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Die Kunst des Spontanvortrags

Unerwartet sollen Sie ein paar lobende Worte über den Gastgeber sagen, einen Toast ausbringen oder vor versammelter Mannschaft das Anliegen der Kollegen vortragen. Wir verraten Ihnen die Tricks der Profis.

Plötzlich sind alle Augen und Ohren erwartungsvoll auf Sie gerichtet, aber im Kopf herrscht gähnende Leere. Was sag ich jetzt bloß? Warum hat mich keiner vorgewarnt? Da stehe ich, ohne Manuskript, ohne Konzept – nicht die leiseste Idee. Jetzt keine Panik. Es ist das Überraschungsmoment, das Ihre Kreativität lähmt. Atmen Sie durch und entspannen Sie sich. Eine spontane Rede zu halten, ist leichter als die meisten denken.

Haben Sie schon in einer Diskussion zu Wort gemeldet? Oder auf einer Party den Umstehenden von dem neuesten Film erzählt, den Sie als einzige(r) schon gesehen hatten? Das waren Reden aus dem „Stegreif“. Das Wort setzt sich zusammen aus „Steigen“ und „Reif“ und war einst eine Bezeichnung für den Steigbügel des Reiters. Aus dem Steigbügel redete ein berittener Bote, der es so eilig hatte seine Botschaft zu überbringen, dass nicht mal vom Pferd stieg. Aus dieser Herkunft ergeben sich drei Grundsätze, die Ihnen als Spontanredner helfen:

Niemand erwartet eine ausgefeilte Rede. Weder geschliffene Sätze noch eine streng logische Gedankenfolge sind nötig. Sprechen Sie so, wie Sie in einer lockeren Runde reden würden. Lassen Sie sich von dem scheinbar förmlichen Rahmen nicht einschüchtern.

Erzählen Sie das, was Sie wissen. Sie können keine Details Ihres Themas recherchieren. Natürlich wäre es schön, wenn Sie den Lebenslauf des Jubilars, den Sie loben sollen, nachlesen könnten. Aber unnötig. Erzählen Sie, wie Sie sich kennengelernt haben. Warum Sie über all die Jahre verbunden blieben. Welche gemeinsamen Bekannten anwesend sind. Und was Sie an ihm schätzen. Enden Sie mit der Hoffnung auf weitere schöne gemeinsame Jahre.

Je kürzer, desto besser. Viele Spontanredner zieren sich, aber wenn sie erst einmal angefangen haben, finden sie kein Ende. Das ist ein Zeichen von Unsicherheit. Sie enden nicht, bevor ihnen nicht ein genialer Gedanke einfällt, der Ihren Vortrag rund macht. Unser Tipp: Zwei Minuten Rede genügen vollauf. Das entspricht – je nach Ihrem Redetempo – ungefähr 300 Wörtern. Mehr als fünf Minuten sind bereits eine Zumutung. Die meisten Spontanredner ahnen nicht, wie schnell zwei Minuten vorbei sind. Legen Sie im Zweifelsfall eine Uhr vor sich hin oder bitten Sie Ihren Sitznachbar, Ihnen ein Zeichen zu geben.

Beruhigen durch langsames Ausatmen. Plötzlich reden müssen stresst wie der Angriff eines Raubtiers. Langsam ausatmen lässt Sie Ihre Fassung rasch wiedergewinnen. Angst vor einer Blamage? Sie sind auf keiner Gerichtsverhandlung, bei der es um Freiheit oder Lebenslänglich geht. Wer auch immer Sie zum Reden aufforderte, er wird Sie kennen und von Ihnen soviel rhetorisches Talent erwarten, wie Sie auch sonst schon zeigten.

Was den Redner unter Druck setzt, ist nicht mangelndes Wissen oder eine Unfähigkeit, Sätze zu artikulieren. Sondern der Zwang, ohne Struktur drauflos zu reden. Die Rhetorik hat für solche Fälle Standardstrukturen entwickelt, die sich für jedes Thema eignen. Wir stellen Ihnen eine einfache Abfolge aus fünf Punkten vor:

1. Anlass. Zuerst sagen Sie, weshalb Sie hier das Wort ergreifen: „Warum sind wir heute zusammen gekommen? Der Kollege Meyer ist seit dreißig Jahren bei der Firma. Das ist heutzutage schon eine Leistung für sich. Aber darüber hinaus …“

2. Thema. Sie sagen Ihnen, dass alle, die hier zusammen gekommen sind, den Kollegen würdigen möchten. Jeder aus unterschiedlichen, aber auch gemeinsamen Gründen.

3. Einzelheiten. Zählen Sie einige dieser Gründe auf. Ohne den Jubilar wäre die Firma nicht das, was sie heute ist. Sie alle haben von ihm gelernt. Betonen Sie die Gemeinsamkeiten. Erinnern Sie an gemeinsam überwundene Schwierigkeiten.

4. Ein, zwei Beispiele. Um auch die Gefühle der Zuhörer anzusprechen, erzählen Sie eine Anekdote. Oder von einer gemeinsam bewältigten Krise im Detail. Berichten Sie wie ein Geschichtenerzähler: „Als ich eines Morgens in die Firma kam, war der Kollege Meyer nicht an seinem Platz. Nanu, dachte ich. Das war noch nie vorgekommen. Ich erkundigte mich bei den Kolleginnen im Versand, aber sah nur ratlose Gesichter. Dann kam sein Anruf …“

5. Ausblick. Sprechen Sie von den nächsten Plänen. Sollte der Jubilar in Rente gehen, sagen Sie, wie sehr er dem Team fehlen wird und warum er nicht vergessen werden wird.

Punkt 1 und 5 gelten immer. Der Mittelteil kann auch anders strukturiert werden, zum Beispiel nach der Art der Beziehung zur gewürdigten Person:
2. Gemeinsame Handlungen: Was haben wir zusammen erlebt?
3. Beziehung: Wie hat unsere Beziehung im Laufe der Zeit verändert?
4. Emotionen: „In manchen Wochen haben wir einander öfter gesehen, als unsere Ehepartner. Das schweißt zusammen.“

Wenn keine Person gewürdigt werden soll, sondern Sie sich zu einem abstrakten Thema äußern sollen, bietet sich für den Mittelteil eine Gliederung nach Teilaspekten an:
2. historisch: Wie ist das Problem entstanden? Wie bekamen wir damit zu tun?
3. technisch-sachlich: Welche Problem sind gelöst? Welche nicht? Woran liegt das genau?
4. ökonomisch: Wie sieht es mit den Kosten aus?
Auch moralische, gesundheitliche oder gar philosophische Aspekte könnten eine Rolle spielen.

zum zweiten Teil –>

veröffentlicht im Juni 2012 © by www.berlinx.de

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