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Tricks und Fallen logi­schen Argu­men­tierens

„Ist doch logisch“, sagen wir, wenn eine Wahr­heit uns selbst­ver­ständ­lich erscheint. Egonet zeigt an einem berühm­ten Beispiel, wie leicht man mit Logik an­dere in die Irre führen kann.

Achilles war ein für seine Schnel­ligkeit berühmter Held. Eine Schild­kröte tritt gegen ihn zum Wettlauf über einen Kilometer Laufstrecke an. Da sie als langsam gilt, gewährt er ihr einen Vorsprung von hundert Metern. In wenigen Sekunden hat er die hundert Meter bis zu ihr zurückgelegt. Doch inzwischen ist die Schildkröte auch einen Meter weitergekrochen. Er rennt auch diesen einen Meter bis zu ihr, inzwischen aber kam sie einen Zentimeter voran. Achilles läuft auch diesen einen Zentimeter, doch die Schildkröte kroch inzwischen ein Zehntel Millimeter weiter. Auf diese Weise kommt Achilles immer näher an die Schildkröte heran, aber er kann sie nie ein- oder gar überholen.

Diese Anekdote stammt von dem altgriechischen Philosophen Zenon von Elea. Sie hat mehr als 2000 Jahre lang vielen Denkern Kopfzerbrechen bereitet. Denn der Praxistest würde beweisen, dass jeder Hobbyläufer die Schildkröte mit Leichtigkeit überholen würde. Doch die logische Argumentation von Zenon ist nicht so leicht zu erschüttern. Wo steckt der Fehler?

Häufig wird gesagt, in der Antike steckte die Mathematik noch in den Kinderschuhen. Zenon meinte: Wenn ich den Laufkilometer in unendlich viele kleine Einheiten unterteile, ergibt die Summe ebenfalls eine unendliche Strecke (und könne daher von Achilles nie durchlaufen werden). Mit modernen Grenzwertberechnungen kann man mathematisch beweisen, dass ein unendlich oft geteilter Kilometer in der Summe weiterhin nur einen Kilometer Länge ergibt.

Doch irgendwie bleibt der Verweis auf die höhere Mathematik unbefriedigend. Die Geschichte des rennenden Achilles ist anschaulich. Wir können uns gut ausmalen, wie er sich abstrampelt, um die Schildkröte einzuholen, aber ständig ist sie ihm ein kleines Stück voraus. Andererseits würde jeder von uns im Nu an einer Schildkröte vorbeiflitzen, die er in seinem Garten ausgesetzt hat. Wie können wir beide Bilder zusammen bringen?

Dieser Widerspruch verrät uns etwas über die Grenzen logischen Denkens. Die Argumentation von Zenon verblüfft, weil sie schlüssig erscheint. Jeder Schritt der Argumentation scheint unwiderlegbar. Wie oft sagen wir „Ist doch logisch“ und meinen damit, dass sich jede weitere Diskussion erübrigt. Wie kann eine schlüssige Argumentationskette falsch sein?

Die Antwort ist ebenso verblüffend wie einfach. Zenons Argumentationskette ist korrekt! Der Fehler steckt vielmehr in seinen Voraussetzungen. Beide, Achilles und die Schildkröte, sollen einen Kilometer weit laufen. In diesem Fall hätte Achilles das Zielband nach einem Kilometer im Auge, ob und wo sich unterwegs eine Schildröte befindet, spielt für ihn keine Rolle.

Zenon erklärt uns aber auf einmal, Achilles habe nur das Ziel, die Schildkröte einzuholen, also hundert Meter zu laufen. Nach den hundert Meter beginnt er einen neuen Wettlauf, diesmal über einen Meter. Dann über einen Zentimeter. Und so weiter. Würde er sich wirklich so verhalten, könnte er die Schildkröte tatsächlich nicht einholen, da sie bei jedem Wettlauf ein Hundertstel der Strecke weiterkriecht.

Wenn aber Achilles statt der Schildkröte das Zielbanner am Ende des kompletten Kilometers im Auge behält, spurtet er zügig an ihr vorbei. Zenon hatte unter der Hand das Ziel des Wettlaufs ausgetauscht. Jede Logik ergibt aber nur dann Wahrheit, wenn auch die Sätze, von denen sie ausgeht, wahr sind. Aus falschen Annahmen wird die Logik daher falsche Schlüsse ableiten.

Diese Erkenntnis besitzt auch heutzutage praktische Bedeutung. Wie oft hören wir Argumentationen zu und achten nur auf deren Folgerichtigkeit. Scheint uns die Kette der Folgerungen zu stimmen, sagen wir oft: „Da muss etwas dran sein.“ Kaum jemand fragt sich: Von welchen unausgesprochenen Annahmen geht der Redner aus?

Wenn Sie selbst erfolgreich argumentieren wollen, müssen Sie also nur darauf achten, dass ihre Zuhörer die Annahmen akzeptieren, von denen Sie ausgehen. Einige typische Schummeleien in den Grundannahmen sind:

Vom Einzelfall auf alle schließen: Es gibt Vergewaltiger, also sind alle Männer potentielle Vergewaltiger. Selbstmordattentäter sind meist Moslems, also bringt der islamische Glaube Terrorismus hervor.
Einen Lebensbereich auf einen anderen anwenden: Wer einen Menschen erschießt, ist ein Mörder. Wer ein Tier erschießt, ist deshalb auch ein Mörder.
Vom Extrem auf den Normalfall schließen: Wer einen Alkoholiker in seinem Elend gesehen hat, wie kann der jemals wieder dieses Teufelszeug anrühren?
Was die Mehrheit glaubt, als Wahrheit ausgeben: Politiker argumentieren gern mit „Unsere Bürger wollen …“. Doch die Mehrheit hat auch mal geglaubt, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Andere Mehrheiten haben sich für Stalin, Hitler und Mussolini begeistert. Heutige Mehrheiten wählen Regierungen, von denen sie sich wenige Monate später mit Grausen abwenden. Noch nie ist ein Naturgesetz durch Mehrheitsbeschluss entdeckt worden. Eine Mehrheit hinter sich zu haben, ist kein Wahrheitsbeweis.

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veröffentlicht im März 2011 © by www.berlinx.de

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