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Welchen Nutzen bringt Ihnen Ratgeberliteratur?

Seit sieben Jahren veröffentlicht Egonet kostenlosen Rat für die alltägliche Lebensführung. Doch ist solcher Rat überhaupt von Nutzen? Muss nicht jeder für sich allein herausfinden, was ihm gut tut? Egonet schaut heute mit Ihnen hinter die Kulissen.

Haben Sie schon einmal auf einer Geburtstagsparty nach einem guten Gesprächsthema für alle gesucht? Fragen Sie beim nächsten Mal Ihre Gäste, was sie von Ratgeberliteratur halten! Sie werden keine Mühe haben, mit dieser Frage eine lebhafte Diskussion über das Für und Wider von Expertenempfehlungen zu entzünden.

Einige werden stolz erklären: „Ratgeber? Lese ich nie!“ Doch wer meint, er könne fremden Rat entbehren, irrt. Von Kindheit an folgen wir fremden Empfehlungen – von Eltern, Lehrern, Mitschülern sowie Vorbildern aus Büchern und Filmen. Nicht der Ratschlag an sich ist dem Verweigerer verdächtig, sondern seine Anonymität. Von einem guten Freund einen persönlichen Rat anzunehmen, das wird keiner ernsthaft verteufeln. Aber kann ein Buchautor, der mich noch nie gesehen hat, wissen was mir gut tut? Sind frühere Generationen nicht auch ohne Ratgeberliteratur ausgekommen?

Eines der ältesten Ratgeberwerke ist die Bibel. Dort finden sich ein Fülle von Ratschlägen für eine gute Lebensweise. Ebenso im Koran oder in der buddhistischen Lehre vom edlen achtgliedrigen Weg – er umfasst Einsicht, Entschluss, Rede, Tat, Wandel, Streben, Wahrheit und Versenkung. Antike Philosophen wie Epikur, Seneca und Marc Aurel gaben Tipps für das persönliche Glück. Das indische Kamasutra und Die Kunst zu lieben des Römers Ovid waren die ersten Erotikratgeber. Der berühmteste Ratgeber der Neuzeit ist auch schon an die 230 Jahre alt. Es ist der „Knigge“ – das Buch Vom Umgang mit Menschen des Freiherrn Adolph von Knigge.

Der Unterschied zu früheren Jahrhunderten? Die Religionen lieferten einst verbindliche Anleitungen zur Lebensführung. Heute ist jeder frei, seinen eigenen Weg zu finden. Das bringt Freiheit, aber auch Unsicherheit. Welcher der vielen möglichen Wege ist für mich der richtige? Wir lesen nicht nur viele verschiedene Ratgeber. Wir brauchen auch Rat, um uns in der Vielzahl unterschiedlicher Empfehlungen zurecht zu finden.

Nur der kann seine Freiheit nützen und genießen, der über Wissen verfügt. Um frei zu sein, brauchen Sie die Kompetenz, die vielen Optionen zu überblicken und die besten auszuwählen.

Natürlich werden Sie zuerst Freunde um Rat fragen. Aber je komplizierter und vielfältiger das Lebens wird, desto öfter werden Sie auf Probleme stoßen, wo Ihnen kein Freund weiter helfen kann. Und die vielen Menschen, die überhaupt nur wenige oder gar keine engen Freunde besitzen? Wir müssen also zunehmend Rat außerhalb unserer Bekanntenkreise suchen.

Wer persönlichen Kontakt zu Fachleuten sucht, muss mit Wartezeiten und steigenden Kosten rechnen – nicht nur im Gesundheitswesen. Wer kann sich schon für jedes Problem seinen eigenen Experten leisten! Ob Steuerberater, Geldanlage, Gesundheitsvorsorge, Berufserfolg, Paarberatung – kaum jemand kann auf jedem Feld seinen eigenen Berater vorweisen. Und auch deren Rat ist manchmal von eher zweifelhaftem Wert.

Ratgeberliteratur springt in die Lücke. Für zehn bis zwanzig Euro können Sie zwischen zwei Buchdeckeln das Wissen erwerben, mit Ihren Schwierigkeiten selbst fertig zu werden. Das spart nicht nur Geld. Es ermuntert Sie auch, aktiv zu werden. Werden Sie Ihr eigener Experte! Entwickeln Sie Ihre eigene Kompetenz, Probleme zu lösen!

Wie gut sind also Ratgeberbücher? Ist diese Art von Literatur ihr Geld wert? Was Ihre Gäste auf Ihrer Party auch einwenden mögen – Forscher der Fachhochschule Bielefeld und des St. Mary’s Hospital in London haben diese Frage untersucht. Sie verglichen Personen, die bei einem Problem Ratgebertipps folgten, mit anderen, die Experten aufsuchten oder nur aus dem Bauch heraus handelten. Die Wissenschaftler fanden heraus: Ratgeberliteratur hilft erstaunlich gut. Angst und Depression besserten sich deutlich. Die Leser(innen) wurden gelassener, aktiver und weniger aggressiv. Auch bei Bulimie sowie Nikotin und Alkoholentwöhnung zeigten sich in der Studie gute Ergebnisse. Für die übrigen Probleme gibt es noch keine Studien.

Im Einzelnen hängt der Nutzen jedoch von zwei Fragen ab:

  1. Wie gut ist das Ratgeberwerk? Wie bei Experten, die Sie persönlich kennen lernen, gibt es auch unter Buchautoren schwarze Schafe.
  2. Wie geht der Nutzer mit den Tipps um? Folgt er blind den Empfehlungen, begnügt er sich mit bloßer Lektüre oder kann er die allgemeinen Tipps auf seine Situation hin übersetzen?

Um die Qualität des Werkes zu beurteilen, benötigt man selbst eine gewisse Kenntnis der Materie. Wenn Sie zum Beispiel Rat zur Geldanlage brauchen, aber keine Ahnung davon haben, lesen Sie am besten zuerst ein informierendes Sachbuch, das Ihnen die Grundlagen erklärt. Wenn Sie dann in der Lage sind, Ratschläge kritisch zu beurteilen, nehmen Sie sich Ratgeber vor.

Achten Sie darauf, ob der/die Autor(in) in erster Linie seine/ihre persönliche Meinung berichtet oder sich auf objektives Wissen stützt – Studien, Statistiken, Fallbeispiele und ähnliches.

Wenn möglich, lesen Sie zwei (oder mehr) Ratgeber, die das gleiche Problem aus unterschiedlicher Perspektive beleuchten. So erkennen Sie, über welches Wissen die Experten sich einig sind und wo Sie streiten.

Wie praktikabel sind die Empfehlungen? Viele Autoren bleiben zu allgemein. Beispiel: „Nehmen Sie die Krise als Chance.“ Ja, aber wie? Oder: „Vertrauen Sie Ihren Gefühlen, handeln Sie aus dem Bauch heraus.“ Wer ein Problem hat, fühlt sich jedoch von gegensätzlichen Gefühlen hin- und hergerissen. Welchem soll er nun folgen? Er braucht in dieser Situation Anleitung zur Selbsterkenntnis und Entscheidungshilfen.

Ermutigen die Ratgeber oder erzeugen Sie lediglich ein schlechtes Gewissen? Viele Diätbücher zum Beispiel behaupten, Schlanksein sei kinderleicht. Sie suggerieren somit dem Dicken, der sich seit Jahren vergeblich bemüht abzunehmen, er sei unfähig und undiszipliniert. Es gibt aber zahlreiche Übergewichtige, die im Job zuverlässig, kompetent, belastbar und willensstark sind. Abnehmen ist in erster Linie eine Frage des richtigen Wissens und Verhaltens. Nur ein Ratgeber, der dazu anleitet, taugt etwas.

Natürlich können Sie einen Ratgeber einfach nur lesen – zur Unterhaltung oder um sich zu informieren. Dann dürfen Sie freilich keine Veränderung erwarten. Ob seine Tipps etwas taugen, erfahren Sie erst, wenn Sie die Ratschläge im täglichen Verhalten umsetzen. Nicht nur probeweise, sondern in aller Konsequenz.

Es ist allerdings in Ordnung, zunächst verschiedene Empfehlung auszuprobieren. Nicht jedes Programm taugt für jeden. Die Brigitte-Diät beispielsweise gilt unter Fachleuten als vorbildlich. Doch sie erfordert, alle Mahlzeiten selbst zuzubereiten, zum Teil mit hohem Aufwand. Wenn Ihr Job das nicht zulässt, sollten Sie lieber eine andere Diät ausprobieren, zum Beispiel Trennkost. Und die Diät durch eine kalorienzehrendes Fitnessprogramm ergänzen.

Experten sind keine Götter. Auch ihr Wissen ist nur vorläufig. Neue Forschung kann ihre Ergebnisse (teilweise) über den Haufen werfen. Nehmen Sie daher keine Empfehlungen als endgültig an, sondern informieren Sie sich von Zeit zu Zeit über neue Entwicklungen.

Veröffentlicht im Dezember 2005 © by www.berlinx.de

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