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Wie aus guten Bekannten die große Liebe wird

Nur wenige Sekunden gesehen und schon gewußt: das ist der Partner fürs Leben? Was in romantischen Filmen die Herzen höher schlagen läßt, ist im Alltag meist zum Scheitern verurteilt. Die Fachleute haben längst nachgewiesen: Viel größere Chancen hat die Liebe, die langsam zwischen vertrauten Bekannten entsteht.
Eine Studie der Universität Bochum wies nach: Beziehungen, die aus der Vertrautheit einer längeren Freundschaft erwachsen, sind überdurchschnittlich stabil. Sie zeichnen sich durch harmonisches Miteinander, Verläßlichkeit und die Fähigkeit aus, Streitigkeiten konstruktiv zu lösen. Partner, die sich bereits gut kennen, erleben seltener ein böses Erwachen, als solche, die sich Hals über Kopf in ein Miteinander stürzen. Denn sie wissen ziemlich genau, auf wen sie sich einlassen. Stärken und Schwächen des andern sind bekannt, man weiß, ob er/sie liiert oder noch zu haben ist und die Schwierigkeit, mit Fremden in Kontakt treten zu müssen, entfällt.
Können aus vertrauten Freunden überhaupt Liebende werden? Fehlt da nicht das Prickelnde, das Geheimnisvolle, das die Faszination eines/r Unbekannten ausmacht? Bleibt nicht die Leidenschaft auf der Strecke, wenn man sich plötzlich einer Person nähert, die man schon als Kind im Sandkasten beobachtet hat oder als gestreßte(n) Mitarbeiter(in) an der Kopiermaschine?
Um das erotische Potential platonischen Bekanntschaften zu entdecken, ist es in der Tat erforderlich, sich von eingefahrenen Erfahrungsmustern zu lösen. Wir tragen ein Bild vom Traum-Partner in uns, das völlig anders aussieht als unsere guten Freunde. Es ist geformt von Roman- und Filmhelden sowie einigen Wertevorstellungen, die wie im Elternhaus erwarben. Dadurch entsteht eine Anspruchshaltung, die dazu führt, daß wir den/die Richtige(n) in unserer unmittelbaren Umgebung übersehen. Schubladendenken ist eine Hauptursache für verfehlte Partnerwahl.
Daß sich der Blick in die vertraute Umgebung lohnt, beweisen die Statistiken der Soziologen. Sechzig Prozent aller Ehepaare lernten sich bei der Arbeit kennen, als Kollegen, Kunden oder Geschäftspartner. Weitere zwanzig Prozent fanden sich im Freundes- oder Bekanntenkreis. Nur jedes fünfte Paar entstand aus Urlaubs-, Disko- oder Zufallsbekanntschaften. Trotz neuer Kontaktformen wie Internet und Single-Parties haben sich diese Zahlen in den letzten Jahrzehnten kaum verändert.
Viele Paare, die sich als Liebende auf den zweiten Blick fanden, entdeckten einander erst, als sie mit einer Affäre mit einem/r Fremden auf die Nase gefallen waren. Jutta, 27, stürzte sich, als sie aus einer Kleinstadt nach Berlin zog, in eine wilde Liebesgeschichte mit ihrem Reitlehrer. Er war groß und dunkel und entsprach damit ihrem inneren Raster. Als er sie bald mit anderen Reiterinnen betrog, fiel sie in ein tiefes Loch, aus dem sie ihr Kollege Ralf nach und nach wieder herauszog. Zunächst kam Ralf für sie überhaupt nicht in Betracht, denn er war nicht nur ein Jahr jünger als sie, sondern außerdem ziemlich schüchtern, unauffällig, rotblond und nicht sehr groß. Aber er war für sie da, wenn sie in ihrer Probezeit in der Firma bei komplizierten Aufträgen nicht weiterkam. Er erklärte ihr das neue Tabellenkalkulationsprogramm und lobte sie gegenüber den Kollegen. Aus Dankbarkeit wurde Zuneigung, als er sie ein paar Mal im Anschluß an anstrengende Bürostunden zu einem Glas Wein einlud.
Eine ähnliche Situation schildert der amerikanische Film „Küssen verboten“ (Originaltitel: I Love You – Don’t Touch Me) der erst 27jährigen Regisseurin Julia Davis: Katie ist 25 und immer noch Jungfrau. Sie wartet auf den Traumrpinzen und pflegt derweil mit ihrem langjährigen Freund Ben ein platonisches Verhältnis. Eines Tages trifft Katie den Komponisten Richard Webber und schenkt ihm ihre Unschuld. Doch bald betrügt er sie mit anderen, während Ben, des Wartens müde, ein rein sexuelles Verhältnis mit Katies bester Freundin eingeht. Bald sind Katie und Ben wieder solo – und finden endlich zueinander.
Manch einer, der überhaupt keine Probleme hat, jemanden Fremdes auf einer Party oder in der Disko anzusprechen und auf offener Tanzfläche abzuknutschen, möchte schon beim Gedanken, der netten Kollegin von nebenan plötzlich Avancen zu machen, am liebsten vor Scham im Boden versinken. Zu neutralen Bekannten des andern Geschlechts bestehen ja eingeschliffene Umgangsregeln. Was geschieht, wenn ich unerwartet versuche, intim zu werden? Wenn ein Fremder uns abblitzen läßt, tut das zwar weh, aber es bleibt folgenlos. Man sieht ihn oder sie nie wieder. Bei Kollegen und Freunden sieht die Sache anders aus. Wer möchte schon die bestehende Freundschaft oder Kollegialität aufs Spiel setzen!
Die meisten machen dann den Fehler, durch kleine Zeichen indirekt ihre Zuneigung zu bekunden. Das Objekt der Begierde ist aber in den vertrauten Umgangsregeln gefangen und wird vermehrte Blicke, kleine Geschenke oder Komplimente als kollegiale oder freundschaftliche Aufmerksamkeit interpretieren.
Hier hilft nur eins: Eine klare Liebeserklärung in neutraler Umgebung (also nicht im Büro und in Anwesenheit Dritter). Ohne den Wunschpartner zu bedrängen. Eine aufrichtige Liebeserklärung wird mit Sicherheit als Kompliment aufgefaßt, auch wenn der andere sagen sollte, daß er ihre Gefühle nicht erwidert.
Keine Sorge, daß die Freundschaft auf der Strecke bleibt. Ihr Gegenüber hat genau wie Sie ein Interesse daran, daß die bisherige Basis Ihrer Beziehungen nicht zerstört wird.
Nicht selten kommt es nach einer Ablehnung vor, daß der/die andere allmählich anfängt, Sie mit anderen Augen zu sehen. Ein zweiter Anlauf nach einer gewissen Frist kann mehr Erfolg versprechen. Doch selbst, wenn es letztlich bei den kollegialen oder freundschaftlichen Beziehungen bleibt: In der Regel verbessert ein Liebesgeständnis die Atmosphäre. Wer Ihnen nach einem solchen Bekenntnis die Freundschaft entzieht, ist wahrscheinlich innerlich zutiefst unsicher und in aller Regel ihre Freundschaft nicht wert.
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