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Wenn Singles älter werden

Wenn von Alleinlebenden die Rede ist, sprechen die Medien fast immer von „jungen“ Singles und meinen die Altersgruppe von 20 bis maximal 45. Die meisten Solisten gibt es aber unter den über 60jährigen. Ungebunden sein – in der Jugend eine Lust, im Alter eine Last? 

Jung und arbeitssüchtig oder jung und beziehungsgestört – so beschreiben die Medien die Singles. Und manchmal auch diese sich selbst. Doch 40 Prozent der Alleinlebenden sind über 65. Und die Motive und Gründe für das Einzeldasein sind weitaus vielfältiger, als es griffige Kurzformeln vermuten lassen. Immerhin hat sich die Zahl der Einzelgänger in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt auf mittlerweile über zwölf Millionen in Deutschland. In vielen Großstädten gibt es längst mehr Singlehaushalte als Familien.

Wer in jüngeren Jahren allein lebt – egal, ob gezwungenermaßen oder durch freie Entscheidung – betrachtet sein Solodasein als vorübergehende Phase. Mehr als 90 Prozent wollen „irgendwann einmal“ eine feste Dauerbeziehung. Denn die Vorteile ihrer Lebensweise – Unabhängigkeit, Flexibilität, Mobilität, viel Zeit für eigene Interessen, niemandem Rechenschaft ablegen müssen – scheinen sich in ihr Gegenteil zu verkehren, wenn das Alter naht. Als Rentner auf sich gestellt sein, alles allein organisieren und erledigen müssen, am Ende alt und krank in ein Pflegeheim abgeschoben zu werden – ein grausige Vorstellung! Da erscheint auch dem überzeugtesten Solisten der Hafen der Ehe als sichere Zuflucht vor einer erbarmungslosen, von Jugendlichkeit dominierten Welt.

Leider sind Beziehungen keine Garantie gegen ein einsames Alter. Angenommen, die Altersehe hält: Einer der Partner stirbt zuerst (infolge der kürzeren Lebenserwartung meist der Mann) und läßt den andern als Single zurück. Und wie viele Verheiratete fühlen sich in der Zweisamkeit einsam! Doch wer lange allein lebte, eignet sich ohnehin kaum für eine späte Partnerschaft. Mit jedem solo erlebtem Jahr sinkt die Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft. Wer im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Alltagsritualen, Hobbys und charakterlicher Eigenheiten als Ausdruck seiner Individualität kultiviert hat, wird sich schwer tun, seine Lieblingsgepflogenheiten für eine(n) Fremde(n) aufzugeben, der/die einem mit mindestens ebenso vielen festgefahrenen persönlichen Macken gegenübertritt – die mit den eigenen unvereinbar sind. Singles pflegen ihre Individualität vor allem in folgenden Lebensbereichen:

Die Wohnung als Spiegel des Charakters. Der Zwang zur klassischen Teilung in Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer entfällt. Karrierebewußte, die ihr Leben nach außen verlagern, nutzen sie funktionell als Schlafplatz, Abstellräume und Büro. Die übrigen investieren viel Zeit und Ideen, um ihr Heim liebevoll zu gestalten, da sie dort viele Stunden allein verbringen, sich darin geborgen fühlen wollen.Ausgeprägte Freundeskreise, die mit ausführlichen Telefonaten, Einladungen und gegenseitiger Hilfe gepflegt werden.

Beruf und Karriere sind oft der zentrale Lebensinhalt, nach denen sich die gesamte Lebensführung richtet.

Streben nach Selbstverwirklichung durch aufwendige, möglichst kreative Hobbys, zum Teil in Gruppen Gleichgesinnter. Im Kommen ist die Kommunikation via Internet.

Alleinerziehende nehmen oft große persönliche Opfer für eine enge Bindung an ihre Kinder in Kauf. Ein neuer Partner darf dann häufig nur die zweite Geige spielen.

Wo Freunde oder eigene Kinder fehlen, nimmt oft ein Haustier die Rolle eines Ersatzpartners ein.

Singles (zunehmend auch die Männer) pflegen eine gezielt Selbstdarstellung. Ob ihre Lebensgestaltung gelingt, hängt von ihrer Kontaktfähigkeit ab. Deshalb sucht man sich als attraktive und interessante Persönlichkeit zu präsentieren. Eine Menge Zeit, Geld und Kraft wird in Fitness, Kosmetik und den individuellen Kleidungsstil investiert.

Viel hängt von der eigenen Aktivität ab. Für junge Leute kein Problem. Und im Alter? Wie werden die Einzelgänger leben, wenn sie 60, 70 und älter werden? Ein Blick auf die heute einzeln lebenden Pensionäre lehrt, daß es faktisch keine Altersgrenze für das Singledasein gibt. Nur ein Minderheit (unter 10 Prozent) werden Pflegefälle. Das heißt die allermeisten können – wenn auch zum Teil unter Einschränkungen der gewohnten Lebensführung – sehr wohl für sich selbst sorgen. Darüber hinaus genießen die heute 20- bis 40jährigen Singles im Vergleich zu ihrer Elterngeneration einen großen Vorteil. Sie werden als Singles gemeinsam einsam sein. Das heißt in zwanzig Jahren wird jede(r) alleinlebende Sechzigjährige auf Millionen Gleichgesinnte treffen, die auf der Suche nach Abwechslung, Erlebnissen und neuen Kontakten sind. Für diese Szene werden sich Angebote und neue Formen des Zusammenlebens entwickeln, die teilweise heute schon erprobt werden. Ein Beispiel sind alleinlebende Rentner, die gemeinsam ein Wohnhaus gekauft haben, mit separaten Wohnungen und Treffs für alle. Die Bewohner führen ihr eigenes Leben, aber halten regelmäßig Kontakt und erweisen sich untereinander auch kleinere Hilfs- und Pflegedienste.

Alleinleben im Alter ist also kein Fluch, sondern ein Ausdruck modernen Lebensgefühls am Ende des 20. Jahrhunderts. Damit es gelingt, sind allerdings die Ideen und die Initiative der Singles gefragt. Wer frühzeitig einen entsprechenden Lebensstil entwickelt, wird auch im Alter noch die Vorzüge von Selbständigkeit und Eigenverantwortung genießen können.

Als weiterführende Literatur zu den vielfältigen Aspekten des Single-Daseins in jedem Alter empfehlen wir: Frank Naumann: Solo in die Jahre kommen. Auch Singles werden älter. Rowohlt Taschenbuch. Reinbek 1997.

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