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Sind Sie empfind­samer als andere?

Ist Ihnen die Welt zu laut, zu auf­dringlich, zu schnell und zu bunt? Sind Sie nicht nur manchmal, sondern ständig genervt? Dann gehören Sie viel­leicht zur Gruppe der hoch­sensiblen Zeit­genossen.

„Sei nicht so empfindlich!“ An 15 Prozent der Menschen richten wir diese Mahnung vergeblich. Sie reagieren sensibler als die übrigen 85 Prozent auf jede Art von Reiz. Mittlere Lautstärke empfinden sie als Lärm, rasch wechselnde Bilder als nerviges Geflimmer, einen Stoß an eine Tischkante als heftigen Schmerz und harmlosen Spott als schwere Kränkung.

Wir sind genetisch auf eine optimale Menge von Reizen vorprogrammiert. Wir können pro Minuten nur eine bestimmte Menge von Informa­tionen verarbeiten. Vor zu starken Reizen wie Lärm weichen wir unwillkürlich zurück, um unsere Ohren und unsere Nerven vor Schäden zu schützen.

Dieser optimale Bereich ist aber nicht für alle Menschen gleich. Während Schwer­hörige ihren Fernseher lauter stellen, ertragen Hoch­sensible kaum mittlere Lautstärken. Ihre Sinne und ihre Reiz­verarbeitung sind auf niedrigere Werte eingestellt. Da dieser optimale Bereich vererbt wird, helfen Mahnungen wenig.

Die Veranlagung zu hoher Empfind­samkeit bringt im Alltag viele Nachteile mit sich. Unsere Gesellschaft ist in ihren Reizen, die sie aussendet, auf mensch­liches Mittel­maß eingerichtet. Wer schlechter sieht oder hört als der Durchschnitt, kann Brillen und Hörgeräte in Anspruch nehmen und findet ärztliche Hilfe. Wer aber normale Töne als Lärm empfindet, wird nur wenig Verständnis ernten.

Hochsensible Menschen reagieren oft mit Rück­zug. Sie meiden größere Gesell­schaften und alle Orte, wo es laut und bunt zugeht. 70 Prozent der Betroffenen gelten als schüchtern und introvertiert. Doch hoch­sensible Menschen verfügen auch über Vorteile. Sie haben ein Ohr für menschliche Zwischen­töne. Kunst­erlebnisse sind für sie oft ein Quell tiefer Freude, weil sie Details feiner wahrnehmen.

Doch Achtung! Nicht jeder, der sich als sensibel bezeichnet, ist es auch. Empfindsam zu sein ist für manche eine bequeme Ausrede, um sich berechtigter Kritik zu entziehen. Oder um Gefühle vorzutäuschen, wo keine sind. Nur wer folgende Fragen ehrlich mit Ja beantworten kann, besitzt tatsächlich eine erhöhte Sensibilität:

  • Können Sie kleinste körperliche Schmerzen kaum ertragen?
  • Gibt es Musikstücke oder Gemälde, die Sie tief bewegen?
  • Meiden Sie brutale Szenen in Filmen?
  • Stört Hunger Sie beim Lösen von Denkaufgaben?
  • Hat man Sie schon öfter als schreckhaft bezeichnet?
  • Lassen Sie sich leicht von den Stim­mungen Ihrer Mit­menschen beeinflussen?
  • Finden Sie Geräusche, grelle Farben oder Gerüche als störend, die andere als harmlos bezeichnen?
  • Brauchen Sie Ordnung und klare Strukturen, um Aufgaben erledigen zu können?

 

Falls Sie hochsensibel sind: Wie können Sie mit der Reiz­überflutung klar kommen, ohne Ihre Mitmenschen zu verärgern? Die wichtigsten Regeln für Sie:

  • Akzeptieren Sie Ihr Anderssein. Es hat auch seine positiven Seiten.
  • Setzen Sie Grenzen. Sagen Sie Ihren Mitmenschen, dass Sie bestimmte Dinge nicht ertragen können, die für die anderen normal sind.
  • Versuchen Sie nicht, uner­trägliche Reize zu auszuhalten, bloß um „normal“ zu wirken.
  • Jammern und klagen Sie nicht. Sagen Sie lieber: „Ich bitte um Verständnis, dass ich … meiden möchte.“
  • Jeder hat das Recht, Vorlieben und Abneigungen zu äußern. Auch Sie.
  • Haben Sie im Gegenzug Verständnis, dass Ihre Nächsten Reize mögen, die Sie nicht aushalten. Wenn Sie Verständnis zeigen, werden auch die anderen eher bereit sind, Ihre Besonder­heiten zu akzeptieren.

Falls Sie als „Normalo“ hochsensible Menschen um sich haben:

  • Versuchen Sie nicht, sie zu erziehen. Reiz­empfind­lichkeit ist angeboren.
  • Erlauben Sie ihnen, sich zurück­zuziehen und Aktivitäten zu meiden, die Sie anregend finden.
  • Lassen Sie sich nach gemeinsamen Kunst­erlebnissen von ihren Eindrücken berichten. Sie werden vieles erfahren, was Ihnen entgangen ist.

Weitere Informationen finden Sie auf folgenden Internetseiten:
www.zartbesaitet.net
www.sensibel-beraten.de

Unsere Buchtipps:
Elaine N. Aron: Sind Sie hochsensibel ? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen. Mvg, € 17,90
Georg Parlow: Zart besaitet. Selbstverständnis, Selbstachtung und Selbsthilfe für hochempfindliche Menschen, Festland Verlag Wien, € 23,–

Lesen Sie bei uns auch:
Die Logik der Gefühle Warum es vernünftig ist, Wut, Angst und Freude zu empfinden
Mimose trifft Rambo Die Gefühlswelten von Frauen und Männern
Gefühl und Vernunft Warum zwei Seelen in unserer Brust kämpfen
Scham Warum wir peinliche Gefühle entwickeln
Starker Charakter Wie Sie Ihre Persönlichkeit festigen

sowie unsere Serie über die Sinne:

Sehen Wie unsere Augen unser Erleben bestimmen
Hören Das Ohr als Medium menschlicher Kommunikation
Geruch Was die Nase uns über unsere Mitmenschen verrät
Geschmack Wie die Zunge unser Stilempfinden prägt
Tasten und Berührung Wie Fühlen unsere Emotionen beeinflusst
Gleichgewicht, Temperatur und Schmerz Die vergessenen Sinne
Der sechste Sinn Gibt es ein intuitives Wahrnehmen?
Der Sinn des Lebens Warum sind wir auf der Welt?

Veröffentlicht im November 2011 © by www.berlinx.de

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