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Warum es lohnt, die Welt rosarot zu sehen

Die Dinge so sehen wie sie sind – ungeschönt – das gilt als Zeichen geistiger Reife. Aber es macht nicht unbedingt glücklich. Die Glücksforschung zeigt: Ein paar Illusionen können durchaus das Leben verschönern.

Lassen Sie eine Gruppe vierjähriger Kinder zu einem Wettlauf gegeneinander antreten. Fragen Sie vorher jedes Kind, wer wohl gewinnen wird. Alle werden überzeugt ausrufen: „Ich!“

Ein paar Jahre später ist der naive Optimismus verschwunden. Die Kinder wissen nun genau, dass der bloße Siegeswille nicht reicht. Sie wissen, dass vermutlich der den Sieg davon tragen wird, der auch bei früheren Wettläufen schon der Schnellere war. Das realistische Einschätzen der eigenen Möglichkeiten gehört zum Erwachsenwerden dazu. Nur so sind wir in der Lage, den passenden Beruf zu wählen und mit unserem Gehalt auszukommen.

Doch die meisten von uns werden nie 100-prozentige Realisten. Wir bewahren einen Teil unserer kindlichen Illusionen. Das macht uns liebenswerter als nüchterne Rechner. Es hilft uns auch, Krisen zu meistern und in der Alltagsroutine Glücksmomente auszuspüren. Dafür gibt es vier wichtigste Gründe:

  1. Die Zukunft enthält immer ein Moment der Unsicherheit. Wer auf einen guten Ausgang hofft, unternimmt Anstrengungen, eine positive Entwicklung zu erreichen. Oft mit Erfolg. Der Pessimist glaubt dagegen bei prekärer Lage nicht an seine Chancen und bleibt unter seinen Möglichkeiten.
  2. Auch die Vergangenheit steht nicht ein für allemal fest. Das Gedächtnis wählt aus. Kinder erziehen bedeutet zum Beispiel viel Ärger und vergebliche Mühe. Das Gedächtnis der Eltern bewahrt aber vor allem die besonderen Momente – das erste Lächeln des Kindes, seine ersten Schritte, sein erstes Wort, gute Schulnoten. Die übrige Plackerei gerät in Vergessenheit.
  3. Illusionen bringen uns dazu, morgens auszustehen und uns anzustrengen. Wir hoffen auf Belohnungen und Erfolge für unsere Taten. Auf mehr, als wir tatsächlich erhalten. Doch auch hier helfen uns die Illusionen weiter. Wir speichern begierig jedes noch so karge Lob. Kritik und herabsetzende Bemerkungen von Kollegen überhören wir nach Möglichkeit.
  4. Wenn wir Pläne machen, lassen wir negative Aspekte einfach weg. Wer auf einen Lottogewinn hofft, malt sich ein Leben als reicher Müßiggänger in einer großen Villa im sonnigen Süden aus. Er denkt nicht daran, dass er wahrscheinlich viele Neider auf den Plan ruft, alte Freunde sich zurückziehen und ständig Leute auf der Matte stehen werden, die ihn anbetteln.

Je realistischer ein Mensch, desto pessimistischer ist er. Das zeigte eine Studie der Universität von Virginia aus dem Jahre 2005. Schlechte Laune hebt die Zuverlässigkeit des Gedächtnisses – aber leider nicht den Lebenserfolg und das Wohlbefinden.

Illusionen machen glücklich – und das ist mehr als eine Illusion. Denn ein Großteil unserer Erfolge hängt von unseren Mitmenschen ab. Und die mögen uns um so lieber, je fröhlicher und optimistischer wir sind. Mit ihrer Hilfe können unsere Illusionen wahr werden.

Entscheidend ist das Maß des Selbstbetruges – nicht zu groß und nicht zu klein. Wer gern seine rosarote Brille aufsetzt, aber nie ganz die Bodenhaftung verliert, besitzt das größte Glückspotential. Ein Beispiel: Wer unbekümmert sein Geld mit vollen Händen aus dem Fenster wirft, wird am Ende auf einem Schuldenberg sitzen. Aber wer ein großzügiges Naturell besitzt, zieht das Glück an. Er investiert in Freundschaften und Sympathie. Er kann auf mehr Unterstützung bauen als jeder Pfennigfuchser. Seine Beliebtheit ist mächtiger als jede noch so perfekte Planung.

Veröffentlicht im November 2006 © by www.berlinx.de

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