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Seelische Reife ist keine Frage des Alters

Manche wirken als Teenager schon reif und selbständig, andere werden nie richtig erwachsen. Ewige Jugend liegt im Trend. Doch Reife ist keine Frage von Falten und grauen Haaren. Und sie erleichtert das Leben, weil sie innerlich unabhängig macht. Sie lässt sich durchaus mit jugendlicher Neugier und Offenheit kombinieren.

Mit zwölf Jahren werden aus Kindern körperlich Erwachsene. Und möchten nicht mehr als Kinder behandelt werden. Doch wann ist eine Persönlichkeit auch seelisch erwachsen? Die Nacht über weg zu bleiben, trotz elterlichem Verbot, genügt nicht. Die Psychologen haben untersucht, woran man erkennt, ob sich ein Heranwachsender wirklich von seiner Kindheit abgenabelt hat.

Charakter zeigen. Teenager schwanken zwischen zwei Extremen. Einerseits proben sie den Aufstand gegen die Erwachsenen, provozieren und stellen sich stur. Andererseits versuchen sie sich anzupassen, die Erwartungen von Lehrern, Eltern und Arbeitsgebern zu erfüllen. In beiden Fällen orientieren sie sich noch an den Normen der älteren Generation. Wer sich einen Tag cool gibt, am nächsten Morgen aber Türen knallt und bockig schweigt, hat noch keine eigene Haltung gefunden. Erst wenn das Durchspielen verschiedener Rollen beendet ist, kommt die echte Persönlichkeit zum Vorschein. Sie hat Ecken und Kanten, ein eigenes Profil. Aber sie zeigt ein verlässliches Gesicht. Sie sagt nicht heute Hüh und morgen Hott. Sie reagiert nicht nur auf Ärger und Freude aus ihrer Umgebung, sondern aus gefestigten Überzeugungen.

Bestimmtheit. Noch nie hat die Jugendzeit solange gedauert wie heute. Noch mit Mitte Vierzig besuchen die Dauerjugendlichen Diskotheken, fahren in Gruppen mit Rucksack und Zelt in Urlaub, vergnügen sich mit Lebensabschnittspartnern, weil sie sich vor der Endgültigkeit der Ehe fürchten. Immer mehr Menschen haben Angst, sich festzulegen. Wer sich entscheidet, Verantwortung zu übernehmen – erstarrt dessen Leben zu8r Routine? Warten auf ihn nur Alter und Tod? Im Gegenteil! Wer sich nicht festlegt, versäumt es, Stabilität in sein Leben zu bringen. Unsichere, provisorische Verhältnisse beschleunigen das Altern. Das ergaben verschiedene Studien. Legen Sie sich ruhig fest. Bekennen Sie sich zu Partner, Freunden und einer bestimmten Lebensweise. Festgelegt heißt ja nicht „unabänderlich“. Wenn Sie sich weiterentwickeln, wenn Sie über Ihre Entscheidungen hinauswachsen – wer hindert Sie, sich neu und anders zu entscheiden?

Irrtümer zulassen. Wer jung ist, macht es nicht unter hundert Prozent. Kompromisse sind unter allen Umständen anzulehnen. Seelische Reife ist fehlerfreundlich. Mit wachsender Erfahrung lernen wir, dass nur der keine Fehler macht, der überhaupt nichts tut. Der alle Initiative andern überlässt. Handeln heißt, zwischen Irrtum und dauernden Korrekturen seinen eigenen Schlängelweg zu finden. Erst wer gelernt hat, nicht nur gegenüber fremden Irrtümern Toleranz zu zeigen, sondern sich auch selbst Fehler zubilligt, hat seelische Reife erlangt. Wer Angst hat, das nächstbessere Angebot zu verpassen, verbringt seine besten Jahre in der Warteschleife. Er verpasst sein Leben.

Gelassenheit. Wer jung ist, ist ungeduldig. Er will alles und das sofort. Dabei hätten sie Zeit zu warten, denn sie haben noch viele Jahre vor sich. Doch Geduld ergibt sich aus der Erfahrung, dass schnelle und radikale Umstürze nur selten einen Befreiungsschlag bringen. Oft überwiegen die schädlichen Nebenwirkungen den Nutzen. Erwachsen werden heißt zwischen ängstlichem Zögern und weiser Besonnenheit zu unterscheiden. Man hört auf, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, sondern nimmt lieber einen Umweg in Kauf, um die Tür zur anderen Seite zu finden.

Täterhaltung. Erwachsen wird, wer aufhört seinen Eltern die Schuld an seinen Missgeschicken zuzuschreiben. Es ist eine Frage der Sichtweise. Natürlich kann man sich lebenslang als Opfer seiner Herkunft betrachten. Stammt man aus ungünstigen Verhältnissen, konnte man ja nie an die Spitze gelangen. Stammt man aus reichem Elternhaus, wurde man verwöhnt und hat nicht gelernt, sich gegen widrige Umstände durchzusetzen. In beiden Sichtweisen haben andere an meinen Misserfolgen Schuld. Wer zu den Gewinnern zählt, hat bereits in jungen Jahren eingesehen, dass nur der nach oben kommt, der sich als seines eigenen Glückes Schmied betrachtet. Jeder kann ungünstige Umstände in seinem Leben finden. Sich darauf hinauszureden liefert zwar eine prima Rechtfertigung für das eigene Scheitern. Doch wer sich auf die Seite der Glückskinder schlagen will, sagt sich: Was ist an meinen Umständen günstig? Welche Stärken habe ich in die Waagschale zu werfen? Und dann entschließt er sich zum Handeln.

April 2004 © by www.berlinx.de

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