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Wovon es abhängt, was andere von Ihnen denken

Wissen Sie, wie andere über Sie reden, wenn Sie nicht dabei sind? Lobge­sänge oder Läster­zungen? Der erste Teil unseres Beitrages erklärt die Psychologie der Reputation.

„Man kann heutzutage alles überleben außer dem Tod, und alles zuschanden machen außer einem guten Ruf.“ Als Oscar Wilde diesen Satz 1893 in seiner Komödie „Eine Frau ohne Bedeutung“ seiner Figur Lord Illingworth in den Mund legte, ahnte er nicht, wie bitter ihn nur zwei Jahre später die Wirklichkeit eines Besseren belehren würde.

Oscar Wilde feierte Ende des 19. Jahrhunderts Triumphe als Bühnenautor. Er führte im prüden England das Leben ein skandal­umwitterten Stars, der sich keine Mühe gab, seine homo­sexuellen Neigungen zu verbergen. Als ihn jedoch der Vater seines Liebhabers, der 9. Marquess von Queensberry, als „posierenden Sodomiten“ bezeichnete, beging Oscar Wilde die Unklugheit, den Marquess wegen Verleumdung zu verklagen. Wilde hielt sich als Starautor und Gesellschaftsliebling für unangreifbar. Ein Irrtum, wie sich bald zeigen sollte.

In dem Prozess kamen zahlreiche intimen Details aus Wildes Privatleben zur Sprache. Wilde hatte regelmäßig sexuelle Kontakte mit jungen Kerlen aus der Unterschicht. Er bezahlte sie sogar dafür. Die als Zeugen geladenen männlichen Prostituierten zögerten nicht, über ihre Einnahmen auszusagen. Die feine Gesellschaft war schockiert. Die Stimmung wandte sich gegen Wilde. Aus dem Ankläger wurde ein Angeklagter, den die Jury am Ende für zwei Jahre hinter Gitter schickte.

Als Oscar Wilde 1897 das Gefängnis verließ, hatte harte Zwangsarbeit seine Gesundheit ruiniert. Er änderte seinen Namen und floh nach Paris, wo er drei Jahre später mittellos verstarb. Sein guter Ruf war zuschanden. Die englische Gesellschaft hatte sich neuen Stars zugewandt. Einer von ihnen, der spätere Literaturnobelpreisträger George Bernhard Shaw, fasste ihr Urteil über Wilde in einem Satz zusammen: „Wie ein unbrauchbarer Trinker und Schwindler ist er zugrunde gegangen.“

Der gute Ruf war noch nie so wichtig wie heute. Nach Oscar Wilde sind noch zahlreiche Karrieren an verlorener Reputation gescheitert. Richard Nixon verlor nach der Watergate­affäre nur sein Präsidentenamt. Adolf Merckle, einst der fünftreichste Mann Deutschlands, legte Anfang 2008 seinen Kopf auf Bahnschienen, nachdem er Milliarden durch Spekulationen verloren hatte. Er hätte auch nach seinen Verlusten in der Finanzkrise komfortabel weiterleben können. Was er nicht ertrug, war der Verlust seines Rufs als cleverer Unternehmer.

Im Mittelalter drehte sich alles um die persönliche Ehre. Die angegriffene Ehre konnte nur von Angehörigen des eigenen Standes angegriffen werden. Ein Bauer konnte einen Edelmann nicht beleidigen, er war ja nicht satisfaktionsfähig. Umgekehrt war ein Bauer nicht in seiner Ehre gekränkt, wenn ihn ein Adliger ohrfeigte. Im Medienzeitalter haben die Würde des Einzelnen und sein guter Ruf den Ehrbegriff weitgehend ersetzt. Am guten Ruf kann ein jeder kratzen, sogar Fremde, die das Opfer ihrer Rufmordkampagne nie zuvor kennen­gelernt hat.

Wen niemanden kennt, hat auch keinen Ruf zu verlieren. Im Umkehrschluss heißt das: Je mehr Kontakte Sie pflegen, desto wichtiger wird Ihre Reputation. Der gute Ruf ist ein kollektives Urteil über Vertrauens­würdigkeit. Er umfasst all das, was andere sich über Sie erzählen. Das Vertrauen, das wir jemanden entgegen bringen – oder auch nicht – hängt zum größten Teil von Informationen aus zweiter Hand ab. Den Politikern, denen Sie misstrauen, sind Sie noch nie begegnet. Sie gewinnen Ihr Urteil aus dem, was die Medien berichten. Aus zahlreichen Details, Kommentaren und Anekdoten formen wir ein Wertungsschema. Das gilt auch für Personen aus dem Bekanntenkreis. Hier stammen die Informationen aus einigen persönlichen Eindrücken, Klatsch und Tratsch sowie Vermutungen über die Motive, warum die Person so handelt.

Wiederholungen bekräftigen einen Ruf. Dazu führte der Kanadier Larry Jacoby in den 1990-er Jahren folgendes Experiment durch. Er fragte Leute, ob sie Personen aus einer von ihm vorgelegte Liste kennen.  Darunter befand sich auch eine erfundene Person, nennen wir sie Herr X. Wie nicht anders zu erwarten war, kannte keiner der Befragten Herrn X. An einem der nächsten Tage unterbreitete Jacoby den gleichen Leuten eine andere Liste, auf der sich wieder Herr X befand. Diesmal kam sein Name einigen Befragten bekannt vor. Sie gaben daher an, ihn zu kennen. Allein die wiederholte Nennung eines Namens genügt, um den Ruf zu begründen, es handle sich um eine bekannte Persönlichkeit.

Der gute Ruf hat also zwei Gesichter. Eine einzige gewichtige negative Information kann ihn zerstören. Aber im positiven Fall besitzt er die Tendenz, sich selbst zu verstärken. Wer zumindest einen kleinen positiven Ruf besitzt, braucht sich nur weiter so verhalten wie bisher. Die Mitmenschen werden darin eine Bestätigung Ihrer Meinung über ihn sehen. Aus dem kleinen wird ein großer guter Ruf. Die Fachleute sprechen vom „Matthäus-Effekt“, benannt nach dem Apostel, in dessen Evangelium (Kapitel 25, Vers 29)  es heißt: „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.“

Über Unbekannte formen wir in Sekundenbruchteilen ein vorläufiges Urteil. Es beruht fast ausschließlich auf Äußerlichkeiten. Dabei ist nicht Schönheit das wichtigste, sondern Sympathie. Vier entscheidende Einflussfaktoren sind:

Ähnlichkeit: Wir finden Menschen am besten, die uns ähnlich sind. Exzentriker fallen zwar auf, werden aber auf Abstand gehalten. Zeigen Sie in Kleidung, Sprechweise und Verhalten, dass Sie einer von der Gruppe sind, zu der Sie Kontakt suchen. Wenn Sie Ihre Eigenständigkeit unterstreichen wollen, beschränken Sie sich auf ein Accessoire.

Gleiche Werte: Bestätigen Sie die Meinungen, die neuer Bekannter äußert. Selbst wenn Sie seine Ansicht unmöglich finden, nicken Sie erst mal. Statt zu widersprechen, fragen Sie nach den Gründen für seine Meinung. Suchen Sie in ersten Gesprächen nach gemeinsamen Ansichten und Werten. Die anderen sollten am Ende denken: „Das ist einer von uns.“ Erst danach ist es möglich, Unterschiede zu diskutieren, ohne einander gleich als Gegner auszuschließen.

Status-Understatement: Gleichrangige finden am leichtesten Zugang zueinander. Ein Höhergestellter mahnt zur Vorsicht, ein Nobody ist uninteressant. Die Versuchung ist groß, mit Heldentaten zu prahlen und seine Position hervorzustreichen, um sich Respekt zu verschaffen. Nehmen wir an, das gelingt – die anderen werden dann gut überlegen, was sie von sich preis geben. Und erleichtert aufatmen, wenn sie wieder unter sich sind. Damit verliert der Höhere die Chance, auf seinen Ruf selbst Einfluss zu nehmen. Er hängt in Zukunft davon ab, welche Gerüchte ihm zugetragen werden.

Wahrhaftigkeit: Zeigen Sie sich von Ihrer besten Seite, aber führen Sie kein Schauspiel auf. Versuchen Sie nicht, jemand anderes darzustellen. Selbst wenn Ihnen das gelingen sollte – was werden Sie beim zweiten und dritten Treffen tun? Ihre Rolle immer weiter spielen? Das dürfte sehr anstrengend werden und auf Dauer kaum durchzuhalten sein. Den besten Eindruck hinterlassen Sie, wenn nicht Sie sich produzieren, sondern dieses Vergnügen Ihren neuen Freunden gönnen. Das bringt Ihnen zwei Vorteile: Eine mögliche Blamage trifft andere. Und niemand wirkt sympathischer als ein dankbares Publikum.

Im zweiten Teil finden Sie weitere praktische Tipps, wie Sie Ihren guten Ruf aufbauen und pflegen.

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Der Matthäus-Effekt Warum Erfolg noch erfolg­reicher macht

Veröffentlicht im Oktober 2010 © by www.berlinx.de

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