Wenn alles bestens läuft, gut drauf zu sein, ist keine Kunst. Doch in Krisen trennt sich die Spreu vom Weizen. Ein neuer Zweig der Psychologie erforscht, warum manche Menschen persönliche Katastrophen anscheinend unbeschadet überstehen.
Ende der 70er Jahre gingen Forscher in die Slums der Großstädte, um die Mär von der Chancengleichheit zu widerlegen. Wenn ein Kind im Elend aufwächst – ist es nicht von vornherein verurteilt, ebenfalls im Elend dahin zu vegetieren? Die Forscher fanden: In den meisten Fällen entwickelten sie sich wie ihre Eltern zu arbeitslosen Analphabeten, die sich mit Betteln, Diebstählen und viel Alkohol durch das Leben schlugen.
Aber nicht alle. Eine kleine Gruppe kämpfte sich aus dem Elend heraus. Diese Ausnahme-Kinder nahmen ihre Schwierigkeiten als Herausforderungen.
Das gleiche Phänomen findet man bei Opfern von Katastrophen. Viele leiden ihr Leben lang unter einem Trauma, doch manche schütteln das Erlittene ab. Sie gewinnen innere Stärke aus ihren schlimmen Erfahrungen.
Die Psychologen bezeichnen die Fähigkeiten, Krisen unverwundbar zu überstehen, als Resilienz. Das Wort bedeutet „Elastizität“. Ein starrer Fels in der Brandung wird nach und nach von den Wellen ausgehöhlt. Doch Algen und Kleinstlebewesen, die jeder Wellenbewegung elastisch nachgeben, bleiben heil. Ja, sie nutzen die Wellen sogar aus. Mit jeder Bewegung trägt das Wasser Nährstoffe heran und transportiert Abfälle fort.
Auch beim Menschen geht es um „Biegen oder Brechen“. Wer starr bleibt, zerbricht. Resiliente Menschen sind biegsam. Sie schlängeln sich durch, indem sie folgende Ressourcen nutzen:
Soziale Netze: Die resilienten Kinder der Slums knüpften Kontakte zu Gleichgesinnten, Lehrern und Pfarrern – also zu Menschen, die ihnen die Welt außerhalb ihrer Umgebung eröffnen konnten. Wer einen kompetenten Freundeskreis besitzt, findet Halt und neue Kontakte bei Entlassung, gescheiterter Ehe und anderen Verlusten.
Realitätssinn: Resiliente verleugnen die Krise nicht, sondern akzeptieren das Geschehen als normalen Teil des Lebens. Das gilt auch für die dabei empfundenen Gefühle der Wut, Angst und Trauer.
Improvisationstalent: Resiliente suchen nicht die perfekte Lösung, sondern verfolgen eine Politik der kleinen Schritte. Sie freuen sich über jede kleine Verbesserung. Sie zögern Entscheidungen nicht hinaus, sondern vertrauen dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Kommen Sie auf einem Weg nicht weiter, probieren sie etwas anderes. Sie warten nicht ab, ob ein guter Geist sie erlöst.
Sinngebung: Das negative Ereignis ist nicht zu ändern, wohl aber, wie man darüber denkt. Sich als Opfer zu sehen, fällt leicht, führt aber dazu, dass man in seinen Schwierigkeiten verharrt. Resiliente machen eine Bestandsaufnahme. Welche Chancen eröffnen sich mir, auch wenn meine Möglichkeiten durch die Krise eingeschränkt sind? Außerdem denken Resiliente langfristig.
Resilienz kann jeder lernen. Die Kinder in den Slums erhielten ihren Anstoß oft durch Vorbilder, denen sie nacheiferten. Krisenfest werden Sie, wenn Sie in Zukunft bei Stress nicht in die Luft gehen, sondern resilient reagieren:
Innerer Abstand: Nicht sofort um sich schlagen, sondern innerlich Distanz bewahren. Drei Sekunden überlegen, bevor Sie auf eine provokative Bemerkung antworten. Bei größerem Ärger sagen Sie: „Ich muss erst darüber nachdenken.“
Ideale Modelle nachahmen: Wie würden Menschen, die Sie bewundern, in dieser Situation reagieren? Was würde Ihr ideales Ich – der Mensch, der Sie gern wären – tun?
Lösungsorientierung: Kein Grübeln, kein „Hätte ich doch …“ oder „Wer ist schuld?“! Was passiert ist, ist passiert. Denken Sie über einen praktikablen Ausweg nach. Aber nicht allzu lange. Halbwegs gut ist besser als eine perfekte Lösung, die Ihnen erst nach Monaten einfällt.
Offensiv handeln: Gehen Sie keiner Schwierigkeit aus dem Weg. Wir hoffen meist, dass sich kleine Ärgernisse von selbst erledigen. In der Tat: 9 von 10 Probleme verschwinden von selbst. Doch das 10. wächst sich zu einer mittleren Katastrophe aus. Es kostet mehr Zeit und Nerven, als wenn sie alle 10 Probleme in Angriff genommen hätten, als sie noch klein waren.
Ausführliche Informationen über Gewinnerstrategien in Krisenzeiten gibt unser Autor in seinem Taschenbuch:
Frank Naumann: Kleiner Machiavelli für Überlebenskünstler. Rowohlt 2005. € 8,90.
Veröffentlicht im Februar 2006 © by www.berlinx.de
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