Print Friendly, PDF & Email

Kann sich die Seele vom Körper trennen?

Sich selbst von außen beobachten  – ist das möglich? Als Geist über dem eigenen Körper schweben? Sind solche Out-of-Body-Berichte ernst zu nehmen oder pure Erfindung? Gibt es eine Seele ohne Gehirn?

Für gläubige Men­sch­en besteht kein Zweifel: Wir haben eine unsterbliche Seele, die am Lebensende den Körper verlässt. Seit 200 Jahren meldet die Hirnforschung Zweifel an. Zum Denken brauchen wir unser Gehirn. Stirbt es, sind auch Gedächtnis und Gefühle dahin. Zwar war es im 19. Jahrhundert Mode, mittels Tischrücken und Trance Kontakt zu den Seelen Verstorbener aufzunehmen. Doch kaum tauchten Forscher mit ihren Messgeräten auf, um die jenseitigen Mitteilungen aufzuzeichnen, verschwanden die Geister auf Nimmerwiedersehen.

In den letzten Jahren bekam die Suche nach körperlosen Seelen neuen Auftrieb. Denn es tauchten Berichte von Patienten auf, die in Narkose oder Koma sich selbst von oben beobachteten. Sie sahen ihren eigenen Körper unter sich im Bett liegen, in tiefer Bewusstlosigkeit. Hatte sich ihre Seele vom Körper getrennt?

Dieses Phänomen trat auf, wenn das Gehirn der Patienten eine Verletzung erlitten hatte. Verließ also das Bewusstsein sein geschädigtes Organ, um nicht selbst Schaden zu nehmen? Eine Ärzteteam vom Stockholmer Karolinska-Institut dachte sich eine Reihe von Experimenten aus, um diese Frage zu beantworten. Sie begannen mit folgender Alltagsbeobachtung:

Ist Ihnen schon einmal auf bewegter See schwindlig geworden? Oder bei der Fahrt auf einer Achterbahn? Die Ursache sind zwei sich widersprechende Sinneseindrücke. Mein Auge sieht eine stabile Horizontlinie – aber das Gleichgewichtsorgan im Innenohr meldet, dass sich mein Körper bewegt. Dieser Widerspruch ruft Schwindel hervor, mit dem uns das Gehirn auffordert, beide Sinnesdaten wieder in Übereinstimmung zu bringen.

Die Schwedischen Forscher vermuteten, dass etwas Ähnliches auch der außerkörperlichen Wahrnehmung zugrunde liegt. Um das zu überprüfen, setzten sie Freiwilligen eine Videobrille auf. Über diese Videobrille sahen sie sich selbst von hinten. Das Bild stammte von einer Kamera, die sich hinter ihrem Rücken befand. In diesem Bild sahen sie auch, wie der Forscher sie mit zwei Stiften im Rücken berührte. Das war allerdings ein Fake, eine Täuschung. In Wirklichkeit berührten die Stifte ihre Brust.

Welcher Sinneseindruck würde siegen? Was würden sie spüren? Die echte Berührung an der Brust? Die falsche am Rücken, die auf einer optischen Täuschung beruhte? Oder beide? Oder keine?

Die Versuchspersonen berichteten übereinstimmend, sie hätten die Berührung am Rücken gespürt.  Warum? Unsere Wahrnehmung ist von den Augen dominiert. Das Sehen ist unser wichtigster und zuverlässigster Sinn. Wenn die Sinne also Widersprüchliches melden, vertraut das Gehirn den Augen.

Das bestätigte sich, als die Forscher nun die Patientensituation nachspielten. Sie legten eine Puppe in ein Bett und ließen die Versuchsperson über die Videobrille die Puppe von oben beobachten. Wieder spürte sie eine Berührung und sah die Berührung der Puppe. In ihrem Empfinden vereinten sich beide Sinneseindrücke – sie glaubte für einen Moment, sich im Körper der Puppe zu befinden.

Diese Illusion verstärkte sich noch, als der Forscher ein Messer auf die Puppe richtete. Unwillkürlich zuckte der Freiwillige hinter seiner Videobrille ängstlich zurück vor dem vermeintlichen Angriff.

Eine Puppe sieht dem eigenen Körper ähnlich. Was geschieht aber, wenn das nicht der Fall ist? Zuerst tauschten die Forscher die Puppe gegen eine lebende Person aus. Das änderte nichts. Nun hatte der Freiwillige das Gefühl, sich bei der Berührung in dem Fremden zu befinden.

Und wenn die Puppe nur 30 Zentimeter groß ist, kleiner als ein Neugeborenes? Dann gewinnt man hinter der Videobrille nicht das Gefühl, geschrumpft zu sein – sondern alle Gegenstände und Personen der Umgebung wirken auf einmal riesengroß! So erging es schonGulliver in Swifts berühmtem Roman, als er in Reich der Liliputaner kam. Unser Bewusstsein hat im Laufe des Lebens ein Körpergefühl entwickelt, das den Ausmaßen unseres eigenen Körpers entspricht. Das bleibt auch während der optischen Täuschung erhalten. Folglich lässt das Bewusstsein im Zwergenkörper die Umgebung wachsen, um das Eigengefühl und das Gesehene in Übereinstimmung zu bringen.

Ist die Puppe nicht winzig klein, sondern vier Meter lang, dreht sich der Gulliver-Effekt um. Die Objekte der Umgebung scheinen zu schrumpfen.

Wenn längere Zeit keine Sinnesmeldungen im Gehirn ankommen, beginnt es zu halluzinieren. Das ist schon lange bekannt. Das Gehirn produziert aus früheren Gedächtnisinhalten Ersatzeindrücke. Ähnliches passiert auch, wenn wir träumen. Die genannten Experimente der schwedischen Forscher zeigten, dass auch das innere Körperempfinden getäuscht werden kann. Mich von außen sehen und mich von innen spüren – das kann sich unter extremen Bedingungen in Widersprüche verwickeln. Zum Beispiel, wenn nach einer Verletzung das Körperempfinden nicht mehr richtig funktioniert.

Eine tröstliche Botschaft zum Schluss: Nach der Selbstbeobachtung von außen haben alle Patienten ihren Körper wiedergefunden. Offenbar fühlt sich die Seele in ihrem Körper wohler als außerhalb.

Lesen Sie bei uns auch:

Das Ich und sein Gehirn Wer ist verantwortlich für meine Taten?

veröffentlicht im Oktober 2011 © by www.berlinx.de

No votes yet.
Please wait...