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Warum zwei Seelen in unserer Brust kämpfen

Der Widerstreit von Herz und Hirn gehört zu den vertrautesten Konflikten, die jeder von uns seit frühester Kindheit kennt. Doch warum fühlen und denken wir so oft unterschiedlich? Warum kann unsere Psyche nicht wie aus einem Guss, also „ein Herz und eine Seele“ sein?

Machen Sie bei einem Kind von vier Jahren den Test. Bieten Sie ihm an zu wählen: Entweder ein Bonbon sofort oder statt dessen eine ganze Tafel Schokolade, wenn es bereit ist, bis nach dem Essen zu warten. Mit dieser Aufgabe trennt sich die Spreu vom Weizen. Viele Kinder stecken lieber das gleich das kleine Bonbon in den Mund. Manche aber sind bereit zu warten. Aus ihnen entwickeln sich häufig Persönlichkeiten, die später für langfristige, ehrgeizige Ziele bereit sind, längere Durststrecken in Kauf zu nehmen.

Nicht nur Kinder treibt die Wahl zwischen unterschiedlichen Belohnungen in einen Konflikt. Das haben Forscher der amerikanischen Princeton-Universität an Erwachsenen gezeigt. Stellt man sie vor die Wahl zwischen einem kleinen Geschenkgutschein sofort oder einer größeren Geldmenge einige Wochen später, kämpfen sie mit dem gleichen Dilemma. Die Wissenschaftler haben während der Entscheidung mit einem Magnetresonanztomographen in das Gehirn ihrer Versuchspersonen geblickt. Dabei entdeckten sie, dass hinter der Entscheidung für die eine oder die andere Belohnung der Sieg eines Gehirnareals über ein anderes steckte.

Unser Kopf enthält – etwas vereinfacht ausgedrückt – drei übereinander gelagerte Gehirne.:

  1. Das sehr alte Stammhirn, das körperliche Grundfunktionen wie Atmen und Verdauen regelt
  2. Das mittleren Kleinhirn, das für Gefühle zuständig ist
  3. Die jüngere Großhirnrinde, in der Verstand, Sprache und Logik zuhause sind

Das Gefühlshirn arbeitet impulsiv. Emotionen sind immer eine Sache des gegenwärtigen Moments. Ich empfinde Trauer oder Freude stets in der Gegenwart. Zwar kann ich mich dank meines Verstandes auch an frühere Freude erinnern. Bleibt es jedoch bei der bloßen Erinnerung, kann ich die Freude nicht mehr nachempfinden. Anders ist es, wenn das Hochgefühl und das Lächeln zurückkehren. Dann wird aus der Vergangenheit Gegenwart. Ich freue mich erneut.

Einen sichtbaren Beweis liefert die Körpersprache. Wer einen Menschen lächeln sieht, glaubt automatisch, seine gute Laune entstamme dem gegenwärtigen Moment. Wenn Sie etwa als Frau einen Mann sehen, der Sie anlächelt, vermuten Sie sofort, er lächele Ihretwegen. Er kann sich aber genauso gut an einen Gag aus einer Comedyshow vom vorigen Abend erinnert haben. Doch die Ursache des Lächelns können wir niemandem ansehen. Für uns ist ein Gefühlsausdruck immer etwas, das mit der augenblicklichen Situation verbunden ist. TV-Moderatoren, aber auch Hobbycasanovas nutzen diesen Trick, um das gewünschte Gefühl auf ihr Gesicht zu zaubern.

Erst die Entwicklung von Verstand und Logik erlaubt es uns, auch Vergangenes und Zukünftiges in unsere Überlegungen einzubeziehen. Gefühle produzieren häufig Fehler, wenn es um zeitlich Entferntes geht. Etwa bei einer Phobie. Jemand, der einmal Angst in einem engen Raum bekam, kann eine lebenslange Klaustrophobie – also Furcht vor geschlossenen Räumen entwickeln. Ähnlich entsteht eine übertriebene Furcht von Schlangen, Höhenangst oder krankhafte Schüchternheit.

Meist können wir solche Erlebnisse jedoch mit Hilfe nüchterner Überlegung relativieren. Ein Tier hat diese Möglichkeit nicht. Ist ein Welpe einmal mit einem Fahrrad kollidiert, wird der Hund sein ganzes Leben lang Fahrradfahrer aus sicherem Abstand wütend anbellen.

Das erklärt auch, warum nur Gefühle sinnliche Erfahrung liefern. Der Verstand ist abstrakt. so wie Vergangenheit und Zukunft. Was wir fühlen, riechen, schmecken, sehen, hören –existiert stets im Jetzt. Das sinnliche Jetzt macht uns für die Botschaft von Gefühlen so empfänglich. Wir geben ihren Impulsen nach, weil sie so lebendig und sinnlich wirken.

Die praktische Konsequenz. Intuitive Entscheidungen aus momentanen Empfindungen heraus sind nur dann zuverlässig, wenn es um kurzfristige Konsequenzen geht. Sind die Folgen einer Entscheidung erst nach Jahren zu erkennen, sind wir gut beraten, den Gefühlen zu misstrauen, die uns sagen: „Du hast jetzt Lust darauf – also tu es jetzt!“ Aus momentanen Gefühlsaufwallungen werden Ehen geschlossen, Geschäftsverträge unterschrieben, Jobs gekündigt und falschen Beratern Blankermächtigungen erteilt. Manchmal geht es gut, doch häufiger dauert die Reue länger als die Freude am schnellen Entschluss.

Wenn Sie einer Laune nachgeben wollen, fragen Sie sich: Wie lange dauern die Konsequenzen meiner Entscheidung? Je länger die Folgen anhalten, desto besser fahren Sie, wenn Sie abstrakte Vernunftüberlebungen einbeziehen. Auch und gerade dann, wenn die momentanen Gefühle Sie in eine andere Richtung drängen. Damit können Sie sich Jahrzehnte bitterer Lebenserfahrung ersparen.

November 2004 © by www.berlinx.de

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