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Wie bilde ich mir eine fundierte Meinung?

Der eine denkt so, der andere das Gegenteil? Und Sie? Sind Ihre Meinungen so gut begründet, dass Sie in jeder Diskussion mithalten und über­zeugen können?

Organspende – ja oder nein? Abtreibung – Grundrecht oder Mord? Extremisten – tolerieren oder gnadenlos verfolgen? Griechenland, Zypern & Co. – Opfer gieriger Banken oder selber schuld an Ihren Schulden?

Die Mehrheit der Deutschen hat zu diesen Fragen eine entschiedene Meinung. Sie auch? Wie begründen Sie Ihre Auffassung? Haben Sie gute Argumente oder einfach ein Bauchgefühl? Schon vor Jahrhunderten haben Philosophen untersucht, wie Meinungen zustande kommen. Meist waren sie pessimistisch. Statt Vernunft entdeckten sie Vorurteile und schwankende Stimmungen. Zuerst ließen die Volksmassen Held(inn)en wie Jeanne d’Arc oder Savonarola hochleben, kurz darauf jubelten sie bei ihrer Hinrichtung.

Um 1600 beschrieb Francis Bacon vier Fallen bei der Meinungsbildung. Er nannte sie idola:

  • idola tribus: Die Vorurteile des Stammes liegen in der Natur des Menschen. Dazu gehören die Sinnestäuschungen, aber auch psychische Eigenheiten, zum Beispiel der Hang, aus Bequemlichkeit an einmal gefassten Meinungen festzuhalten.
  • idola specus: Die Vorurteile der Höhle liegen in persönlichen Befangenheiten. Jeder von uns kennt sich in einigen Gebieten gut aus. Dinge, von denen wir keine Ahnung haben, beurteilen wir analog zu unseren Spezialkenntnissen – auch wenn dort ganz andere Gesetzmäßigkeiten herrschen. Ein Metzgermeister und ein Veganer beurteilen ein Hausschwein aus unvereinbaren Blickwinkeln.
  • idola fori: Die Vorurteile des Marktes stammen aus Sprechgewohnheiten. Schlagwörter der Medien verzerren, trüben den Blick. „Islamist“ lässt die Religion des Islam gefährlich erscheinen. Eine Meinung als „links“ oder „rechts“ zu bezeichnen, genügt, um Zweifel an ihr zu wecken.
  • idola theatri: Die Vorurteile des Theaters hielt Bacon für die gefährlichsten. Es ist die Neigung, Autoritäten und Überlieferungen mehr zu vertrauen als eigenem Nachdenken.

Immanuel Kant bezeichnete als „Urteilskraft“ die Fähigkeit theoretische Erkenntnisse auf die Praxis anzuwenden. Keine gute Praxis ohne gute Theorie! Er wandte als erster Grundsätze der Dialektik an, um eine fundierte Meinung im Für und Wider der Ansichten zu finden. Mit unserem Leitfaden finden Sie leichter Ihren Weg durch den Dschungel von Informationen und widersprechenden Ansichten:

1. Was ist Ihre vorläufige Meinung? Halten Sie zunächst fest, was Sie bisher über die Angelegenheit dachten. Egal, ob Sie Ihre Ansicht begründen können oder nicht.

2. Welche anderen Meinungen kennen Sie dazu? Notieren Sie alle Ansichten, die man sonst noch darüber haben kann.

3. Beschaffen Sie sich Informationen. Die meisten Menschen begehen den Fehler, nur solche Informationen zu sammeln, die ihre vorgefassten Ansichten bestätigen. Wichtiger sind aber Infos, die Ihrer Meinung widersprechen! Die gilt es zu sammeln, zu sortieren und einzuschätzen. Wie fundiert sind sie? Gibt es Studien dazu? Oder sind manche Meinungen nur deshalb bekannt, weil Promis sie geäußert haben?

4. Wie passt Ihre Meinung zu anderen Meinungen, die Sie haben? Prüfen Sie, ob Ihre Ansichten alle zueinander passen oder im Widerspruch zueinander stehen. Ein Widerspruch wäre es, wenn Sie für die Gleichberechtigung von Frauen eintreten, aber froh sind, dass in Ihrer Firma Männer das Sagen haben.

Nun überprüfen Sie Ihre Anfangsmeinung noch einmal. Wenn sich an Ihren Ansichten nichts geändert hat, gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Sie haben schon alles gewusst, was es dazu zu wissen gab.
  • Sie sind so verliebt in Ihre Meinung, dass Sie keinen Gegenwind zulassen.

Woran erkennen Sie, ob Sie sich am Ende eine fundierte Meinung gebildet haben? Dafür gibt es drei Kriterien.

1. Sie können Ihre Ansicht inhaltlich begründen. Das heißt, Sie wissen über das Wie und Warum Bescheid. Das Gegenteil einer Begründung wären Sätze wie „Das ist eben so“, „So etwas weiß ich intuitiv“ oder „Wer etwas anderen behauptet, hat nicht alle Tassen im Schrank“.

2. Ihre Meinung gilt nicht absolut. Sie halten Ihre Ansicht richtig nur für bestimmte Menschen, Zeiten und Orte. Sie wissen, unter welchen Umständen Sie Ihre Meinung relativieren würden.

3. Sie verstehen, warum andere anders denken. Ihre Meinung ist „Ihre“ – das heißt, Sie liegt (zum Teil) in Ihrer Persönlichkeit begründet. In Ihrem Charakter, Ihren Lebensumständen oder in Ihrer Herkunft. Das gleiche gilt für andere Menschen mit einem anderen Lebens­hintergrund. Bei vielen Ansichten lohnt es daher nicht zu streiten, wer recht hat.

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veröffentlicht im Juni 2013 © by www.berlinx.de

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