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Lange haben Ärzte vor Schmerzmitteln gewarnt. Im Dauergebrauch zerstören sie Magenschleimhäute und Nieren. Die Gefahr einer Medikamentenabhängigkeit – bei der die Arznei neue Schmerzen verursacht und die alten nicht mehr heilt – ist hoch. Neuerdings hören wir jedoch ganz andere Töne. Aspirin als Allround-Heilmittel. EGO-Net berichtet.

Vom Contergan der 60er Jahre bis zum Lipobay-Skandal: künstliche Arzneien sind unter generellen verdacht geraten mehr zu schaden als zu nützen. „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ – die nach jeder Werbung eingeblendete Warnung erinnert uns stets aufs Neue: das Heilmittel kann gefährlicher sein als die Krankheit. Im letzten Jahr sind trotzdem die Ausgaben für Arzneimittel wieder um 9 Prozent gestiegen. Denn den Skandalen steht die millionenfache Erfahrung gegenüber, daß die meisten Medikamente rasche Linderung und Heilung bringen.

Das bekannteste Medikament der Welt, Aspirin, hat sich dabei als wahrer Wunderbrunnen erwiesen. Seine Wirkungen gehen weit über sein ursprüngliches Anwendungsgebiet (Schmerzen, Fieber) hinaus. Schon die Heiler des alten Ägypten wußten, daß die Rinde der Silberweide Fieber und Schmerzen lindert. Der Wirkstoff Salicylsäure konnte erst im 19. Jahrhundert isoliert werden. Er ist auch in vielen anderen Pflanzen enthalten. Vegetarier haben 12mal mehr Salicylsäure im Blut als Fleischesser. Der Chemiker Felix Hoffmann suchte eine verträglichere Form und fand 1897 die Acetylsalicylsäure (ASS )– das Aspirin war geboren. Worauf die Wirkung beruht, blieb weiter unbekannt. Erst vor dreißig Jahren erkannte der Pharmakologe John R. Vane (Nobelpreis 1992), daß ASS einen Eiweißstoff (Cyclooxygenase II, abgekürzt COX2) blockiert, der bestimmte Gewebshormone, die Prostaglandine erzeugt. Die sind für Schmerz und Entzündungen verantwortlich, erweitern und verengen die Blutgefäße.

ASS kann aber noch mehr. Es wirkt der Verklumpung von Blutplättchen entgegen. Als Blutverdünner kann es bei 75 Prozent das Risiko einer Herzattacke senken. Besonders in Amerika nehmen Risikopatienten täglich ein Aspirin ein. Hohe Cholesterinwerte setzen jedoch die vorbeugende Wirkung von Aspirin außer Kraft. Das fand Michael Miller von der Universität von Maryland (USA) im Jahr 2000 in einer Studie heraus. Längst ist es üblich geworden, bei Herzinfarkten als erste Nothilfemaßnahme Aspirin zu verabreichen. Nach Bypassoperationen geben Ärzte Aspirin, und verbessern die Überlebenschancen ihrer Patienten.

Wenige Monate später veröffentlichte Kathryn M. Rexrode vom Brigham and Womans Hospital eine Langzeitstudie an über 11000 Patienten. Sie ergab, dass Aspirin – aber auch andere Schmerzkiller wie Paracetamol oder Ibuprofen – doch nicht die Nieren schädigen.

Aufsehen erregte eine Meldung von Anfang März dieses Jahres. Ein Aspirin täglich senkt das Darmkrebsrisiko. Amerikanische Forscher der Universitäten von Chicago und Chapel Hill verglichen Patienten, die schon einmal an wegen Darmkrebs oder der Vorstufe (Darmpolypen) operiert worden waren. Sie haben ein besonders hohes Risiko. Ergebnis: Ihr Erkrankungsrisiko sank bei Einnahme von ASS von 27 auf 17 Prozent. Traten dennoch Polypen auf, so verringerte sich die Zahl neuer Wucherungen und sie wuchsen langsamer. Was ihre Heilungsaussichten merklich verbesserte. Der Wirkungsmechanismus ist der gleiche wie bei der Schmerzbildung. In den Tumoren treten die entzündungsbegleitenden Prostaglandine in hoher Konzentration auf. Aspirin bekämpft sie. Aus diesem Grund vermuten die Mediziner auch eine Vorbeugung gegen Lungenkrebs.

Die größte Überraschung kam 2001 aus den Niederlanden. Endlich ist es ein Mittel gegen den Gedächtnisschwund im Alter gefunden. Aspirin, aber auch ähnliche Schmerzmittel wie Ibuprofen, Naproxen und Diclofenac, senken das Alzheimerrisiko um bis zu 80 Prozent! Voraussetzung: die über 55jährigen hatten das Schmerzmittel mindestens sieben Jahre lang regelmäßig eingenommen. Nahmen sie nur zwei Jahre lang, verringerte sich ihr Risiko, an dieser Form der Demenz zu erkranken, immerhin noch um 20 Prozent. Es kam dabei nur auf die tägliche Einnahme ein. Die Höhe der Dosis spielte keine Rolle – geringe Mengen genügen, um den vorbeugenden Effekt auszulösen. Die Schmerzmittel wirken jedoch nur gegen Alzheimer, nicht gegen andere Formen der Altervergeßlichkeit, etwa durch Verkalkung der Blutgefäße im Gehirn.

Seitdem sind die Forscher weiteren Wirkungen von ASS auf der Spur. Überall, wo Entzündungen auftreten, könnte die Arznei helfen. Bevor Sie aber jetzt anfangen, sich mit Aspirin einzudecken: ungefährlich ist die Dauereinnahme nicht. Magenblutungen und andere schwere Magenschäden stellen die häufigste Nebenwirkung dar. Das ergab einer Studie aus Boston. Zwei Tabletten pro Woche sind unbedenklich. Wenn Sie einen empfindlichen Magen haben, wählen Sie magenfreundliche Varianten, zum Beispiel als Brausetabletten. Bedenken Sie auch, daß bei Dauergebrauch eine Gewöhnung eintritt. Das könnte sich rächen, wenn Sie einmal Hilfe gegen starke Schmerzen benötigen. Unser Tip: Verlassen Sie sich nie auf ASS allein und beraten Sie sich zuvor mit einem Arzt.

April 2003 © by www.berlinx.de

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