von unserer Gastautorin Brigitte Hieronimus, Jahrgang 51

Freiberufliche Wechseljahrberaterin und zertifizierte Seminarleiterin. Vorträge, Beratung und Seminare auf Anfrage s. unten

„Herzlichen Glückwunsch! Sie sind mitten drin!“, begrüßte mich der Frauenarzt. „Mitten drin in was?“, fragte ich misstrauisch, denn schwanger konnte ich weiß Gott nicht sein. „Na in den Wechseljahren! Haben Sie denn nichts gemerkt?“ „Was soll ich bitte schön gemerkt haben?“ entgegnete ich leicht gereizt. Das war sein ersehntes Stichwort. Freudig lächelnd legte er los. Die Palette der angeblich wechseljährig bedingten Unannehmlichkeiten schien unerschöpflich.
„Weinerlichkeit. Gereiztheit. Wutanfälle. Schlaflosigkeit. Hitzewallungen. Depressionen Lustlosigkeit. Antriebsschwäche….“ Ich stoppte seinen Redeschwall: „So sollen Wechseljahre sein?“
Nicht bei mir, beschloss ich!
Auf dem Weg nach Hause fragte ich mich trotzdem, ob man(n) mir die wohl ansieht?
Das war vor sieben Jahren. Die Menstruation setzte damals mit einem Paukenschlag aus und blieb fortan für immer verschwunden. Symptome wie oben beschrieben, zeigten sich eigentlich nicht. Obwohl mir manchmal warm wurde und ich mich wunderte, warum ich auch im Herbst keine warmen Socken brauchte. Obwohl mich reihenweise schlaflose Nächte plagten und ich mich fragte, soll ich mich trennen oder lieber bleiben? Auch wenn ich in manchen Nächten den Mann an meiner Seite abgöttisch liebte, hätte ich ihn am Morgen trotzdem liebend gerne erwürgt, weil er schon wieder den Müll vor der Tür stehen ließ, er mich nicht wirklich verstand und überhaupt. Doch ich hielt mich eigentlich für völlig normal. Reizbar. Streitbar. Kämpferisch. Das war ich immer schon.
Eigentlich fallen Wechseljahre in eine Zeit der fälligen Lebens-Zwischen-Bilanzierung, und eigentlich wollte ich die gar nicht halten. Aber eigentlich schert sich der Hypothalamus und die Hypophyse, die mein weibliches Hormonsystem steuern, einen Schmarren darum, was ich persönlich eigentlich will! Dieses Team weiß einfach besser über meinen Körper Bescheid, als ich unwissende Menschenfrau. Weil alle Zellen im Körper ständig miteinander kommunizieren – ihn seiner Umwelt optimal anzupassen verstehen – erkennen sie, wann die Uhr der körperlichen Fruchtbarkeit abläuft. Das Wörtchen eigentlich strich ich seitdem aus meinem Wortschatz.
Ich habe Wechseljahre – nachdem ich meine ganz persönlichen Reifungsprozesse durch tausend Abschiede von alten und überholten Denkmustern vollzog – zur Be-Rufung werden lassen. Warum? Weil sie mich nicht mehr los gelassen haben. Diese Umbruchs – und Aufbruchszeit gehört mit zu den spannendsten – auch spannungsreichsten – Phasen im Leben.
Dass Frauen die Menopause überleben, ist ein Tauschhandel der Evolution und beileibe kein Versehen der Natur. Die Großmütter der Vorzeit wurden gebraucht, um zusätzlich für Nahrungsbeschaffung und Brutpflege der Enkel zur Verfügung zu stehen. Die Marathon-Menschwerdung verdankt offensichtlich dem weiblichen Geschlecht eine zunehmende Langlebigkeit. Allerdings büßten Frauen ihre Fruchtbarkeit dabei ein. Ein genetischer Pakt war geschlossen.
Wechseljahre erinnert die meisten Frauen – natürlich auch Männer, die sich im Klimakterium virile befinden – an das beginnende Alter, an Verfall und Vergänglichkeit und damit an den Tod. War das Leben wirklich gut so, wie es bis jetzt lief? Und, war das schon alles? Das Thema scheint auch mit dem Verlust von Schönheit, Attraktivität und Anziehungskraft besetzt zu sein. Das gilt für Frauen mehr noch als für Männer, die kein Verfallsdatum zu haben scheinen, wenn sie älter werden.
Der hormonelle Umstellungsprozess während der Wechseljahre dauert ungefähr vierzehn Jahre, wie eine Studie aus den Niederladen belegt. Sieben Jahre vor der Menopause und sieben Jahre danach, versucht der gesunde weibliche Körper sein neues hormonelles Gleichgewicht zu finden. Er produziert weiterhin über die Nebenniere und im Unterhautfettgewebe Östrogene. Allerdings nur so viel als nötig, denn die Ovarien sollen ihre Funktion ja einstellen. Die Nebenniere produziert allerdings nur dann ausreichend, wenn sie nicht gestört wird. Das bedeutet, sie ist wie viele andere Organe, stressanfällig.
Es ist deshalb nur allzu natürlich, wenn die Hormone tanzen. Wie in der Pubertät schwankt die Stimmung je nach Lust und Laune. Während der Wechseljahre passiert Ähnliches. Aufgrund gravierender Lebensveränderungen, Umbrüchen oder dauerhaft seelischen Belastungen wie Trennung, Scheidung, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Todesnachrichten, Mobbing, usw., reagiert das sensible Hormonsystem besonders schnell. Es ist wie das Immunsystem störanfällig. Der Körper spürt in dieser wechseljährigen Zeit seine Belastbarkeitsgrenze eher und sendet erste Signale. Und irgendwann stellt er dann sein Fortpflanzungsprogramm ein. Frauen sind damit entlassen aus der biologischen Mutterschaftsrolle. Diese Zeit ist ein vorübergehendes Amt.
„Frauen in der Lebensmitte stehen an einem Wendepunkt. Sie können an Beziehungen, Berufen und Situationen, denen sie entwachsen sind, festhalten – eine Entscheidung, die den Alterungsprozess beschleunigt und die Krankheitschancen drastisch erhöht – oder sie können sich den neuen Aufgeben stellen, die der Körper und der Hormonspiegel verlangen. Wer dazu den Mut aufbringt, bereitet sich wirklich auf den Frühling in der zweiten Lebenshälfte vor.“, schreibt Dr. med. Christiane Northrup in ihrem Buch „Frauenkörper Frauenweisheit“.
Damit hat sie Recht. Die Zeichen der Wechseljahre zu entschlüsseln und sie als Wegweiser zu nutzen ist nicht nur heilsam und nützlich für Leib und Seele, sondern sie verändern auf positive Weise den eingeschränkten Blickwinkel. Wie geht es also los und wie merken Frauen die ersten Veränderungen?
Wenn das häusliche oder berufliche Umfeld nicht mehr mit ihnen einverstanden ist, sie nicht länger pflegeleicht im Umgang sind und keinen Schonwaschgang mehr im Miteinander einlegen.
Während der weibliche Östrogenspiegel langsam absinkt, fällt Testosteron eher ins Gewicht. Das macht angriffslustiger und reizbarer. Gereiztheit bedeutet meist, die Grenze des Ichs wurde von anderen überschritten. Frauen verhalten sich oft wie Marionetten, an deren Fäden beliebig lange von anderen gezogen werden kann. Und dann platzt ihnen endlich mal der Kragen und sie „rasten“ aus.
Schlaflosigkeit in dieser Zeit bedeutet deshalb auch eine viel zu schläfrige Betrachtungsweise dem Leben gegenüber. Wacher für die eigenen Bedürfnisse zu werden, ist nur eine Deutung unter vielen.
Depressive Verstimmungen treten vermehrt auf, wenn sich Gefühle und Gedanken nach innen richten. Traurige, oft als unangenehm empfundene Emotionen, die den Alltag stören könnten, werden gestaut und unterdrückt bis nichts mehr geht und die Seele weint. Stimmungsschwankungen zeigen daher einen Weg auf. Ärger, Unmut, Wut und Zorn können nach ihrer Kraftquelle untersucht werden. Es sind zielgerichtete Energien, die auf etwas hinweisen wollen. Meist auf Unterdrückung und Ungerechtigkeit, die ausgesprochen, statt geschluckt werden will. Konfliktfreude und Streitlust sind für die meisten Frauen noch unerprobte Wege. Deshalb bringt Testosteron den Frauenkörper auf Trab und weist ihn auf die Notwendigkeit hin, sich damit auseinander zu setzen.
Hitzewallungen machen heiß. Welche Energie kann (noch) nicht ungehindert fließen? Manchmal kommt eine Wallung in der Hitze des Gefechts mit der Kollegin, im Streit mit den Kindern, in der Auseinandersetzung mit der Freundin oder beim Kaffeeklatsch mit der Nachbarin. Wer übrigens zuviel Kaffee trinkt, Schokolade in Massen vertilgt und seinen Wein am Abend mit reichlich Fast Food genießt, verstärkt Wallungen.
Manchmal taucht Hitze mitten in der Nacht auf. Wo Frauen plötzlich spüren, wie viel Sexualität soll es denn überhaupt noch sein? Die Partnerschaft, vor allem die langjährige, verändert und wandelt sich. Der Mann in seinem Klimakterium virile denkt weniger darüber nach, zumindest glaubt er, das legt sich wieder, diese Lustlosigkeit. Aber nichts legt sich. Im Gegenteil. Mangelnde Lust an der Liebe und der Lebensfreude, die viele Männer dem anhaltenden Stress und dem überzogenen Leistungsanspruch zu verdanken haben, werden scherzhaft mit der Midlife-Crisis heruntergespielt. Das Paar, das zusammen alt werden will, steht in dieser Zeit vor ganz neuen Aufgaben und Herausforderungen, die miteinander und nicht gegeneinander ausgelebt werden wollen. Frauen – auch die ohne festen Partner – müssen sich neue Fragen stellen. Will ich – kann ich – darf ich – muss ich überhaupt noch Lust haben und zeigen?
Die Wechseljahre der Frauen beginnen für 50% mit 44 Jahren, d.h. sie erreichen ihre Menopause ungefähr mit 51 Jahren, und haben die wechseljährige Zeit mit 58 beendet. 10% stehen schon mit 37 Jahren im Vorfeld. Sie alle befinden sich eigentlich in der zweiten Blüte des Lebens, bemerken sie aber kaum, weil der grassierende Jugendwahn den Blick vernebelt. Sie hecheln einer Diät nach der anderen hinterher, (die dem Knochenstoffwechsel nur schadet!) weil sie glauben, die Verpackung würde jetzt wichtiger als das Innenleben. Wer dreht sich danach auch schon um? Sie probieren teure und nachweislich nutzlose Anti-Aging-Cremes, um Falten aufzuhalten, statt Seele und Geist in ihrer Fülle zu entfalten. Sie trauen sich selbst nicht immer so recht über den Weg und misstrauen folglich der Frau neben sich, die es scheinbar weiter im Leben bringt und Stolz und Freude darüber zeigt. Die vielgepriesene Solidarität unter Frauen erlebt in den Wechseljahren oft eine gnadenlose Zerreißprobe.
Vor allem die Generation der 50er Jahrekinder gleicht einer Sandwichgeneration. Übernommene Denkmuster und Verhaltensschemata von Müttern und Großmüttern schmorten ihnen Brandmale ins Hirn. Die 50er Generation gehört zu den Wirtschaftswunderkindern. Alles war möglich und alles war machbar. Die Emanzipation befand sich gerade in Hochkonjunktur, als die meisten die Pubertät kaum hinter sich hatten. Nicht jede schaffte es bis zur Frage: „Bist du Pascha oder Partner?“ Während die einen sich den notwendigen Herausforderungen stellten, indem sie sich mühselig von den anerzogenen Mustern befreiten, ignorierten die anderen die Zeichen der Zeit und taten so, als gäbe es nicht die geringste Veränderung in ihrem Leben. Diese klammern später umso mehr an Kindern, die das Nest verlassen wollen oder kleben am viel zu großen Haus, dem einstigen Lebenswerk, obwohl die Leere und Einsamkeit darin nicht zu übersehen ist. Manche werden zur kleinlauten Tochter, sobald sie ihr Elternhaus betreten, während sie gleichzeitig den Ehemann mit einem Rund-um-die-Uhr-Betreuungsblick versorgen, damit wenigstens „Er“ abhängig bleibt. Machen Frauen zielstrebig Karriere, wird ihnen vom anderen Lager vorgeworfen, dass sie sich mit den Männern solidarisieren. Was Frauen auch anstellen, sie werden mit „Steinen“ beworfen. Nicht selten eben vom eigenen Geschlecht. Der „Schwesternstreit“ untereinander, der nützt vor allem dem Patriarchat. Wenn Frauen sich bekämpfen, statt sich zu verbünden, verpuffen ihre Energien und sie bleiben ausgebrannt und leer zurück. Fast alle Frauen vermissen Freundinnen, denen sie sich vorbehaltlos anvertrauen können und (so wie in der Pubertät) durch ihre Hilfe zu einer neuen Individualität finden können. Doch dafür muss auch was getan werden. Nichts ergibt sich mehr von selbst.
Frauen ab 40 besitzen genügend Weitsicht und Weisheit, um sich spätestens in den Wechseljahren, neuen lebenserhaltenen und bewahrenden Zielen zu widmen. Sie sind entlassen aus dem kleinen biologischen Bezugsrahmen, sie müssen sich nicht mehr ausschließlich um ihren begrenzten „Schrebergarten vor der Tür“ kümmern, sondern sie können den Blick heben und sich fragen, wie sieht es denn in unserem Weltgarten aus? Sie können sich engagieren, aber sie dürfen auch pausieren. Der Alltag der meisten Frauen besteht immer noch aus einem strapaziösen Balanceakt zwischen Pflicht und Selbsterhaltung. Sie haben ein Recht auf mehr Entspannung und Ruhe. Wer aus dem typischen weiblichen Rollenklischee der übermäßigen Anpassung, des ewigen Stillschweigens, der ungesunden Harmoniesucht, der abträglichen Konfliktscheu und der demütigenden JA-Sager-Haltung herausfindet, der erfährt eine Häutung. Die neue Seelenhaut erscheint zu Beginn an manchen Stellen noch recht dünn, weil jahrelange Verletzungen unter die Haut gingen. Schließlich ist das Kränkungskonto im Laufe des Lebens ziemlich überzogen worden.
Immer mehr Frauen lassen sich allerdings nicht mehr länger ihre Energien rauben, sich auch nicht mehr als seelischen Mülleimer benutzen und für dumm verkaufen. Sie tun sich zusammen. Und zwar mit Gleichgesinnten.
Wechseljahre sind vor allem Umbruchsjahre, sie machen kritischer und kritikfähiger und dabei können sich Frauen trefflich unterstützen. Sobald sie sich den Spiegel vorhalten und fragen: „Was wechselt wirklich in den Wechseljahren?“, erfahren sie, was wirklich wichtig ist. Der Aufbruch zu neuen Ufern ist immer auch eine persönliche Entscheidung. Sich gegenseitig zu ermutigen und zu stärken, sich wertzuschätzen in der Andersartigkeit und damit gleichzeitig eine gewisse Fremdheit zu akzeptieren, das Gemeinsame zu betonen und das Trennende, die Weite zwischen sich vertrauensvoll lieben zu lernen, das ist die Botschaft neuer Begegnungen.
Die heutigen Mütter in der wechseljährigen Zeit stehen in einer besonderen Verantwortung ihren Töchtern gegenüber. Diese junge Generation wird möglicherweise eine Enttabuisierung des „Mythos“ Wechseljahre erfahren. Was nicht bedeutet, dass sie selbst keine Konflikte und Hindernisse aus ihrem Lebensweg räumen müssen. Denn von Müttern und Vätern geschenkte Lösungen sind für Töchter und Söhne verlorene Erfahrungen. Ohne Erfahrungen kann niemand reifen. Und ohne Reife bleibt man eine leere Schote, eine Hülle, eine Mogelpackung. Werte wie Weitsicht und Weisheit, noch unbelebte Facetten von Wesenszügen sind wertvolles Potential, das zur Entfaltung gebracht werden will. Das macht Mut zum Älterwerden. Mit Lust am Eigensinn kommen wechseljährige Frauen zwar auch nicht überall hin, aber doch weiter als sie denken können.
Klimakter kommt aus dem Altgriechischen und bedeutete ursprünglich Leitersprosse oder Lebensstufe. Wechseljahre fordern genau dazu heraus. Nehmen wir also den beschwingten „Tanz der Hormone“ an und leben das Leben nach der eigenen Melodie, um die nächste Stufe zu erklimmen.

Autorin:
Brigitte Hieronimus
Schriftstellerin und Autorin von
„Romeo und Julia in der Midlife-Crisis
Liebe, Lust und Leidenschaft in turbulenten Zeiten”
Kreuz Verlag Stuttgart. Juni 2003
Am FSB Bodensee zertifizierte Seminarleiterin für Wechseljahre
Beratung und Coaching
www.brigitte-hieronimus.de
info@brigitte-hieronimus.de

Literaturliste:

„Wechselbriefe“ Arnold, Rita / Hieronimus, Brigitte,
NOXXON Verlag Recklinghausen
ISBN 3-931564-50-9 Band I
ISBN 3-931564-51-7 Band II

„Feuerzeichenfrau“ Julia Onken, Beck`sche Reihe
„Herrin im eigenen Haus“ Julia Onken, C.Bertelsmann

„Wechseljahre – eine Broschüre zur Selbsthilfe“
Feministisches Frauengesundheitszentrum e.V. Berlin

„Frauenkörper/Weisheiten“ Christiane Northrup

Juni 2003 © by www.berlinx.de

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