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Nicht nur das Ge­hirn, auch al­le an­deren Or­gane be­wah­ren die Spu­ren frü­herer Er­leb­nis­se auf. So manche Ge­sund­heits­sün­de ver­gißt der Kör­per nie wie­der. Auf der an­der­en Sei­te steht eine er­staun­liche Re­ge­ne­ra­tions­fä­hig­keit. Was bewahrt unser Kör­per in sei­nem Ge­dächt­nis auf, wel­che Ver­fehl­ungen kann er wie­der „ver­ges­sen“?

Forschung kostet viel Geld. Da auch Wissenschaftler sparen müssen, versuchen sie in möglichst kurzer Zeit zu Ergebnissen zu gelangen. Die meisten ihrer Studien dauern höchstens wenige Monate. Daher wissen wir über kurzfristige Auswirkungen unserer Alltagsrisiken recht viel, aber nur wenig über Spätfolgen, die sich erst nach Jahren zeigen.

Da es aber seit den 50er Jahren eine kontinuierliche Gesundheitsforschung gibt, können Forscher neuerdings langfristige Effekte erkunden, indem sie alte Studien hervorkramen und mit aktuellen Ergebnissen vergleichen. Ihr Fazit: Manche Sünden merkt sich der Körper über Jahrzehnte, bevor er darauf reagiert.

Am bekanntesten ist der Zusammenhang für das Rauchen. Bis in die 60er Jahre konnte die Tabakindustrie erfolgreich leugnen, das Lungenkrebs etwas mit ihren Zigaretten zu tun hätte. Inzwischen sprechen Statistiken eine eindeutige Sprache. Vor hundert Jahren war Lungenkrebs eine äußerst seltene Krankheit. Wer damals rauchte, griff zu Pfeife oder Zigarre. Inzwischen dominiert die Zigarette, deren Rauch in die Lungen inhaliert wird. Folge: Bei Männern ist es heute die häufigste Krebserkrankung. Tückisch am Rauchen: Die ersten zwanzig Jahre spüren Sie nichts. Erst danach beeinträchtigen Teer und Nikotin fühlbar die Lungenfunktion, die Hautelastizität und die Abwehrkräfte.

Inzwischen kennen wir eine Reihe von Altersbeschwerden, die auf Sünden in Jugendjahren zurückzuführen sind, zum Beispiel:

  • Hautkrebs. Es sind besonders die Sonnenbrände in der Kindheit, die das Risiko, später an einem Melanom der Hautzellen zu erkranken, erhöhen.
  • Osteoporose. Kalzium- und Vitamin-D-Mangel in der Wachstumsperiode sind hauptverantwortlich für spröde Knochen im Alter.
  • Arterienverkalkung und Infarkte. Erst wenn ein Blutgefäß zu 70 Prozent durch Ablagerungen verschlossen ist, macht sich der Defekt durch Beschwerden bemerkbar. Verantwortlich sind die Langzeiteinwirkung von Stress (Dauerausschüttung von Stresshormonen), Nikotin (verengt die Gefäßwände) und fettreiche Ernährung (liefert Stoffe, aus denen sich Gefäßablagerungen bilden).
  • Kurzsichtigkeit. Die typische Fehlsichtigkeit der Vielleser. Unsere natürliche Optik ist nicht an Bücher mit dunklen Buchstaben auf weißem Grund, sondern an die freie Natur angepaßt. Dort ist ein Hell-Dunkel-Kontrast ein Hinweis auf ein nahes Objekt (dunkel) vor einem fernen Horizont (hell). Darauf stellt sich die Linse ein. Beim Lesen sind aber Buchstaben und weiße Seite gleich weit entfernt. Die dauernde Fehlanpassung der Linse führt nach Jahren zur Kurzsichtigkeit.

Erfahrungen mit dem Körpergedächtnis macht jeder, der seine Lebensweise radikal umstellt:

  • Wer sein Gewicht erfolgreich von 140 auf 70 Kilo verringert, wird durch überhängende Hautfalten („Bauchschürze“) an sein einstiges Übergewicht erinnert.
  • Wer sich Rauchen oder Trinken abgewöhnt, durchlebt einen Entzug. Die Erinnerung an die regelmäßige Zufuhr des Suchtmittels ist in sein Zellgedächtnis eingebrannt und muss erst gelöscht werden.
  • Wer halb um den Globus fliegt, leidet unter Jet-lag. Die innere Uhr benötigt einige Tage, um sich auf die neue Zeitzone einzustellen.

Das Körpergedächtnis ist ein wertvolles Gut. Es ermöglicht uns, Gewohnheiten zu bilden. Nur so können wir die Flut der Informationen, die dauernd auf uns einströmt, bewältigen. Wie unser Gedächtnis im Kopf erlaubt es auch, zu vergessen und umzulernen:

Sport. Selbst wenn Sie von Kindheit an ein Bewegungsmuffel waren: der Körper ist noch im hohem Alter bereit, auf Bewegung umzuschulen. Sogar nach Herzinfarkten und Rückenoperationen empfehlen Ärzte heute nicht mehr Schonung und Bettruhe, sondern kontinuierliche Bewegung. Trägheit signalisiert dem Körper: „Ich kann nicht mehr, ich bin also alt und kann abbauen.“ Sport sagt ihm: „Ich bin im Leistungsalter.“ Er baut Muskeln auf (einschließlich Herz- und Lungenmuskulatur), lagert Mineralien in die Knochen ein, um sie zu festigen, und bringt durch verbesserte Durchblutung das Gehirn auf Trab.

Regeneration. Menschliche Zellen erneuern sich 50mal im Leben. Jedes Organ besitzt seine spezifische Eigenzeit, in der es sich einmal vollständig erneuert. Das bedeutet: Selbst nach längerer Alkoholikerkarriere kann sich die Leber in einigen Jahren erholen. Raucherschäden bilden sich stufenweise zurück. Nach zwei Tagen ist kein Nikotin mehr im Körper, der Sauerstoffgehalt im Blut steigt. Nach einem Monat hat sich die Lungenfunktion um 30 Prozent verbessert.

Immunantwort. Nicht nur das Gehirn ist lernfähig, sondern auch das Immunsystem. Jede erfolgreiche Abwehr eines Krankheitskeims trainiert sein Gedächtnis. Fehlt unserer Körperabwehr diese kontinuierliche Lernerfahrung – durch zuwenig Aufenthalt an frischer Luft, durch pingelige Hygiene – fehlen nicht nur Abwehrkräfte im Ernstfall. Es steigt auch das Risiko von Autoimmunerkrankungen. Die Abwehr kann nicht mehr ausreichend zwischen eigenen und fremden Zellen unterscheiden. Zu den Folgen gehören unter anderem Allergien und Rheuma.

Veröffentlicht im Februar 2003 © by www.berlinx.de

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