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Das wechselvolle Zusammen­leben von Mensch und Tier

Wer grausam zu Tieren ist, behandelt auch seine Mit­menschen nicht gut, schrieb Frei­herr von Knigge. Solch mit­fühlende Gesin­nung war bis vor kurzem eine Aus­nahme.

Im Garten Eden lebte Adam und Eva als Vegetarier.  In Kapitel 2 der Genesis, Vers 16 gab Gott dem Menschen alle Früchte der Bäume des Gartens zur Nahrung, außer vom Baum der Erkenntnis. Nur Früchte, kein Fleisch. Und auch die Tiere lebten als Vegetarier. In Kapitel 1, Vers 30 sagt Gott: „Aber allen Tieren auf Erden … habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben.“ Allen Tieren! Raubtiere waren nicht vorgesehen.

Doch mit der Vertreibung aus dem Paradies änderte sich die Lage. Aus Adams Sohn Kain wurde ein Ackerbauer, sein Bruder Abel aber Schäfer, also der erste Fleischproduzent. Und als beide Gott opferten, zog der himmlische Herr das Fleisch­opfer Abels vor. Weswegen Kain Abel erschlug. Das Töten der Tiere zog das erste Töten eines Menschen nach sich.

Gott sagte dem Menschen: Mach dir die Tiere untertan (Kapitel 1, Vers 28). Über Jahr­hunderte unter­mauerten Philo­sophen diese Haltung mit Argumenten. Grundlage war die Philosophie des Aristoteles. Er unterschied drei Arten von Seelen: Die vegetative Seele der Pflanzen, die sensitive der Tiere und die denkende Seele, über die nur der Mensch verfügt. Diese Abstufung prägte die Theologie des Mittel­alters. Descartes unterschied im 17. Jahrhundert scharf zwischen den Tieren als seelen­losen Automaten und dem vernunftbegabten Menschen.

Feindschaft gegenüber Tieren war weit verbreitet. Man verfluchte das Vieh, wenn es nicht gedieh. Viele Tiere (Katzen, Wölfe, Eulen, Raben, Kröten, Schlangen, Fliegen) galten als Verkörperung teuflischer Dämonen. In Paris band man am Johannistag (24. Juni) Katzen in einen Sack und verbrannte sie lebendig über einem Scheiter­haufen – eine lange übliche Volksbe­lustigung. Jagden des Adels dienten weder als Nahrungs­beschaffung noch als Maßnahme zur Regelung des Wild­bestandes wie heute. Sie waren spielerisches Kriegstraining.

Doch es gab auch Gegen­stimmen. Diogenes von Sinope – der Philosoph in der Tonne – hielt die Tiere für uns überlegene Geschöpfe, weil sie im Einklang mit der Natur leben. Sie leiden nicht unter dem Mangel an Geld, Macht und Luxus. Jesus nannte seinen Jüngern Tiere als Vorbild. Sie sammeln keine Schätze, sondern ernähren sich von dem, was auf dem Felde wächst (Matthäus, Kapitel 6, Vers 26). Der englische Frühauf­klärer John Locke wies darauf hin, dass Tiere die gleichen Sinnes­organe haben wie wir. Sollten sie dann nicht auch Gefühle haben wie wir?

Tiere besitzen Herz und Leiden­schaft, schrieb Rousseau. Sein Ruf „Zurück zur Natur“ leitete eine Epoche der Wert­schätzung für unsere Mitge­schöpfe ein. Der Arzt La Mettrie beschrieb den Menschen als Maschine. Zwischen uns und den Tieren bestände folglich nur ein gradueller Unterschied. 1761 gründete der Pferde­spezialist Claude Bourgelat in Lyon die weltweit erste tiermedizinische Schule. Wenige Jahre zuvor hatte Linné den Menschen mit den Affen in dieselbe Tier­ordnung eingereiht. „Nicht Erbarmen, sondern Gerechtigkeit ist man den Tieren schuldig“, schrieb Schopenhauer.

Die neue Tierliebe des 18. Jahrhunderts fand ihr Extrem bei Friedrich II. von Preußen, dem Alten Fritz. Menschen hielt er für heuchlerisch und berechnend. Seine Hunde liebte er. Wenn eins von seinen Wind­spielen starb, brach er in Trauer seine Staats­geschäfte ab. Er ließ das Tier in einer edlen Gruft beisetzen, bedeckt von einer Marmorplatte. Als jedoch einer seiner Sekretäre bei einem Diktat morgens um vier an einem Schlaganfall zusammenbrach, ließ der König den unbrauch­baren Diener beiseite schaffen und einen anderen Sekretär wecken, um das Diktat unverzüglich fortzusetzen (Bericht des Ministers von Hertzberg, 30. Mai 1786).

Heute haben wir den gesetzlichen Tierschutz, den schon Abraham Lincoln forderte (aber nicht eingeführt hat). Der 4. Oktober ist Welttier­schutztag. Wissen­schaftler dokumentieren das Gefühls­leben der Tiere und beschreiben die Intelligenz von Raben und Delphinen. Wir sind sensibel geworden für unnötige Tierversuche, beschäftigen uns mit Haltungs- und Schlacht­bedingungen.

Tatsache ist aber auch, dass wir Menschen ihren natürlicher Lebensraum noch nie so sehr bedroht haben wie heute. Obwohl wir wissen, dass wir mit dem tierischen Lebensraum auch unsere eigenen Lebens­grundlagen zerstören. Wir beherrschen den Planeten und drängen die übrige Natur in immer schmalere Nischen zurück. Die Zahl geschlachteter Tiere erreicht jedes Jahr neue Rekorde. Wir verhätscheln unsere Hunde und Katzen, aber rotten erbarmungslos aus, was seine Nahrung in unseren Häusern und Feldern sucht. Wir Menschen sind noch weit davon entfernt, ein freundliches Verhältnis zu unseren Mitgeschöpfen zu finden.

Buchtipp:
Sibylle Prinzessin von Preußen, Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen: Friedrich der Große – Vom anständigen Umgang mit Tieren, MatrixMedia Göttingen 2012, € 19,90

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Veröffentlicht im September 2012 © by www.berlinx.de

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