Abb-KaugummiKauen ist mehr als eine Vorstufe der Verdauung. Vor allem, wenn es um jene kalorien­freie Freizeit­beschäf­tigung geht, die ameri­kanische Soldaten ab 1945 in Deutsch­land einführten.

Im Bus sitzt Ihnen ein Typ gegenüber, dessen Kiefern ununter­brochen mahlen und ab und zu eine weiße Gummi­masse zwischen den Zähnen hervorblitzen lassen. Das sieht nicht gerade appetitlich aus, oder? Doch der Anschein täuscht. Der Typ tut gerade viel für seine Gesundheit.

Der älteste Kaugummi der Welt ist fünf­tausend Jahre alt. Er wurde bei Ausgra­bungen in Finnland gefunden, bestand aus Baumharz und trug die Abdrücke von menschlichen Zähnen. In mehreren Kulturen wurden Kaugummis nachgewiesen, von den alten Griechen bis zu Indianern. Sie bestanden aus Pflanzen­teilen, Gräsern oder Weintrauben. In Fernost kaut man Betel, eine Palmennuss, die zerkleinert und mit Pfefferminz, Lakritze oder Kautabak gestreckt wird, um den bitteren Geschmack zu mildern.

Den ersten modernen Kaugummi entwickelte der US-Amerikaner John B. Curtis im Jahre 1848. Er bestand aus Fichten­harz. Er verkaufte ihn unter dem Namen The State of Maine Pure Spruce Gum (Reiner Fichtenharz Gummi aus dem Staat Maine).

Wenige Jahre später fanden synthetische Gummis weite Verbreitung. 1891 gründe William Wrigley seine Kaugummi­firma, die in den Folgejahren zum führenden Produzenten aufstieg. In Deutschland kamen Kaugummis erst nach dem zweiten Weltkrieg in Mode. 1976 kamen bei uns die ersten  zuckerfreien Gummis auf dem Markt. Der Gesamt­umsatz von Kaugummis beträgt in Deutschland über 650 Millionen Euro.

Lange Zeit galten Kaugummis einfach als schlechte Ange­wohnheit. Teenager provozierten Eltern und Lehrer mit riesigen Kaugummi­blasen. Inzwischen hat sich das Image gewandelt. Forscher fanden heraus, dass das kalorien­freie Kauen zahlreiche gesund­heitliche Vorteile bringt.

Abnehmen. Kauen täuscht dem Gehirn eine Kalorien­zufuhr durch Essen vor. Der Pfefferminz­geschmack erzeugt im Mund ein Aroma wie nach dem Zähne­putzen. Deshalb hilft das Kauen, von Heißhunger­attacken abzulenken. Wer sich angewöhnt hatte, vor dem Fernseher Kalorien in Form von Chips oder Schokolade einzuwerfen, kann statt dessen die kleinen, garantiert kalorien­freien Gummis kauen.

Alkohol. Der gleiche Mechanismus hilft, wer abends zuviel Bier, Wein oder Schnaps trinkt. Solange man kaut, braucht man nicht aus Lange­weile einen Schluck nach dem anderen zu trinken.

Atem.  Frischer Atem ist Hauptmotiv für das Kauen. Nach jeder Mahlzeit bleiben im Mund Speisereste zurück, die von Bakterien zersetzt werden. Sie erzeugen Schwefel­wasserstoff und andere üble Gase. Das ständige Kauen holt Speise­reste aus den Zähnen und entzieht so den Bakterien ihre Nahrungs­grundlage. Außerdem regt es den Speichel­fluss an. Unsere Spucke desinfiziert.

Konzentration. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Kaugummi kauen schlauer macht. Laut einiger Studien soll das Kauen die Aufmerk­samkeit erhöhen und damit die Konzentrations­fähigkeit. Andere Studien widersprechen. Sie fanden keinen messbaren Unterschied zwischen Kauern und Nicht­kauern. Offenbar ist es eine Sache der individuellen Veranlagung. Probieren Sie es aus.

Mundgeruch. Ob man Mund­geruch hat, merken nur die anderen. Selbst­tests sind schwierig. Sie können etwas Speichel auf den Hand­rücken geben und ihn trocknen lassen. Dann schnuppern sie an der Haut. Riechen Sie etwas Schwefel­artiges, sollten Sie gute Freunde bitten, Ihnen ehrlich zu sagen, wie geruchs­intensiv Ihr Atem ist. Besonders gefährdet sind Raucher. Andere wiederum glauben, Mund­geruch zu haben, obwohl ihr Atem völlig sauber ist. Da Mundgeruch in 90 Prozent der Fälle von Bakterien aus den Zahn­zwischen­räumen stammt, ist dauerndes Kauen ein hervor­ragendes Mittel der Reinigung und Vorbeugung.

Rauchen. Nikotin­haltige Kaugummis helfen beim Abgewöhnen. Das Kauen beschäftigt den Mund und lenkt vom Bedürfnis ab, an einer Zigarette zu ziehen.

Verdauung. Kauen ist eine natürliche Vorbe­reitung auf die Verdauung. Im Mund wird die Nahrung nicht nur zerkleinert. Der Speichel enthält Mineralien, die Säuren entschärfen und Kohlen­hydrate aufspalten. Das Kauen zwischen den Mahl­zeiten ist durchaus nicht sinnlos. Forscher aus Kalifornien entdeckten, dass es den gesamten Magen-Darm-Bereich anregt. Es soll sogar den Heilungs­prozess von Patienten beschleunigen, die am Dickdarm operiert wurden.

Zahnreinigung. Wir putzen die Zähne morgens und abends. Besser wäre es für die Zähne, sie nach jeder Mahlzeit zu reinigen, aber wer kann das schon? Außerdem bleibt so mancher Zahn­zwischen­raum verklebt. Da müsste man nach jeder Mahlzeit zur Zahnseide greifen oder einen Schluck Wasser kräftig durch die Zähne ziehen. Kaugummis sind da die ideale Alternative. Das Bewegen der Backen und der ständige Speichelfluss erledigen nebenbei, was der Tagesablauf nicht zulässt.

Doch was ist mir den angeblichen Gefahren des Kauens? Von den Eltern kommen Sprüche wie „Kaugummis machen dumm“ bis „Kaugummi verklebt den Magen­ausgang“. Alles Unfug! Kaugummi ist unver­daulich, er rutscht wie andere versehentlich verschluckte Kleinstobjekte mit durch. Studien, die keine Steigerung der Intelligenz durch Kauen messen konnten, fanden aber auch nicht das Gegenteil. Das Kauen mag vielleicht nicht intelligent aussehen – dümmer macht es nicht.

veröffentlicht im Mai 2014 © by www.berlinx.de

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