Print Friendly, PDF & Email

Warum die drastische Sprache niemals ausstirbt

„Himmelkreuzdonnerwetter!“ und kräftigere Ausdrücke gehören zum Alltag. Wir geben es nicht gern zu, aber die dunkle Seite der Sprache ist unserem Denken immer präsent – und manchmal springt sie uns unversehens über die Lippen. Woher kommt der Drang, mit Worten zu schockieren?

Historisch gesehen stammt das Fluchen aus der Magie. Unsere Vorfahren sprachen einen Fluch über missliebige Zeitgenossen aus. Noch heute ist die Erinnerung an den bösen Zauber in Flüchen präsent wie „Zum Teufel mit dir!“ Zugleich verbot die Bibel den Namen des Herrn für finstere Zwecke zu missbrauchen. Der kreative Flucher fand einen Ausweg. Statt „Herr Jesus“ sagte er „Herrjeh“, wenn ihm ein Missgeschick widerfuhr. Er gehorchte dem Verbot, und doch wusste jeder, was gemeint war. Eine Methode, die auch heute noch in Gebrauch ist. Zum Beispiel, wenn der verschämte Autor in seinem Text das Wortende durch Pünktchen ersetzt: „So eine Sch …!“

Freud und seine Psychoanalyse fanden die erste überzeugende Erklärung, warum wir fluchen. Geächtete seelische Regungen brechen bei starken Gefühlen aus dem verdrängten Unbewussten hervor, und machen sich in einer tabuisierten Sprache Luft. Seitdem hat die Forschung nicht viel Neues entdeckt. Obwohl jeder viele Flüche kennt und gebraucht, haben die Forscher diesen Teil der Sprache weitgehend ignoriert. Die meisten Fakten sind eher nebenbei, im Rahmen anderer Studien, ans Licht gekommen.

Eltern versuchen, ihre kleinen Kinder von schlechten Worten fern zu halten: „So etwas sagt man nicht.“ Vergeblich! Kinder erlernen nicht nur die Worte und Grammatik ihrer Muttersprache. Sie erkennen auch genau, was bei welcher Gelegenheit gesagt werden darf und was nicht. Denken Sie einmal an alle „schmutzigen“ Worte, die Sie sehr genau kennen, aber mit Empörung zurückweisen würden, wenn ein anderer sie ausspräche. Dennoch muss sie mal jemand vor Ihren Ohren ausgesprochen haben. Sonst würden Sie sie nicht kennen.

Die Neurolinguistin Diana Van Lancker von der New York University hat Ende der 90er Jahre herausgefunden, dass Kinder sehr früh die Sprache des Fluchens erlernen. Wie alles Verbotene reizen drastische Wörter ihre Neugier. Je jünger sie sind, desto unbefangener benutzen sie sie untereinander, auch – und gerade – wenn sie ihre genaue Bedeutung noch nicht verstehen. Erst mit den Jahren tragen die Hemmungen des „Benimm“ den Sieg davon. Die Wörter werden nicht vergessen, aber nur noch in Ausnahmefällen gebraucht. Um zu schockieren, oder weil die innere Kontrolle versagt.

Van Lancker fand ebenfalls heraus, dass Flüche sehr tief im Gehirn verankert sind. Wenn jemand einen Schlaganfall erleidet und einen Teil seines Sprachvermögens verliert, ist das Fluchen einer der letzten Bereiche, der noch voll intakt bleibt. Fluchen ist quasi eine automatisierte Fähigkeit – so wie Schwimmen oder Radfahren, die man auch nicht wieder verlernt – und wird nur von sozialen Hemmungen in Schach gehalten. Wir fluchen deshalb, wenn die Hemmungen durch raschen, starken Ärger außer Kraft gesetzt werden.

Das kann aber auch durch eine Krankheit geschehen – das Tourette-Syndrom. Die Betroffenen können infolge einer neurologischen Störung ihre Fähigkeit zu fluchen nicht unter Kontrolle halten. Trotz besseren Wissens entfahren ihnen in den unpassendsten Situationen peinliche Flüche. Die Kranken besitzen ebensoviel Moral und Achtung vor Ihren Mitmenschen wie Sie und ich. Doch ihr Fluch-Automatismus ist stärker.

Wer häufiger flucht, ist nicht unbedingt schlechter erzogen. Meist ist ein impulsiver Charakter schuld. Das gilt auch für das nichtsprachliche Fluchen – den Stinkefinger. Meist keine gut überlegte, gezielte Beleidigung, sondern lediglich der spontane Ausdruck von Ärger. Der sich oft nur zufällig gegen die Person entlädt, die dem Flucher gerade im Wege steht.

In den letzten Jahren ist die Hemmschwelle gesunken. Die juristischen Klagen wegen Beleidigung nehmen zu. Die Menschen sind nicht böser geworden. Sondern die Fähigkeit, sein Verhalten unter Kontrolle zu halten, sinkt. Es gilt als schick, spontan und impulsiv zu reagieren. Wer sich selbst kontrolliert, gilt als zwanghaft und langweilig.

Wenn Sie das nächste Mal fluchen oder Ihnen jemand Flüche entgegen schleudert – hier einige Tipps von Egonet:

  • Werten Sie es als Zeichen überbordenden Ärgers. Hinter Flüchen stecken keine gezielten Beleidigungen. Die kommen eher leise und hinterhältig daher. Falls Sie oft ausrasten, üben Sie ein, grundsätzlich erst zwei Sekunden die Luft anzuhalten, bevor Sie sich äußern.
  • Sehen Sie das Positive am Fluchen. Ohne die Kenntnis böser Wörter, hätten wir keinen Vergleichsmaßstab um zu wissen, was eine saubere, gewählte Sprache ist.
  • Grobe Sprache spielt bei Tabubrüchen eine Rolle. Die sexuelle Revolution war eine Befreiung der sexuellen Sprache. Grobe Sprache ist direkt und eindeutig, feine Sprache mehrdeutig und verhüllend. Jedes Sprachniveau hat seine Berechtigung – je nach der Kulturebene, auf der Sie sich gerade verständigen wollen.

Veröffentlicht im Januar 2007 © by www.berlinx.de

No votes yet.
Please wait...