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Wie Musik den Charakter enthüllt

Wenn Sie einen Fremden kennenlernen wollen – worauf achten Sie? Achten Sie auf die Körperhaltung, die Augen, die Stimme oder die Worte Ihres Gegenüber. Forscher bewiesen jetzt: Nichts verrät den Charakter so zuverlässig wie der Musikgeschmack.

Stellen Sie sich vor, Sie gehen abends in eine Bar oder Diskothek und lernen Leute kennen. Bald fangen Sie an, die Musik zu kommentieren, die man dort spielt. Sie reden darüber, was Sie am liebsten hören, welche Bands Sie mögen und welche Konzerte Sie zuletzt besucht haben. Falls Sie dieses Geplauder bisher unter „harmloser Smalltalk“ verbucht haben – ab heute sollten Sie umdenken.

Wer über seine musikalischen Vorlieben redet, verrät seinen Gesprächspartnern die tiefsten Geheimnisse seines Charakters. Das bewiesen jetzt die britischen Forscher Peter Rentfrow und Samuel Gosling aus Cambridge. Ihre Studie ergab: Ähnliche Persönlichkeiten besitzen auch einen ähnlichen Musikgeschmack. Schon früher fiel Paartherapeuten auf, dass Paare, die die gleiche Musik hören, sich auch sonst gut verstehen. Gegensätzliche Vorlieben waren dagegen ein Hinweis, dass auch die beiden Partner eher getrennte Wege gehen.

Die Forscher baten Studenten, ihre zehn liebsten Musikstücke aufzuschreiben. Diese Musik spielten sie anderen Studenten vor. Was für Leute mögen das sein, die so etwas gern hören? Das Ergebnis: Die Musik verrät, wie ehrlich, offen, gewissenhaft und gesellig ein Mensch ist. Sie gibt vor allem Auskünfte über die emotionale Basis eines Charakters – also den Teil unserer Psyche, den wir gern vor anderen verbergen.

Wenn Ihr Gegenüber nicht über seine Gefühle sprechen will – fragen Sie ihn, welche Musik er bevorzugt und welche er verabscheut!

  • Fröhliche, gesellige Charaktere hören bevorzugt energische Musik mit viel Gesang, zum Beispiel Hiphop.
  • Fans von lauter Musik wie Rap oder Heavy Metal sind oft schüchterne Leute, die gern durchsetzungsstark wären.
  • Jazzfans sind häufig gebildet, vielseitig interessiert und tendieren politisch zur Mitte.
  • Grüblerische, stille Charaktere ziehen gefühlvolle Balladen und romantische Instrumentalmusik vor.

Beim Kennenlernen spricht man über Musik mindestens ebenso oft und bereitwillig wie über Mode, Fernsehen oder Sport. Es fällt daher leicht, über diesen Umweg einen Einblick in die Persönlichkeit der neuen Bekannten zu erhalten. Allerdings nur dann, wenn Sie sich in die Lieblingsstücke Ihres Gegenüber einfühlen können. Wie jeder andere Persönlichkeitstest hat diese Methode auch ihre Grenzen:

Begeistert sich Ihr Gesprächspartner für Klassik, elektronische Klänge oder Jazz – können Sie die Feinheiten innerhalb dieser Genre heraushören? Für Außenstehende klingt aller Jazz irgendwie ähnlich. Für seine Fans sind Django Reinhardt und Miles Davis so verschieden wie Shakira und Oasis für Popfans. Ein ausgefallener Musikgeschmack verweist auf das Interesse an einer wenig beachteten Subkultur. Oft fühlen sie sich auch in anderen Lebensbereiche als Außenseiter. Doch innerhalb dieser Stilrichtungen findet sich ebenfalls die ganze Bandbreite sanft bis heavy. Sie bietet jedem Charakter die zu ihm passende Musik.

Um Personen der Vergangenheit einzuschätzen, genüngt es nicht zu wissen, dass z. B. Thomas Mann und Hitler beide Fans von Wagner-Opern waren. Damals hörte jeder halbwegs Gebildete Wagner. Die Unterschiede zeigen sich, sobald man sich mit den Details beschäftigt. Hitler las in seiner Jugend antisemitische Schriften von Wagner und erklärte die „Meistersinger von Nürnberg“ zu seiner Lieblingsoper. Thomas Mann interessierte mehr Wagners „Ring der Nibelungen“, wie seine Erzählung „Wälsungenblut“ beweist. Sein Thema ist der mutige Bruch gesellschaftlicher Konventionen – in diesem Fall des Inzesttabus.

Der Musikgeschmack unterliegt heutzutage einem raschen Wandel. Es lohnt daher kaum Listen aufzustellen, welches Lied welchem Charakterzug entspricht. Eine solche Liste wäre nach einem Jahr schon veraltet. Wer heute die Fantastischen Vier hört, hätte in den 60er Jahren vielleicht die Beach Boys bevorzugt und vor 150 Jahren eine Rossini-Oper.

Manche Leute können ihren Musikgeschmack nicht benennen. Sie interessieren sich nicht für die Namen von Sängern oder Musiktitel. Einige nennen dann aufs Geratewohl irgendwelche Namen, um nicht als ahnungslose Deppen dazustehen. Oder sie genieren sich zuzugeben, dass sie am liebsten Volksmusik und André Rieu hören. Doch nur der tatsächliche Musikgeschmack lässt Rückschlüsse auf den Charakter zu.

Charaktere, die besonders offen für Neues sind, begeistern sich auch für die neueste Musik. Ein Song, der sie begeisterte, rutscht in ihrer persönlichen Bestenliste nach einem Jahr weit nach unten – einfach, weil er inzwischen schon ein Jahr alt ist. Wer dagegen eine Neigung zur Nostalgie besitzt, mag ein Stück vielleicht gerade deswegen, weil es inzwischen eine gewisse Patina angesetzt hat.

Welchen Einfluss hat die musikalische Vorbildung auf die bevorzugten Klänge? Wer selbst ein Instrument spielt, wird der nicht eine kompliziertere Musik hören als jemand, der keine Note kennt und schon in der Schule keinen Ton halten konnte? Wer mit Musik wenig am Hut hat, bevorzugt bekannte Stücke aus dem Radio. Musikfans weiten ihr Interesse auf wenig betretene Pfade jenseits des Mainstream aus. Aber beide bleiben bei in dem Genre, das ihrem Charakter entspricht.

Wenn Sie das nächste Mal ein lockeres Gespräch über Musik führen, überlegen Sie:

  • In welcher Hinsicht weicht der Geschmack des anderen von meinem ab? Damit wissen Sie, wie ähnlich Sie sich sind.
  • Ist seine Musik ruhig oder energiegeladen, fröhlich oder melancholisch, für Partys oder für das stille Kämmerlein gedacht? So ist auch sein Charakter gestrickt.
  • Bevorzugt er komplizierte, verschnörkelte oder eher einfache, geradlinige Melodien? Dann wissen Sie, ob Sie es mit einem schwierigen oder einem unkomplizierten Menschen zu tun haben.

Listen Sie in einer ruhigen Stunde einmal Ihre eigenen musikalischen Vorlieben und Abneigungen auf. Damit gewinnen Sie Einblicke in Ihre eigene Persönlichkeit. Wann haben Sie Ihre Vorlieben erworben? Diese Rückschau hilft Ihnen zu erkennen, welche Ereignisse Ihr heutiges Sein bestimmt haben.

Veröffentlicht im Februar 2006 © by www.berlinx.de

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