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Ungleichheit teilt uns in arm oder reich, alt oder jung, schlau oder dumm, attraktiv oder hässlich. Sind diese Unterschiede natur­gegeben? Und wenn ja, müssen wir uns damit für immer abfinden?

Ein Blick in eine beliebige Menschen­ansammlung zeigt, wie verschieden wir sind. Einige Faktoren sind liegen in unserer Natur – zum Beispiel das Alter. Die Teenies, die sich über den schlurfenden Gang eines Alten lustig machen, werden eines Tages ebenfalls alt und tattrig sein.

Über andere Unterschiede wird heftig gestritten. Wie viel Intelligenz ist angeboren, wie viel ein Resultat der Erziehung? Wer schon in der Schule Probleme mit Mathe hatte, wird wohl kein zweiter Einstein werden.

Doch wie ist es mit den Unterschieden in Einkommen und Beruf? Sind sie reines Menschen­werk oder eine Folge natürlicher Begabungen? Wie die Antwort ausfällt, hängt davon ab, von welcher Gleichheit wir reden. Es gibt nicht einfach „die“ Gleichheit. Wir können mindestens vier Gleich­heiten unterscheiden:

Gleiche Individuen. Wir gehören der biologischen Art Homo sapiens an. Zu unserer genetischen Aus­stattung gehören Sprache, Denk­fähigkeit und Kultur. Über wie viel davon jeder Einzelne verfügt, ist verschieden. Man hat immer wieder mal versucht, alle Menschen gleich zu behandeln. Doch wer die Unterschiede mildern will, muss genau das Gegenteil tun. Die Benach­teiligten brauchen eine stärkere Förderung als die Begabten, die sich selbst fördern können.

Gleiche Rechte. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist im Grund­gesetz verankert. Doch in Wahrheit verdienen Frauen fast ein Drittel weniger als Männer. Migranten sind bei Bildung und Berufs­chancen benachteiligt. Reiche können clevere Anwälte engagieren und hohe Kautionen zahlen. Es genügt nicht, gleich­berechtigt zu sein – man muss seine Rechte im Alltag auch durch­setzen können.

Gleiche Verteilung. Sie ist das Ideal des Kommunismus – also grandios gescheitert. Die Idee, dass die Glücks­kinder den Benach­teiligten etwas abgeben sollen, ist auch uns nicht fremd. Der Staat soll für den Ausgleich sorgen, indem er von Reichen höhere Steuern nimmt und damit Bildung und Versorgung für Ärmere finanziert. In Wirklichkeit geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. (Mehr dazu in unserem Beitrag Arm gegen Reich)

Gleiche Chancen. Wer in eine Lehrer­familie hinein geboren wird, hat bessere Bildungs­chancen als ein Kind, dessen Eltern gerade mal ihren Namen schreiben können. In Deutsch­land leben rund sieben­einhalb Millionen funktionale Analphabeten – Menschen, die so wenig lesen und schreiben können, dass sie im Alltag scheitern. Die Schule soll die Nachteile ausgleichen. Doch wenn ein Kind eingeschult wird, sind die Weichen längst gestellt. Beginnt die Früh­förderung bereits in den Kitas, stehen die Chancen etwas besser. PISA- und andere Tests zeigen immer wieder, dass ungefähr jedes fünfte Kind schon verloren hat, bevor es überhaupt eine Chance bekam.

Keine dieser Gleich­heiten ist bislang einigermaßen erreicht worden. Ist es also zwecklos, nach Gleichheit zu streben? Und wenn ja, warum? Zwei Haltungen stehen sich gegenüber:

Neoliberal. Es hat gute Gründe, warum es niemals Gleichheit gegeben hat. Die Menschen wollen ungleich sein. Tüchtige Menschen sollten nicht gezwungen werden, etwas abzugeben. Im Gegenteil, wenn man die Begabten frei handeln lässt, kommen ihre Leistungen auch den Benach­teiligten zugute. Begabte Benach­teiligte werden sich gegen die Widerstände durchsetzen. Im Kampf um einen Platz an der Sonne erwerben sie die Kraft und Raffinesse, die sie brauchen, um erfolgreich zu sein.

Sozialistisch. Beim freien Spiel der Kräfte setzen sich nicht die Begabten, sondern die Kinder der bisherigen Sieger durch. Zahllose Begabungen kommen nie zum Zuge, weil sie im falschen Eltern­haus geboren wurden. Deshalb muss der Staat Auswüchse verhindern. Er muss die Sieger zwingen, mit den anderen zu teilen. Der Staat sollte Begabte in den ärmeren Schichten der Bevölkerung suchen und fördern.

Würde Gleichheit die bunte Vielfalt an Kulturen und Persön­lichkeiten vernichten? Stände am Ende der uniforme Einheitsmensch? Nicht notwendiger­weise. Wir dürfen Gleichheit nicht mit Anpassung verwechseln. Alle sollten das gleiche Recht haben, ihre Besonderheit auszuleben.

Lesen Sie bei uns auch:
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Arm gegen Reich Die Folgen der wachsenden Ungleichheit
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veröffentlicht im März 2015 © by www.berlinx.de

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