Die Kunst der Selbstbeschränkung
Alles haben wollen, macht nicht glücklich. Nichts haben aber auch nicht. Maßvolle Selbstbeschränkung heißt der Idealweg und gilt seit Jahrtausenden als Lebenskunst.
Seit Jahren boomt das einfache Leben – zumindest wenn man den Medien glauben darf. Zugleich berichtet das Fernsehen von neuen Wachstumsrekorden bei Konsum und Wegwerfen. Ungezügeltes Konsumieren schadet nicht nur der Umwelt. Sondern auch den Konsumenten:
- Zuviel Essen, Alkohol, Computer, Fernsehen und Autofahren gelten als Hauptursachen für Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Infarkt, Bluthochdruck, Schlaganfall und einiger Krebsarten. Konsumfreaks sterben früher.
- Konsum ist teuer. Er kostet Geld, das anderswo fehlt.
- Wer viel kauft, besitzt viel. Er braucht Raum zur Unterbringung der Güter, er muss sie verstauen, säubern, reparieren – eine Quelle von Sorgen und Stress.
„Aber ich verzichte doch auf alles Mögliche! Ich gehe achtlos an vielem vorbei, wofür andere eine Stange Geld ausgeben!“ Wer hat diese Sätze nicht schon laut gedacht? Nichtraucher, Radfahrer, Vegetarier oder zur Miete Wohnende können leicht beweisen, dass sie auf Tabak, Auto, Fleisch oder Eigenheim verzichten. Aber nicht nur sie:
- Da wir (fast) alle nur über beschränkte Geldmittel verfügen, gehört das Verzichten notgedrungen zu unserem Alltag.
- Da der Tag nur 24 Stunden hat, können wir nur wenige Hobbys betreiben. Wer jedes Wochenende angelt, kann nicht außerdem noch reiten, Schach oder Klavier spielen, auf die Jagd gehen, alle Theaterpremieren besuchen und leidenschaftlicher Krimileser sein. Wer sich in eine Sache hineinkniet, wird auf alle anderen verzichten.
- Beim Konsumieren ist es mit dem Kaufen nicht getan. Wer sein Konsumgut nutzen will, muss es anziehen, aufbauen, programmieren, Bedienungsanleitungen lesen und Erfahrungen damit sammeln.
Echter Verzicht erfolgt nicht aus Zeit- und Geldmangel, sondern ist bewusstes Kürzertreten. Der Schritt zum einfachen Leben beginnt, wenn man aufhört, lange bevor man die Grenzen der Belastbarkeit erreicht. Yoga, Zen und zahlreiche andere Weisheitslehren verlangen, dass wir
- um so langsamer gehen, je eiliger wir es haben
- einen Teil unserer Zeit mit Meditieren und Nichtstun verbringen
- Geld spenden statt es für das neueste Kleid oder Gerät auszugeben
- kostenfreie Tätigkeiten (Gespräche, Spazieren gehen) dem Konsumieren vorziehen
- aktiv lernen statt uns von Medien berieseln lassen
Alle Experten sind sich einig, dass freiwillige Selbstbeschränkung glücklicher machen als ungezügelter Konsum. Weswegen folgen dann so wenige ihren Empfehlungen?
Unsere Glückssuche steht im Konflikt mit unserem Statusstreben. Entspannung und Ruhe sind nicht alles. Wir wollen auch wichtig sein und von anderen bewundert werden. Keiner hört gern Sätze wie: „Du Ärmster! Kannst dir nicht mal ein anständiges Auto leisten!“
Wer beim Geldausgeben den Neid seiner Mitmenschen weckt, wird vielleicht nicht glücklicher. Heimliche Überlegenheitsgefühle erzeugen jedoch Zufriedenheit mit dem eigenen Erfolg. Das lässt so mancher sich was kosten. Glück durch Verzicht erreichen nur jene, die ein hohes Selbstwertgefühl besitzen, und nicht mit äußeren Besitztümern beweisen müssen, dass sie in der Konsumschlacht mithalten können.
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veröffentlicht im Juni 2013 © by www.berlinx.de
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