl der Zuschauer fühlt sich genervt von den langen Unter­brechungen, die die Haupt­sendung unnötig in die Länge zieht. Ein Film von zwei Stunden kann sich mit Werbung bis auf zwei­einhalb Stunden ausdehnen. Werbung kann auf diese Weise das Gegenteil des Beabsichtigten erzeugen: Abneigung statt Interesse. Die Zwangs­zuschauer meiden das Produkt, das sie am Vorabend an der spannendsten Stelle aus dem Film gerissen hat.

Also sinnlos verpulverte Millionen? Durchaus nicht. Der verärgerte Zuschauer übersieht, mit welch raffinierter Strategie ihn die Spezialisten überlisten:

Bekannte Marken. Wir müssen die Werbe­filme nicht unbedingt anschauen. Es genügt zu wissen, welche Marken im Fernsehen ständig durch Spots vertreten sind. Wenn wir ein Auto, Fernseher oder Wasch­mittel kaufen wollen, neigen wir dazu, bekannte Marken zu bevorzugen. Bekannt wurden sie durch Dauer­präsenz in der Werbung.

Markenimage. Werbefilme vermitteln ein bestimmtes Marken­image. Dass deutsche Autos als Spitzen­qualität mit höherem Preis, japanische Autos als preiswert und solide gelten, ist eine Folge geschickter Dauerwerbung. So etwas beeinflusst unser Denken und Fühlen der Nation, auch wenn wir selbst jene Werbung nicht anschauen.

Höherer Preis. Was in der Werbung präsent ist, kann teurer verkauft werden. Denken Sie an die bekanntesten Marken­waschmittel. Sie kosten rund ein Drittel mehr als die gleich­wertigen No-Name-Produkte. Trotzdem werden sie gekauft, allein aufgrund der Werbe­versprechen. Mit dem höheren Preis holen die Firmen locker ihre zusätzlichen Werbe­ausgaben wieder herein. Zugleich gelten sie als „was Besseres“.

Identifikation. Werbefilme finden ihre eigene Fan­gemeinde. Das sind häufig Teenager, die sich mit Marken­namen identifizieren. Sie legen Wert darauf, dass die Marke­namen auf T-Shirts, Handys und Sneakers zu lesen sind. Sie nutzen Marken, um ihre Individualität auszudrücken.

Merkeffekt. Auch wer Werbung im TV wegschaltet, weiß, was er wegschaltet. Fragt man Werbe­muffel, welche Firmen ihrer Meinung nach in den Werbe­pausen ihre Botschaften verbreiten, zeigen sie sich erstaunlich gut informiert. Hinzu kommt eine Eigenheit unseres Gedächtnisses, die sich Werber zunutze machen. Wir vergessen zuerst die Quellen unserer Information, während wir den Inhalt noch lange im Kopf behalten. Kurz, was wir über Autos oder Computer noch wissen, stammt zum Teil aus Werbung – was uns längst entfallen ist. Mit der Zeit vergessen wir auch unsere kritische Abneigung gegen diese Art von Information.

Meinungsführer. Viele Werbung wirkt über Umwege. Wir haben die Spots nicht selbst gesehen und hören die Botschaft dennoch, weil Freunde in ihren Gesprächen über Produkte ihr Werbe­wissen einfließen lassen. Sie erzählen uns, welche Autos solide sind und welche ständig in die Werkstatt müssen – selten aufgrund eigener Erfahrung. Was Freunde uns erzählen, glauben wir eher als direkte Werbe­­botschaften.

Händlereffekt. Wonach entscheiden Kauf­häuser und Super­märkte, welche Marken sie in ihr Sortiment aufnehmen? Vor allem nach dem Werbe­aufwand, den die Hersteller betreiben. Wer für sein Produkt wirbt, wirbt zugleich kostenlos für den Händler, der das Produkt in seine Regale stellt. Eine Marmelade, die nicht im Supermarkt auftaucht, werden wir nicht kaufen.

Es ist also ziemlich egal, ob Georg Werbung schaut oder nicht. Die Netzwerke der Wirtschaft sorgen dafür, dass ihre Botschaft auch sein Kauf­verhalten bestimmt.

Georg kann gegensteuern:

  • Konsequent No-Name-Produkte kaufen.
  • Kaufentscheidungen nur nach tatsäch­lichem Bedarf und objektiven Produktin­formationen treffen.
  • Die Vorauswahl der Händler umgehen durch Prüfen der kompletten Angebots­palette im Internet.

Das kostet Zeit und Auswand. Statt zu sagen „Mich kann Werbung nicht erreichen“ ist es klüger, die Art unserer Abhängigkeit anzuerkennen. Nur wer sich bewusst macht, was seine Einkäufe beeinflusst, kann sich vor den Folgen der allgegen­wärtigen Verführung schützen.

Lesen Sie bei uns auch:
Die kluge Hausfrau rät … (I) Grundlagen der Werbepsychologie
Die kluge Hausfrau rät … (II) Werbepsychologie in der Praxis
I’m the greatest Wie werbe ich erfolgreich für mich selbst

veröffentlicht im Januar 2014 © by www.berlinx.de

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