Print Friendly, PDF & Email

Sich in andere hineinversetzen

Ihre Kollegin ist ungewohnt schweig­sam – ahnen Sie, was in ihr vorgeht? Ihr bester Kumpel schimpft auf Gott und die Welt – warum ist er so mürrisch? Wir geben Ihnen eine Einführung in die Kunst des Gefühle-Lesens.

Tina beklagt sich über ihren Verlobten: „Er will, dass ich meinen Job aufgeben, wenn wir heiraten. Dass er so weit geht, mich vor seinen Kumpels zu verspotten! Für so wenige Kröten würde er morgens nicht aus dem Haus gehen …“

Wie würden Sie reagieren, wenn Tina Ihre beste Freundin wäre?

  • Schimpfen Sie mit ihr über den arroganten Kerl?
  • Raten Sie ihr, ihn laufen zu lassen und sich einen anderen zu suchen?
  • Fragen Sie, aus welchem Anlass es zu den Szene kam?
  • Geben Sie Ihren eigenen Ärger zum Besten? Etwa so: „Das kenne ich. Mein Torsten versucht es immer wieder. Aber ich spiele doch für ihn nicht das abhängige Haus­mütterchen.“

Wer mit heftigen Gefühlen eines anderen kon­frontiert wird, reagiert meist mit Abwehr:

  • Sie gibt Ratschläge, die die Betroffene längst als untauglich verworfen hat.
  • Sie fragt nach den Handlungen, um nicht über die Gefühle reden zu müssen.
  • Sie antwortet mit eigenen Erlebnissen, weil ihr das innere Chaos ihrer Freundin unangenehm ist.

Manche fallen ins andere Extrem und übernehmen die heftigen Gefühle ihrer Freundin. Sie verzweifeln und klagen mit ihr. Statt ein starke Schulter zu bieten, muss die Freundin am Ende die Person trösten, vor der sie sich Trost erhoffte.

Empathie ist die Kunst, Gefühle zu „lesen“, ohne sie zu übernehmen. Sie verstehen, was Ihr Gegenüber bewegt, auch wenn Sie sich selbst noch nie in der Situation befunden haben. Gleichzeitig bewahren Sie Ihr eigenes Gefühls­leben. Sie behalten inneren Abstand. Psychologen lernen diese Kunst in ihrer Ausbildung. Wenn sie in ihrem Beruf trauma­tisierten Personen helfen sollen, dürfen sie sich nicht mit in deren Gefühls­abgrund ziehen lassen.

Die Fähigkeit, Gefühle anderer zu verstehen, gehört zu unserer seelischen Grund­ausstattung. Allerdings ist sie häufig verschüttet, weil wir im Alltag auf Leistung und Konkurrenz orientiert sind. Mit drei einfachen Übungen können Sie Ihre Empathie zurück gewinnen:

Beobachten Sie Ihre Mitmenschen. Versuchen Sie, sich so viele Motive wie möglich auszudenken, warum der Beobachtete sich gerade so verhalten hat und nicht anders: „Er tut das, weil …“ (er schlecht geschlafen hat, Liebeskummer hat, abgelenkt war, an sein Rendezvous heute Abend gedacht hat, und so weiter).

Lernen Sie zuhören. Unterdrücken Sie Ihren Drang, sofort eigene Kommentare abzugeben. Versuchen Sie zu verstehen, was im Kopf Ihres Gegenüber vorgeht. Signalisieren Sie durch kurze Sätze, dass Sie verständnisvoll zuhören, zum Beispiel: „Du hast dich sicher schrecklich gefühlt“ oder „Was hast du dabei empfunden?“

Machen Sie sich Ihre Gefühle bewusst. Wie hätten Sie sich an der Stelle Ihres Gegenüber gefühlt? Was empfinden Sie anders? Und warum? Statt Ratschläge zu geben, fragen Sie: „Was wirst du jetzt tun?“ Lassen Sie Ihr Gegenüber selbst die für ihn passende Strategie heraus­finden.

Die meisten von uns reagieren spontan auf ein gezeigtes Verhalten. Nur selten überlegen wir, welche Gefühle dahinter stehen. Kein Wunder: Was jemand tut, sehen wir sofort. Was in seinem Kopf vorgeht, müssen wir erst heraus­finden. Das kostet Zeit, macht Mühe, und wir können nicht sicher sein, dass wir die Gefühle richtig ent­schlüsselt haben.

Wer sich um Einfühlung bemüht, zeigt Interesse am Mitmenschen. Die meisten von uns reagieren dankbar. Denn tieferes Interesse am anderen ist selten geworden. Empathie nützt aber vor allem uns selbst. Sie steigert unsere emotionale Intelligenz. Wir lernen nicht nur andere, sondern auch unsere eigenen Gefühls­umschwünge besser verstehen.

Lesen Sie bei uns auch:
Empathie Menschen verstehen durch intuitive Einfühlung
Der erste Eindruck Wie Sie sofort Sympathiepunkte gewinnen
Sympathie Beliebt sein kann man lernen

veröffentlicht im Dezember 2014 © by www.berlinx.de

No votes yet.
Please wait...