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Tausende von Medikamenten sind auf dem Markt, wirksame und nebenwirkungsreiche, teure und preiswerte. Das erfolgreichste Medikament aller Zeiten kostet gar nichts. Es ist der bloße Glaube an die Heilung – genannt Placeboeffekt. Egonet erzählt von dem erfolgreichsten und besterprobten Trick, die eigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren.

Welches ist die am gründlichsten getestete Arznei aller Zeiten? Aspirin? Weit gefehlt! Es ist das wirkstofffreie Scheinmedikament, das Placebo. Denn in jedem Arzneimitteltest – egal ob es sich um ein einfaches Stärkungsmittel oder ein komplexes Antikrebsmittel handelt – vergleichen die Mediziner seine Wirksamkeit mit einer Tablette, die nichts weiter enthält als Mehl und Zucker. Worüber niemand spricht: Ein Großteil der so getesteten Medikamente erreicht einen Wirkungsgrad von etwa 30 Prozent. Und das ist nicht mehr, als jede Scheintablette aus Mehl und Zucker mühelos erreicht. So zeigten vor zwei Jahren Forscher der Universität Vancouver (Kanada), dass die gängigen Heilmittel gegen Parkinson nicht besser wirken als ein Placebo. Beide – die echte und die leere Tablette regen in gewissem Maße die Produktion des Nervenbotenstoffes Dopamin an, die bei Parkinson-Patienten gestört ist.

Der Begriff „Placebo“ kommt aus der Kirchentradition. Mit dem Wort „Placebo“ (lateinisch: Ich werde gefallen) beginnt in der katholischen Kirche die Seelenandacht für Verstorbene. Da der Klerus solche Andachten im Mittelalter vor allem für spendefreudige, wohlhabende Familien organisierte, um sich bei ihnen einzuschmeicheln, bezeichnete man nach einiger Zeit Schmeichler und Speichellecker in der Umgangssprache als Placebos. Von dort wanderte das Wort zu Ärzten, die hoffnungslosen Fällen wirkungslose Tabletten verschrieben, um den Kranken einen Gefallen zu tun.

Daß wirkt, was nur eine Wirkung vortäuscht, war schon seit der Antike bekannt. Schon im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung wusste der Arzt Galen: „Der hat den größten Heilerfolg, in den die Menschen das größte Vertrauen setzen.“ Er kurierte viele Kranke mit einem Stärkungsmittel, das aus rund einem Dutzend merkwürdigen Stoffen wie etwa Schlangenhaut gemixt wurde. Bis ins 19. Jahrhundert war das Gebräu unter dem Namen Theriak in Gebrauch.

Es gibt kaum eine unheilbare Krankheit, bei der Ärzte nicht schon mit einem Placebo sensationelle Erfolge erzielten. Ein Beispiel erzählt Howard Brody, Professor für Medizinethik an der Michigan State University. Ein Patient mit Lymphdrüsenkrebs im Endstadium las in einer Zeitschrift von einem sensationellen neuen Medikament. Auf sein Verlangen verabreichte ihm sein Arzt Spritzen mit dem neuen Wirkstoff. Ergebnis: der Krebs verschwand innerhalb weniger Tage. Nach zwei Monaten berichteten mehrere Zeitschriften, dass sich die Hoffnungen in das Medikament nicht bestätigt hatten. Kaum erfuhr der Patient davon, kehrte sein Tumor zurück.

Warum wirken Placebos bei jedem Dritten und bleiben bei den übrigen ohne Wirkung? Noch immer gibt es darauf keine klare Antwort. Wer glaubt, die Ursache sei bloße Gutgläubigkeit, irrt. Denn dann müssten Placebos bei weniger Gebildeten leichter anschlagen als bei informierten Personen. Das ist aber nicht der Fall. Ein Arzt kann sogar sagen: „Ich gebe Ihnen ein wirkungsloses Präparat.“ Die Placebowirkung tritt dennoch ein. Warum? Einige Patienten glauben, der Arzt sage nicht die Wahrheit, in Wirklichkeit sei doch ein Wirkstoff drin. Doch selbst wenn der Patient weiß, dass die Tablette nichts weiter enthält als Kartoffelstärke, ist eine Besserung seiner Gesundheit nicht ausgeschlossen.

Die Selbstheilungskräfte des Körpers benötigen keinen bewussten Glauben an die Heilung. Der Körper reagiert vielmehr auf die medizinische Prozedur: ein Arzt im weißen Kittel, beruhigende Worte, Verabreichung von etwas, das wie ein Medikament aussieht. Eine Prozedur, die an frühe Kindheitserfahrungen erinnert, an Kinderkrankheiten wie Masern oder Windpocken. Erst Schmerzen und Leiden, dann kam der Onkel Doktor und dann wurde man langsam wieder gesund. Die vertraute Situation löst im Körper die gleichen Prozesse aus wie damals. Wie bei den Pawlowschen Hunden. Erst hörten sie einen Glockenton, dann bekamen sie Futter. Nach einigen Wiederholungen sonderten sie schon Speichel in Erwartung des Futters ab, sobald sie die Glocke hörten – auch wenn das Futter ausblieb. Dieser mechanische Vorgang erlernter Erwartung funktioniert auch, wenn das Bewußtsein skeptisch bleibt. Mediziner haben gemessen, dass sich während der Tabletteneinnahme der Hormonhaushalt ändert. Das Gehirn produziert mehr Endorphine (Glücksbotenstoffe). Stresshormone wie Cortisol und Katecholamin sinken. Auch Blutdruck und –zucker reagieren.

Gerade weil dieser Lernvorgang so einfach ist, kann ihn jeder nutzen. Mütter kennen das Prinzip. Ihr Kind ist gestürzt. Ein Pusten über die Wunde und das Aufbringen eines Pflasters mit einem magischen Spruch wie „Eins, zwei, drei, der Schmerz ist vorbei“ bewirkt mehr als jede echte Medizin. Wollen Sie vom Placeboeffekt profitieren? So gehen Sie vor:

· Sie benötigen mitfühlend-zuhörende Ohren. Egal, ob die eines verständnisvollen Arztes oder einer liebevollen Freundin. Am besten von beiden.
· Medizinisches Wissen hilft. Vor allem Information über alles, was Ihre Heilung unterstützt. Wenn Sie sich soviel positive Details wie möglich aneignen, bauen Sie eine Heilungserwartung auf.
· Gönnen Sie sich während Ihrer Rekonvaleszenz soviel Rituale wie möglich, die Sie an Ihre Kindheit erinnern. Gießen Sie sich immer zur gleichen Zeit einen Kräutertee auf. Nehmen Sie Ihre Arzneien auf die Minute genau und immer nach dem gleichen Ablauf. Lassen Sie sich Geschichten vorlesen – wenn kein Vorleser da ist, von Kassette.
· Sorgen Sie für Entspannung, auch seelisch. Negative Grübeleien stellen Sie ab, indem Sie sich beschäftigen – und wenn Sie Papierbote falten. Entscheidend ist, dass Sie sich ganz auf die augenblickliche sinnliche Wahrnehmung konzentrieren.

Literatur:
Howard Brody: Der Placebo-Effekt. Die Selbstheilungskräfte unseres Körpers. Deutscher Taschenbuchverlag. 9,50 Euro.

November 2003 © by www.berlinx.de

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