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Wertschät­zung zeigen und be­kommen

In früheren Jahr­hunderten standen Güte, Gottes­furcht oder Ge­horsam in der Hit­liste der wichtigsten Werte ganz vorn. Heute ist es der Respekt. Egonet informiert über die belieb­teste Tugend der Gegenwart.

Das Wort Respekt kommt aus dem Lateinischen und bedeutet wörtlich „Rücksicht“. Doch heute bedeutet Respekt mehr für uns: Nicht nur Rücksicht nehmen, sondern auch Toleranz und Wertschätzung zeigen. Respekt verlangt insbesondere, jemandem einen eigenen Wert zubilligen – unabhängig von seiner Denk- und Lebensweise. Jeder verdient Respekt, weil er Mensch und Persönlichkeit ist. Respekt muss also nicht erst durch Leistungen „verdient“ werden.

Respekt ist ein Menschenrecht. Diese Denkweise hat sich erst in den letzten 250 Jahren durchgesetzt. Vorher war Respekt von der sozialen Stellung abhängig. Respekt bekam, wer eine „Respektsperson“ war.  Am meisten König und Adel, ein bisschen Kaufleute und Handwerker, kaum Bedienstete, Schauspieler und Bettler. Auch heute ist diese Unterscheidung im Alltag noch spürbar. Den meisten Respekt erhält, wer respektabel auftritt, wer sich respektheischend verhält, wer Macht und Einfluss geltend macht.

Mangel an Respekt ist weit verbreitet. Der wichtigsten Grund für das Defizit ist der Zerfall der sozialen Bindungen. In engen Gemeinschaften, wo einer auf den anderen angewiesen ist, entwickelt sich Respekt beinahe zwangsläufig. Das zeigt ein Denkexperiment. Stellen Sie sich ein Paar vor, dass alle Alltagsaufgaben untereinander aufteilt. Der eine kauft ein, der andere putzt und wäscht. Damit das funktioniert, ist Respekt auf mehreren Ebenen erforderlich:

  • Ich muss zuverlässig die Leistungen für den anderen erbringen, wenn ich zuverlässige Gegenleistung möchte. Das bedeutet, seine Erwartungen und Ansprüche zu respektieren.
  • Ich muss ihm zutrauen, dass er seinen Anteil so leistet, dass wir beide damit zufrieden sind. Das bedeutet Respekt für seine Art und Weise, wann und wie er arbeitet – letztlich für seine Persönlichkeit.
  • Aufteilung der Pflichten und Rechte ist ein unausgesprochener Vertrag. Damit ist gegenseitiger Respekt unserer Beziehung verbunden.

Fehlt dieses enge aufein­ander Ange­wiesensein, geht Respekt verloren. Zum einen stecken wir in vielen Beziehungen gleichzeitig. Wir haben Kontakte zu Kollegen, Dienst­leistern, Freunden und Verwandten. Statt weniger enger Beziehungen viele lockere Kontakte. Was ich bei dem einen vermisse, finde ich bei einem anderen. Entsprechend locker halten wir es auch mit dem Respekt.

Viele Begegnungen sind zufällig und anonym. Da wir den anderen kaum noch einmal wiedersehen werden – warum sich dann große Mühe mit einem respektvollen Auftreten geben? Die Folgen kennen wir alle: Passanten rempeln einander an und beschimpfen sich. Autofahrer drängeln und zeigen den Stinkefinger. Verkaufspersonal ist gestresst und daher unfreundlich zu den Kunden. Die Kunden kommen genervt von der Arbeit und lassen ihren Ärger nach Feierabend wiederum am Verkaufspersonal aus.

Statt Respekt herrscht das Gesetz des Stärkeren. Benachteiligte Jugendliche bilden Banden und rächen sich an Einzelnen aus den besseren Schichten. Autofahrer gefährden Radfahrer, Radfahrer gefährden Fußgänger. Ältere ernten längst nicht mehr Respekt, sondern Spott und Aggression.

Bei keinem anderen Wert spüren wir sein Fehlen so deutlich. Bei einer Umfrage, welche Werte an Schulen unbedingt vermittelt werden sollten – veröffentlicht in der Berliner Morgenpost Anfang November 2008 – rangierte Respekt auf Platz 1. Noch vor Disziplin, Toleranz und Verantwortung. Das zeigt, wie viele Leute Respekt vermissen. Was können wir tun, um mehr Respekt zu erlangen? Diese Frage hat eine soziale und eine persönliche Dimension.

Lehrer erhalten nur noch wenig Respekt. Warum? Nicht nur die Schüler verhalten sich respektlos, sondern auch viele Eltern. Sie stellen sich schützend vor die Missetaten ihrer Sprösslinge und verklagen die Lehrer wegen ungerechter Zensuren. Das wiederum treibt die Lehrer in eine Kampfhaltung gegen kritische Eltern. Gegeneinander statt miteinander ist das Ergebnis. Es fehlt der Respekt vor dem Status „Lehrer“. Die besorgten Eltern sehen im Lehrer nur die fehlbare Einzelperson, aber nicht die soziale Rolle „Respektsperson Lehrer“, die ihr Kind für seine gesunde Entwicklung unbedingt braucht. Einige Lehrer besitzen genug innere Stärke, um damit zurechtzukommen. Doch viele zerbrechen daran. Hier ist gesellschaftliche Solidarität nötig.

Doch Respekt hat auch eine persönliche Dimension. Wer das Gefühl hat, oft zu wenig Respekt zu erhalten, sollte sein Verhalten überprüfen. Lade ich unbewusst dazu ein, mich respektlos zu behandeln? Die wichtigsten Regeln:

  • Je mehr Respekt ich zeige, desto mehr Respekt erhalten ich zurück. Finden Sie die Ansichten Ihres Gegenüber albern und sein Verhalten unmöglich? Bemühen Sie sich dennoch um Respekt.
  • Legen Sie sich eine grundsätzliche Respekthaltung zu. Schwingen Sie sich nicht zum Richter auf, selbst dann, wenn Sie zu Recht über die bessere Einsicht verfügen. Sagen Sie sich: Ich finde dein Verhalten nicht in Ordnung und mache da nicht mit. Aber ich respektiere deine Entscheidung, dich so zu verhalten – vor allem, da ich deine Gründe nicht genau kenne.
  • Verhalten Sie sich wenig angreifbar. Geben Sie sich höflich, freundlich und nicht zu vertraulich.
  • Behalten Sie in Ihrem Auftreten eine gewissen Konsequenz bei. Also nicht heute so und morgen anders.
  • Bieten Sie andern Ihre Freundschaft an, aber betteln Sie nicht darum.
  • Unterbreiten Sie Vorschläge, aber stellen Sie keine Forderungen. Billigen Sie anderen ihre Freiräume im Denken, Handeln und Entscheiden zu. Dann werden sie auch mehr und mehr Ihre Freiräume respektieren.

veröffentlicht im Januar 2009 © by www.berlinx.de

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