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Die häufig­sten Denk­fallen und wie Sie sie ver­meiden

Angeblich unter­scheidet sich der Mensch durch seinen Verstand von allen übrigen Lebe­wesen. Wirklich? Wie selten machen wir von un­serem Verstand Ge­brauch! Sonst würden wir nicht ständig in die­selben Denk­fallen tappen.

Wir gehören zur Gattung „Homo sapiens“. Übersetzt bedeutet das „der weise Mensch“. Sollte diese Bezeichnung wirklich auf über sechs Milliarden Erden­bewohner zutreffen? Wie oft sind wir nicht Vorurteilen aufgesessen! Wie oft folgen wir dem vermeint­lichen Besser-Wissen von Politikern  und selbst­ernannten Experten, lassen uns von selbst­sicherem Auftreten und Charisma verführen. Wie viele glauben, dass Gefühle uns zu guten Menschen machen, nicht der „kühle“ Verstand? Täte uns in Zeiten der Klima­erwärmung nicht etwas „Kühle“ gut?

Philosophie (griechisch: Liebe zur Weisheit) lehrt die Kunst des weisen Denkens. Sie besteht vor allem darin, Denkfallen zu vermeiden. Sich den klaren Blick auf die Wirklichkeit nicht vernebeln zu lassen. Vor allem Platon, Francis Bacon, David Hume und Immanuel Kanthaben diesem Problem ganze Bücher gewidmet. Moderne Experimente haben bestätigt: Kluge Denker hüten sich davor, folgende Denkfallen als Wahrheitsbeweis zu betrachten:

Wiederholung. Eine falsche Meinung wird nicht wahrer, wenn man sie ständig wiederholt. Doch zahlreiche Experimente haben bewiesen: Genauso denken wir. Wir halten eine Meinung für umso vertrauenswürdiger, je öfter wir sie hören. Die Werbeindustrie nutzt diesen Effekt. Eine Markenname, den wir gut kennen, scheint für höhere Qualität zu bürgen. Obwohl Stiftung Warentest oft genug das Gegenteil bewiesen hat. Obwohl No-Name-Produkte oft von den gleichen Herstellern stammen, aber billiger verkauft werden. Andere Behauptungen, die oft wiederholt, aber noch nie bewiesen wurden oder erwiesenermaßen falsch sind:

  • Steuersenkungen würden zu höheren Steuereinnahmen führen.
  • Obst und Gemüse enthalten heute weniger Vitamine und Nährstoffe als vor hundert Jahren.
  • Gläubige seien moralisch bessere Menschen als Ungläubige.

Augen, Ohren und die übrigen Sinne. Spätestens seit der Computerbearbeitung von Bildern wissen wir, wie leicht unsere Sinne zu täuschen sind. Dennoch neigen wir spontan dazu, unseren Sinnen zu vertrauen. Schließlich entstanden sie in der Evolution und haben unser Überleben gesichert. Doch heute gilt das nicht mehr. Ein Kleinkind fürchtet sich vor einem freundlich bellenden Hund, aber nicht vor dem unsichtbaren Strom aus der Steckdose. Da wir seit Tschernobyl von den Gefahren unsichtbarer Strahlung wissen, neigen viele aus Unsicherheit zum anderen Extrem. Wir fühlen uns ständig von Handystrahlung, Nanopartikeln und Viren bedroht – gerade weil wir ihr reales Gefahrenpotential nicht „sehen“ können.

Erster Eindruck. Die zeitliche Reihenfolge, in der wir Informationen erhalten, ist unerheblich für ihren Wahrheitsgehalt. Doch für uns macht es einen Unterschied, ob wir erst das Positive und dann das Negative erfahren oder umgekehrt. Die erste Information bildet den Rahmen, in den wir alles Spätere einordnen. Im ersten Fall (positiv vor negativ) lernen wir: Dieser Mensch ist nett, aber leider nicht immer vertrauenswürdig. Im zweiten Fall (negativ vor positiv): Diesem Menschen darf man nicht vertrauen, gerade weil er sich äußerlich freundlich gibt.

Kontrollillusion. Dinge, auf die ich Einfluss habe, scheinen mir beherrschbar. Dinge, die sich unabhängig von meinem Zutun abspielen, scheinen mir mit hohem Risiko behaftet. Ein typisches Beispiel ist Flugangst. Ich sitze als Passagier angstvoll angeschnallt in meinem Sessel und muss den Flug mit mir geschehen lassen. Panik! Als Autofahrer fühle ich mich dagegen souverän. Da spielt es keine Rolle, dass der Pilot viel erfahrener ist als selbst die meisten Berufsfahrer. Dass das Flugzeug in vorzüglichem Zustand ist, während mein achtjähriges Fahrzeug gerade so durch den TÜV gekommen ist. Dass auf der Autofahrt zum Flughafen weitaus mehr tödliche Unfälle passieren als im Flugverkehr.

Das Machbare. Wir neigen dazu, das schnell Realisierbare zu bevorzugen. Katjas Sohn verweigert Hausarbeit und Hausaufgabe, ballert nur noch mit seinem Computer. Was tun? Ihr fällt keine andere Lösung ein, als seine Maschine heimlich in den Keller zu schaffen. Ergebnis: Zoff und Totalverweigerung. Aus den gleichen Gründen nehmen wir bei der nächsten Erkältung die gleichen Tabletten, die uns beim letzten Mal schon nicht geholfen haben. Wir versuchen eine Beziehung fortzusetzen, die längst gescheitert ist. Oder verlieben uns wieder in den gleichen Typ, mit dem wir schon früher Schiffbruch erlitten. Warum? Wir haben Verhaltensweisen auf Lager, mit denen wir die Situation handhaben können. Auch wenn nicht viel dabei herauskommt. Doch immer noch besser als ratlos vor einer völlig neuen Situation zu stehen. Da müssten wir nachdenken und uns was Neues einfallen lassen.

Warum tappen wir so leicht in diese Fallen? Und das immer wieder? Weil wir auf frühere Erfahrungen zurückgreifen müssen, um neue Entscheidungen zu fällen. Leider vermeiden wir es oft, genau zu prüfen, ob unsere alten Erfahrungen auf die neue Lage passen. Hier helfen bewährte philosophische Tugenden weiter:

  • Weder aus Bequemlichkeit noch unter Zeitdruck aufs Nachdenken verzichten.
  • Bedenkzeit erbitten. Wenn Ihr Gegenüber das ablehnt („Unser Angebot gilt nur noch heute“), ist das ein hinreichender Grund, Nein zu sagen.
  • Überlegen Sie: Was könnte bei einer Fehlentscheidung schlimmstenfalls passieren? Wenn es klappt oder schief geht – wie würde ich in fünf Jahren darüber denken?
  • Suchen Sie sich ein Vorbild: Wie würde dieser Mensch in Ihrer Lage entscheiden?
  • Listen Sie in Gedanken auf, wovon Ihre Entscheidung beeinflusst ist: Fakten? Gefühle? Der Wunsch zu tun, was andere auch tun? Hand aufs Herz: Wie weit kennen Sie Ihre wahren Bedürfnisse und welche Rollen spielen sie bei Ihrer Entscheidung?

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veröffentlicht im Januar 2010 © by www.berlinx.de

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