Die eilige Schwester der Aufschieberitis

Können Sie vor einem wichtigen Termin nachts nicht schlafen? Fühlen Sie sich unruhig, wenn heikle Dinge in der Schwebe bleiben? Fällt es Ihnen schwer, Wartezeiten zu ertragen? Fühlen Sie sich erst befreit, wenn alle Pflichten erledigt sind?

Philipp kommt von der Arbeit nach Haus und findet im Brief­kasten die Rechnung seines Zahn­arztes für seine neue Krone. Der Beitrag ist innerhalb von zwei Wochen zu zahlen. Da er noch ein traditionelles Konto bei der Sparkasse hat, wird er die Überweisung morgen erledigen. Morgen? Bis zur Sparkasse sind es fünf Minuten zu Fuß. Wenn er jetzt noch losgeht, muss er sich nicht den ganzen Abend erinnern, diese Pflicht morgen keines­falls zu vergessen. Was erledigt ist, kann ihn nicht mehr belasten. Also verlässt Philipp noch einmal das Haus.

Ein typischer Fall von Sofortismus. Früher neigte Philipp dazu, solche Dinge auf die lange Bank zu schieben. Uner­ledigte Rechnungen häuften sich, Mahn­bescheide trafen ein, und bald hatte er seine erste Klage am Hals. Mit Hilfe eines Freundes brachte er vor drei Jahren seine Ange­legenheiten in Ordnung. Nie wieder! Seitdem überfällt ihn eine regel­rechte Panik, wenn ihm irgendein Papier in der Wohnung zuzurufen scheint: „Vergiss mich nicht!“

Vor fünf Jahren entwickelte sich die Angewohnheit, Pflichten vor sich herzuschieben, zum Modetrend, genannt Aufschieberitis. Auch wir berichteten darüber. Auslöser war die Erfahrung, dass sich manche Dinge mit der Zeit von selbst erledigen. Leider funktioniert das nicht immer. Kleine Probleme können sich zu Katastrophen auswachsen, wenn man sie auf Dauer ignoriert:

  • Um nicht bezahlte Rechnungen kümmern sich Schulden­eintreiber und Gerichte.
  • Aufgeschobene Arzt­besuche können schwere Krankheiten nach sich ziehen.
  • Aus Zeitmangel längere Zeit die Familie vernach­lässigen kann zu bösen Scheidungen und Einsamkeit führen.
  • Eine einzige vernach­lässigte berufliche Pflicht führt unter Umständen zu Abmahnungen und Entlassung, obwohl man sich in allem übrigen vorbildlich verhalten hatte.

Dieser Risiko ist den meisten von uns durchaus bewusst. Einige beugen vor, indem sie der Gefahr bereits begegnen, wenn erste Vorzeichen am Horizont auftauchen:

  • Sie bezahlen jede Rechnung sofort, wenn sie ins Haus flattert – oder wenn möglich, schon vorher.
  • Sie gehen zweimal im Jahr zum Zahnarzt zur Kontrolle. Außerdem suchen sie regelmäßig den Gynäkologen bzw. Urologen, Augenarzt und Hausarzt auf.
  • Sie planen täglich eine bestimmte Zeit für die Familie ein. Wenn die Ehe trotzdem kaputt geht, dann weil der Partner merkt, dass er ein Pflicht­termin geworden ist.
  • In der Firma beauftragt man ihn mit den Pflichten, vor denen sich andere gern drücken. Das verschafft ihm Respekt, jedoch kaum Beliebtheit.

Im Gegensatz zur Aufschieberitis spricht über Sofortismus kaum jemand. Dabei sind beide eng verwandt. Sie sind extreme Versuche, sich im unüber­sichtlichen Alltag mit seinen vielen unterschied­lichen Anforderungen zurecht zu finden. Aufschieber, indem sie den Kopf in den Sand stecken – Soforterlediger, indem sie sich den Zumutungen der Umwelt weitgehend unterwerfen. Beiden fehlt die Gelassenheit, die Dinge zu managen, ohne sich von ihnen überwältigen zu lassen.

Bisher ist von Sofortismus vor allem in der Politik die Rede. Weil man dort von Wahlperiode zu Wahlperiode entscheidet, fehlt es an langfristigen Konzepten. Mit der Folge, dass man überhastet auf plötzliche Katastrophen reagiert, die man bei gelassener Vorausschau hätte vermeiden können.

Doch die hohe Politik ist nur die Spitze des Eisberges. Im Augenblick handeln ist eine typische Abwehr­reaktion gegen ein Übermaß an Anforderungen. Wir fühlen uns von momentanen Pflichten so überwältigt, dass wir nicht längerfristig planen können. Wenn wir die nächsten drei Tage nicht überschauen können, wie sollen wir dann voraussagen, was wir in drei Monaten oder drei Jahren tun werden!

Um sich gegen den Sofortismus zu wehren, ohne in das gegenteilige Extrem zu verfallen, haben sich folgende Strategien bewährt:

1. Akzeptieren Sie, dass Sie nicht alles voraussehen können und gelegentlich auch mal eine Pflicht vergessen werden. Laufen Sie nicht in die Perfektionismus­falle..

2 Führen Sie eine  Aufgabenliste – auf dem Smartphone oder traditionell in einem Schreibheft. Schreiben Sie dort alle Dinge hinein, die Sie erledigen wollen. Wenn sie täglich überprüfen, welche Posten Sie noch nicht als erledigt abgehakt haben, können Sie ab jetzt ruhig schlafen. Ihnen wird nichts Wichtiges mehr durchrutschen.

3. Planen Sie eine Stunde pro Woche, indem Sie Ihre Liste durchsehen und eventuell vergessene Aufgaben sofort erledigen.

Lesen Sie bei uns auch:
Aufschieberitis Wann es lohnt, Dinge auf die lange Bank zu schieben
Gelassenheit Wie Sie stets Herr der Lage bleiben

veröffentlicht im Januar 2015 © by www.berlinx.de

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