Liegt die westliche Kultur im Sterben?

Ob Banken­krise oder Terror im Namen des Islam – um unseren west­liche Kultur scheint es nicht gut zu stehen. Ist die aufge­klärte Demokratie am Ende?

Einst waren wir Jäger, dann Acker­bauern mit Holzpflug. Später bauten wir Maschinen, dann Computer. Aus primitiven Anfängen voll Aber­glauben, Hunger und Gewalt entwickelten wir Menschen uns zu toleranten Demokraten. Mit Hilfe von Wissenschaft und Technik gestalten wir unser Leben immer sicherer und komfortabler.

Dieser lineare Fortschritts­glaube prägt das Weltbild der Verteidiger und der Kritiker der westlichen Lebens­weise gleichermaßen. Wir sehen durchaus Gefahren. Ein unge­zügelter Kapitalismus könnte zu globalen Umwelt­katastrophen mit Millionen Toten führen. Aber selbst dann werden die Über­lebenden die Ärmel hoch­krempeln und aus den Ruinen eine bessere Welt errichten.

Was aber, wenn dieses Bild nicht stimmt? Wenn unsere hoch­entwickelte Kultur einfach untergeht und von einer anderen Kultur abgelöst wird? Vielleicht ist die globale Welt­geschichte eine Illusion? Wir könnten das alte Ägypten, die Antike, die Inkas und Azteken, das alte Indien sowie das Abend­land auch als eigen­ständige Kulturen betrachten. Jede von ihnen durchläuft eine aufstrebende Phase, eine Zeit der Blüte sowie eine Verfallsepoche, bevor sie wieder von der Weltbühne verschwindet. Ähnlich einem Individuum, das Kindheit, Reife und Alter erlebt und am Ende stirbt.

Diese Idee vertrat der deutsche Kulturphilosoph Oswald Spengler in seinem Werk Der Untergang des Abendlandes. Er schrieb es unter dem Eindruck des ersten Welt­krieges und der bolsche­wistischen Revolution in Russland. Jede Kultur, meinte er, durchläuft die gleichen Phasen. Am Anfang finden isolierte Dörfer und Stammes­führer zusammen, um sich zu Staaten zu verbünden. Die Fürsten­tümer erstarken, bis sie am Ende von einem Allein­herrscher geführt werden. Dagegen revoltieren die Völker und gründen eine demo­kratische Republik. Es beginnt ein Zeitalter der Zivilisation. Gegen sie putschen Diktatoren. Deren Herrschaft zerfällt durch innere Wider­sprüche. Neue primitive Kulturen erobern die alten kraftlos gewordenen Völker und der Kreislauf beginnt von vorn.

Der Aufstieg von Hitler und Stalin schien Spenglers Thesen zu bestätigen. Doch zugleich lief eine Gegen­entwicklung in Richtung Globa­lisierung und einheit­licher Welt­geschichte. Statt isolierter Kulturen blühten Welthandel, Internet und Tourismus rund um den Globus. Hitler und der Kommunismus sind untergegangen, das Abendland dominiert die internationale Ökonomie.

Aber dürfen wir so sicher sein, dass die Globalisierung die letzten Kultur­schranken hinweg­fegen wird? Dass die Welt ein Dorf wird? Mit Japan und China machen östliche Konkurrenten ihre Ansprüche geltend. Doch die ernsteste Heraus­forderung ist das neue Kalifat, das im Namen des Islam ein gewalt­tätiges Mittelalter zur Welt­herrschaft bringen will.

Der Begriff „Abendland“ entstand vor über tausend Jahren in Auseinander­setzung mit dem Islam. Damals teilte sich die Welt in Orient (Morgenland) und Okzident (Abendland). Im Islam blühten Wissen­schaften und Kultur, während in unserer Welt die einst blühende Antike verfiel. Heute scheint sich diese Teilung der Welt unter umgekehrtem Vorzeichen zu wiederholen. Dämmert im Orient ein neuer Morgen herauf, während bei uns abendliche Untergangs­stimmung herrscht? Eines haben Islamisten und ihre Gegner von der Pegida-Bewegung gemeinsam: Sie lehnen die Globalisierung ab.

Auch ohne Islam nehmen die Gegner einer USA-geführten Welt­gesellschaft zu. Schotten, Basken und Katalanen streben nach Unab­hängigkeit. Die Briten drohen aus der EU auszutreten. Russland und die Türkei, die sich einst Europa näherten, grenzen sich verstärkt von uns ab. Sie wollen ihr eigenes Macht­zentrum gründen. Die stärkste Volks­wirtschaft der Welt wird China – die „Abendländer“ sind in die zweite Reihe gerückt.

Was wird uns die Zukunft bringen? Ökologischen Kollaps, die Welt­herrschaft des Terrors oder doch eine aufgeklärte Global­gesellschaft? Die Antwort weiß niemand. Die Zukunft ist offen. Es gibt Tendenzen in alle drei Richtungen. Wer sich für die Philosophie der Geschichte interessiert, sollte nicht nur Hegel, Marx oder die Bibel lesen, die an einen linearen Fortschritt glaubten. Sondern auch Nietzsche und Spengler. Sie waren überzeugt, dass sich die Geschichte in Zyklen verläuft und sich periodisch wiederholt. Dass immer wieder neue Kulturen Kindheit, Blüte der Verfall erleben.

Buchtipp:
Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Kostenlos lesen im Internet unter:
http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-untergang-des-abendlandes-erster-band-5332/1
http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-untergang-des-abendlandes-zweiter-band-5329/1

veröffentlicht im Februar 2015 © by www.berlinx.de

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