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Wer an Gott glaubt – wird der glück­licher als Ungläu­bige?

Oder wenig­stens ein besserer Mensch?
Nimmt Reli­gion uns die Todes­furcht?
Ist der Glaube auf dem Vor­marsch?
Viele Fragen – Egonet antwortet.

In Nah­ost blüht is­la­mi­scher Fun­da­men­talis­mus. In den USA kämpfen christ­liche Eiferer gegen die Darwinsche Evolutionslehre. Glaubenskriege entbrannten auf dem Balkan, auf Sri Lanka und im Sudan. Folgt man den Medien, scheint Religion eine wahre Renaissance zu erleben.
Das war vor einigen Jahrzehnten noch anders. Seit 200 Jahren befand sich die Religion auf dem Rückzug. Marx verglich sie mit einer Droge, nannte sie „Opium des Volkes“. Heinrich Heine wollte „auf Erden schon das Himmelreich“ errichten. Seitdem hatten die Glaubenssysteme viel an Einfluss verloren. Der Staat ist weltlich, in den Schulen dominieren die Wissenschaften. Jedes Jahr verzeichnen beide christliche Konfessionen in Deutschland über 100 000 Kirchenaustritte. Glaube ist Privatsache geworden.

Ist das eine gesunde Entwicklung? Viele beklagen den Verlust an verbindlichen Werten. Auf die Sinnsuche hat sich ein blühender Markt von Sekten und Heilslehren spezialisiert. Das Bedürfnis nach Lebenssinn ist ungebrochen. Doch den können auch weltliche Überzeugungen liefern. Zum Beispiel das Engagement für andere, das Streben nach Erfolg und Erkenntnis, die Erziehung von Kindern oder auch Genuss und Abenteuer. Hat der Glaube an Gott etwas zu bieten, was allen anderen Sinnsuchern verschlossen bleibt?

In einer Meinungsumfrage des Allenbach-Instituts von Anfang 2003 gaben 35 Prozent der religiös orientierten Menschen an, glücklich zu sein. Atheisten brachten es nur auf 20 Prozent. Aber waren die Gläubigen wirklich glücklicher oder glaubten sie es nur? Vielleicht waren die Atheisten nur ehrlicher und bekannten sich zu ihren trüben Stunden. Religiöse Erziehung vermittelt die Überzeugung: Wer an Gott glaubt, der kann nicht unglücklich sein, weil Gott seine schützende Hand über ihn hält.

Schauen wir daher auf das reale Leben. Zum Beispiel auf Liebe und Ehe. Wer führt die glücklicheren Beziehungen? Eine Studie der Universität von Iowa City untersuchte genau diese Frage. Das Ergebnis: Gleiche religiöse Überzeugungen sind günstig für das Kennenlernen. Auf das Eheglück haben sie jedoch keinen Einfluss. In streng religiösen Milieus lässt man sich seltener scheiden. Aber hinter der Fassade lauert deswegen nicht weniger Hass und Streit.

Hilft Glaube gesund zu bleiben? Hartnäckig hält sich das Gerücht, inbrünstiger Glaube würde selbst Krebs im Endstadium heilen können. Dafür gibt es jedoch keinen Beweis. Die seltenen Spontanheilungen kommen ebenso oft bei Ungläubigen vor. Mediziner haben alle denkbaren Faktoren in Betracht gezogen. Aber weder Glaube noch Unglaube, weder Vertrauen in eine höhere Macht noch Auflehnung gegen das Schicksal garantieren das medizinische Wunder.

Wenn aber nicht der Glaube gesund macht, so zumindest religiöse Rituale. Fernöstliche Meditation, aber auch das Beten des Rosenkranzes schützen vor Krankheiten. Beide sorgen für gleichmäßige und ruhige Atmung – und das ist gut für Lunge und Kreislaufsystem. Das ergab eine Studie von Luciano Bernardi von der Universität Pavia in Italien.

Auch ein Leben als Mönch oder Nonne ist nachweislich gesund. Das regelmäßige, stressfreie Leben mit stabilen sozialen Kontakten erhöht die Lebenserwartung um mehrere Jahre. Allerdings kommt es hier nicht auf den Glauben an. Auch Atheisten, die sich für einen solchen Lebensstil entscheiden, profitieren davon. Die Lebensweise ist entscheidend – und sie nützt auch ohne das Vertrauen in eine höhere Macht.

Aber hilft der Glaube wenigstens gegen die Angst vor dem Tod? Auch diese Annahme hat sich nicht bestätigt. Die Soziologin Monika Ardelt von der Universität Florida hat über hundert Senioren befragt. Ihre Erkenntnis: Kirchgänger fürchten sich genauso vor dem Tod wie jeder andere. Nur ein gelebter Lebenssinn vermag die Todesfurcht zu mildern. Wer also überzeugt ist, einen bestimmten Sinn im Leben zu haben und ihn in seinem Handeln verwirklicht, nimmt leichter Abschied vom Dasein, weil er sich sagen kann: Ich habe meine Lebensaufgabe erfüllt.

Macht Glaube wenigstens die Menschen besser? Dieser Überzeugung war der französische Aufklärer und scharfe Kirchenkritiker Voltaire. Er sagte: „Gäbe es Gott nicht, so müsste man ihn erfinden.“ Er hielt Religion für notwendig, um die Menschen zum Guten anzuhalten. Doch stimmt das? Die Ergebnisse sind widersprüchlich. Jesse Bering von der Belfast Universität (Nordirland) bejaht diese Frage. Er lud Kinder in sein Labor ein. Für kurze Zeit ließ er die Kinder dort allein. Vorher schärfte er ihnen ein, bloß nicht in die verschlossene Kiste zu schauen, die mitten im Zimmer stand. Würden sich die Kinder daran halten?

Einigen Kindern sagte er vorher, eine unsichtbare Prinzessin namens Alice befände sich im Raum und würde alles beobachten. Diese Kinder riskierten seltener einen Blick in die verbotene Kiste als die übrigen Kinder, die sich unbeobachtet glaubten. Das klappt auch bei Erwachsenen. Berings Studenten schummelten seltener bei Computeraufgaben, wenn er ihnen vorher scherzhaft erklärte, frühere Teilnehmer hätten einen „Geist“ im Raum gespürt.

Doch hindert das Gefühl, unter Gottes Beobachtung zu stehen, seine Schäfchen an Übeltaten? Über Jahrzehnte haben Forscher die Kriminalitätsstatistiken durchforstet. Die einen in der Hoffnung, die moralische Wirkung des Glaubens zu bestätigen. Die anderen mit dem Wunsch, sie zu widerlegen. Beide Seiten sind gescheitert. Die Angst vor göttlicher Strafe hindert offenbar nicht an bösem Tun. Skrupellose Mafiakiller waren meist eifrige Kirchgänger. Religiöser Fanatismus kann bekanntlich sogar zu Mordanschlägen anstacheln. Offenbar verfügen Erwachsene über die Fähigkeit, ihre Taten im Namen des Glaubens zu rechtfertigen.

Seit einigen Jahren suchen Hirnforscher nach angeborenen Grundlagen des Glaubens. Sie fanden einige Areale im Gehirn, die spirituelle Erlebnisse auslösen. Die Entstehung der Religion lässt sich sogar mit Darwins Evolution begründen. Gläubige Frauen haben im Schnitt mehr Kinder als Ungläubige. Unter diesen Umständen nimmt mit jeder Generation der Anteil der Menschen zu, die Gene für Religion in sich tragen. Nur – warum gibt es dann bei uns mehr Kirchenaustritte als –eintritte?

Woran jemand glaubt, legt nicht das Gehirn fest, sondern die Umgebung, in der das Kind aufwächst. Das ist genauso wie beim Lernen der Muttersprache. Die Sprachfähigkeit ist angeboren, aber welche Sprache das Kind spricht, entscheidet die umgebende Kultur. Mit den Religionen konkurrieren längst die Wissenschaft und andere diesseitige Überzeugungen, die die meisten von uns als zeitgemäßer empfinden.

Unsere Überzeugungen prägen zunächst die Eltern, später dann Freunde und das weitere soziale Umfeld. Wer die Überzeugungen seiner Nächsten übernimmt, ordnet sich in ihre Gemeinschaft ein. Er gewinnt Geborgenheit und Unterstützung in Notfällen. Er fühlt sich zugehörig. Glaube ist damit eine mächtige Bastion gegen Einsamkeit und Isolation. Deswegen ist der Austritt aus der Religion der Eltern oft ein heikler Schritt, der mit Konflikten verbunden ist. Das gilt aber auch für Ungläubige. Wer aus einer Atheisten-Familie kommt und plötzlich Gott für sich entdeckt, steht vor den gleichen Gewissensproblemen wie ein Abtrünniger vom Gottesglauben.

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veröffentlicht im Dezember 2009 © by www.berlinx.de

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