Print Friendly, PDF & Email

Warum zehn kleine Siege uns glücklicher machen als ein einziger großer

Beneiden Sie manchmal Sieger, die es über Nacht mit einer Tat von Unbekannt zu großer Prominenz geschafft haben? Egonet erklärt, warum wir lieber nicht mit ihnen tauschen sollten.

Der junge Leutnant Giovanni Drago träumt von einer glanzvollen Militärkarriere. Leider wird er in die abgelegene Grenzfestung Bastiani versetzt. Die einzige Hoffnung, die ihn beim Blick auf die öde Wüste aufrechterhält, ist ein Angriff der Tartaren. Dann könnte er sich Ruhm in einer großen Schlacht erwerben. 35 Jahre wartet er vergeblich. Am Ende stirbt er eines natürlichen Todes. Genau in dem Moment, als die berittenen Tartaren endlich am Horizont erscheinen.

Diese Geschichte von vergeblichem Hoffen erzählte der Italiener Dino Buzzati in seinem (verfilmten) Roman Die Tartarenwüste, auf deutsch auch unter dem Titel „Die Festung“ erschienen. Sein Leutnant machte die Hoffnung auf ein unwahrscheinliches Ereignis zu seinem Lebenssinn. Dabei dachte er sicher an große Vorbilder, die tatsächlich große Heldentaten vollbrachten – Alexander der Große, Caesar oder Napoleon.

Das Verführerische an der großen Hoffnung ist, dass es die Super-Gewinner tatsächlich gibt. Immer wieder begegnen uns Stars, Selfmade-Millionäre und Lotto-Gewinner in den Medien. Viel häufiger als im realen Leben. Beim Interview eines Sängers, der gerade die Hitparaden erstürmt, vergessen wir die tausend ebenso fähigen Sänger, die niemals jemand interviewen werden.

Die meisten von ihnen sind mit ihrem Leben in der zweiten Reihe durchaus zufrieden. Sie haben ihre Auftritte und ihren kleinen Fankreis. Manchmal träumen sie zwar vom Durchbruch auf die große Bühne – ohne wirklich daran zu glauben. Sie kennen das Geschäft zu genau, um sich Illusionen hinzugeben. Sie kennen die Schattenseiten des Supererfolgs:

Große Siege sind selten. Klar, wer den Durchbruch an die Spitze schafft, schwebt auf Wolke neun. Bis sich nach einem halben Jahr die Frage stellt: Gelingt es mir, den Erfolg zu wiederholen? Oder kommt jetzt das große Vergessen, während andere meinen Platz an der Spitze einnehmen?

Kleine Erfolge lassen sich leichter wiederholen. Das zeigt eine einfache Überlegung. Nehmen wir an, Sie sind so gut, dass Sie in der Kreisklasse mit etwas Anstrengung einen der ersten zehn Plätze erringen können. Dort sind Sie nicht allein, sondern es gibt noch neun andere, die ebenfalls gut genug für einen der vorderen Plätze sind. Mal landen Sie auf Platz drei, mal ein anderer. Aber Sie sind immer dabei. Ganz anders sieht es mit Platz eins aus. Da sind die anderen neun plötzlich unangenehme Konkurrenten. Nur einer kann es schaffen. Und wenn Sie siegen und aufsteigen in die Bezirksklasse, haben Sie es mit überlegenen Kämpfern zu tun, die Ihnen womöglich eine Niederlage nach der anderen verpassen, bis Sie wieder absteigen.

Glück erwächst aus der Dauer, nicht aus der Einmaligkeit. Es gibt einige Dutzend aktuelle Stars, aber Hunderte, die früher mal Stars waren. Nur wenige schafften es, danach ein zweites Leben mit einem anderen Lebenssinn zu beginnen. Die meisten trauern ewig dem vergangenen Ruhm nach. Sie versuchen hartnäckig, den alten Erfolg zu wiederholen. Oder sie pflegen ihr Archiv und verbringen den Rest ihres Lebens in Nostalgie an ihre goldenen Zeiten. Der einmalige Höhepunkt wurde erkauft mit Jahren des Abstiegs und des Unglücks.

Unsere Seele ist an einen täglichen Überlebenskampf angepasst. Wer als Urmensch Tag für Tag Kleintiere jagte und Wurzeln sammelte, überlebte. Einmal im Jahr ein Mammut zu erbeuten, brachte kurzzeitigen Überfluss – aber es gab keine Gefriertruhen, um den Fleischüberfluss für schlechte Zeiten zu konservieren. Daraus sind Volksweisheiten entstanden wie:

  • Einmal ist keinmal.
  • Nutze des Tag.
  • Renne nicht mit dem Kopf durch die Wand.
  • Leben jeden Tag so, als wenn es dein letzter wäre.

Hoffnung ist ein motivierende Kraft. Aber nur, wenn sich die Erwartungen in absehbarer Zeit erfüllen. Hoffnung ermöglicht es uns, Durststrecken durchzustehen. Wir müssen Jahre lang studieren und untere Plätze in der Hierarchie ausfüllen, bevor wir – vielleicht – aufsteigen. Ein Forscher führt Dutzende vergeblicher Experimente durch, ehe er die eine Substanz findet, auf die die Menschheit wartet.

Der Erfinder Edison soll nach jedem Fehlversuch gesagt haben: Ich habe eine neue Variante gefunden, wie es nicht funktioniert. Am Ende stand bei ihn freilich der Erfolg. Er hatte erkannt, dass ein Faden aus Wolfram sich für eine Glühlampe eignet.

Wenn Sie voll Hoffnung ein Ziel anstreben, beachten Sie drei Regeln:

  • Versuchen Sie aus jedem Misserfolg etwas zu lernen. Lehrt mich, wie es nicht funktioniert, etwas darüber, was funktionieren könnte?
  • Setzen Sie sich ein Limit. Wenn Sie nach einer gewissen Anzahl von Versuchen immer noch am Anfang stehen, ändern Sie Ihr Ziel.
  • Opfern Sie Ihr Dasein nicht einer einzigen Idee. Betrachten Sie Ihre Zukunft nicht wie einen dunklen Tunnel, sondern als eine weite, lichte Ebene. Öffentlicher Erfolg ist nicht das einzige, wofür sich zu leben lohnt.

Lesen Sie bei uns auch:
Hoffnung – und kein Ende Können wir wissen, was das nächste Jahrtausend bringt?
Hoffnung Die Utopie im Alltag erleben

veröffentlicht im November 2014 © by www.berlinx.de

No votes yet.
Please wait...