Vergebung ist die beste Rache
Wo Menschen zusammen kommen, entstehen nicht nur Liebe und Freundschaft, sondern auch Kränkungen, Streit und Hass. Böse Gefühle können das Dasein auf Jahre vergiften. Wie schafft man es, sich vom Seelenballast zu befreien?
Die Abneigung gegen Ungerechtigkeiten trägt jeder von uns in seinem Gehirn. John Doherty und seine Kollegen von der amerikanischen Rutgers-Universität konnten zeigen, dass bestimmte Hirnregionen aktiv werden, wenn wir ungerechtes Verhalten beobachten – sowohl an anderen als auch an uns selbst. Wer von uns kann schon behaupten, nie Kränkungen erfahren zu haben? Drei Beispiele:
Katja hat drei Jahre mit Thomas zusammengelebt. Beide freuten sich auf ihr erstes Kind. Kaum war es geboren, machte er sich mit ihrer besten Freundin Silke davon.
Erik begeistert sich für Kunst. Doch sein Vater, ein Facharzt für innere Medizin, verlangte: „Du wirst Arzt. Wenn du dich weigerst, bekommst du von uns keinen Pfennig Unterstützung.“ Erik versuchte, sein Kunststudium mit Taxifahren und Kellnern zu finanzieren. Nach drei Jahren warf er das Handtuch und arbeitet heute als Hilfskraft für wenig Geld in einer großen Galerie.
Lena ist Bankkauffrau. Doch ihr Chef zog einen Kollegen vor, ließ sie dessen Pflichten erledigen und verschaffte ihm den Aufstieg, der ihr bis heute verwehrt blieb.
Ein unbedachtes Wort zu verzeihen, mag leicht fallen. Doch wenn der Lebensweg unwiderruflich zerstört wurde, wie in unseren drei Beispielen? Gerade dann ist Vergebung die beste Rache! Denn wer sich nachtragend verhält
- zerstört nicht nur seine seelische, sondern auch seine körperliche Gesundheit
- kann das Erlittene nicht hinter sich lassen
- hegt negative Gefühle und wird misstrauisch gegen jedermann.
Schon die Bibel empfiehlt Vergebung zur Reinigung von Schuld und Rachegelüsten. Doch in der Wirklichkeit gelingt Verzeihen äußerst selten. Viel stärker sind
- der Wunsch nach ausgleichender Gerechtigkeit. Auch dafür kann die Bibel herhalten. Denn dort heißt es „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.
- die Sorge, Vergebung könne als Schwäche ausgelegt werden. Wenn der andere mit seinem kränkenden Verhalten durchkommt – wird er sich dann nicht als Sieger über mich fühlen?
- die Angst, neue Bosheiten zu provozieren. Wenn der Kränkende straflos bleibt, was sollte ihn daran hindern, weiter zu machen?
In Wahrheit zeigt sich der als schwach, der beleidigt reagiert. Nur wer durch sein Verhalten zeigt „du kannst mich nicht kränken“, wirkt unangreifbar. Die klügste Strategie besteht darin, zu verzeihen und zugleich auf Distanz zu gehen, um neue Kränkungen zu verhindern. Das falscheste, was Lena, die von ihrem Chef und dessen Kronprinz ausgebootet wurde, tun könnte, wäre sich über die Ungerechtigkeit zu beklagen. Ihr Gejammer wäre für den Chef, der endgültige Beweis, dass sie für Führungsaufgaben ungeeignet sei. Sie hat eine andere Taktik gewählt. Sie führt Buch, wie ihr Chef die Aufgaben verteilt und informiert beide darüber. Sie springt nicht mehr ein, wenn ihr Kollege sich vor seinen Kunden blamiert. Es vergehen nur wenige Monate, dann hat ein Stammkunde gemerkt, was in ihrer Abteilung vorgeht und bietet ihr einen Job in seiner Firma an.
Folgende Überlegungen helfen, inneren Abstand zu gewinnen:
- Warum bin ich gekränkt? Wo liegt meine Achillesferse, die der Beleidiger getroffen hat? Ist es nur meine Eitelkeit oder liegen die inneren Wunden tiefer?
- Wie sieht mein Gegner die Sache? Wollte er mich wirklich treffen oder ist er nur unfähig zu sehen, wie ich mich fühle? Was ärgert ihn an mir? Oder steht er selbst unter Druck, von dem er sich auf meine Kosten befreit hat?
- Wie habe ich durch mein Verhalten die Ungerechtigkeit begünstigt? Was kann ich in Zukunft anders machen?
- Wie kann ich zeitlichen und räumlichen Abstand gewinnen? Welche Wege außerhalb der Kränkung stehen mir offen?
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veröffentlicht im Mai 2010 © by www.berlinx.de
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