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Seit einigen Jahren werden die Kosten für einige Arten von Psychotherapien von den Kassen übernommen. Im ersten Teil unseres Beitrages erfahren Sie, wie Sie aussichtsreiche Therapien erkennen und von nutzlosen unterscheiden. In den nächsten beiden Ausgaben wird EGO-Net Ihnen bewährte Therapieformen im Einzelnen vorstellen.
Acht Millionen Deutsche leiden laut einer Studie des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München und der Technischen Universität Dresden an einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung. Doch nur eine Minderheit lässt sich behandeln (weniger als 30 Prozent). Die meisten schleppen ihr Leiden über Jahre mit sich fort. Eigentlich unnötig. Denn gerade die häufigsten seelischen Beeinträchtigungen bieten heute schon gute Heilungschancen. Angststörungen – nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts mit 14,5 Prozent am häufigsten – sind in der Mehrzahl der Fälle mit modernen psychotherapeutischen Verfahren gut zu behandeln. Das gleiche gilt für die mit 11,5 Prozent zweithäufigste Störung: die Depression.

Dass viele in ihrem Leiden verharren, hat vor allem zwei Ursachen:
die Scheu, sich als seelisch behandlungsbedürftig zu outen
mangelndes Wissen, wie man einen guten Therapeuten findet.

Der einfachste Weg zu professioneller Hilfe führt über die Krankenkasse. Sie verfügt über eine Liste der Therapeuten, mit denen sie zusammenarbeitet. Allerdings bezahlen die Kassen in der Regel nur Psychoanalytiker und Verhaltenstherapeuten. In manchen Fällen werden Sie eine andere Therapieform bevorzugen – weil Ihnen von Bekannten ein bestimmter Therapeut empfohlen wurde oder weil Ihnen ein alternatives Verfahren sympathischer erscheint. In manchen Fällen lassen die Kassen wegen der Kostenübernahme mit sich verhandeln, zum Beispiel für eine Gesprächspsychotherapie. Oder Sie lassen sich vom Therapeuten Ihrer Wahl einen Beratungstermin geben – er ist kostenlos – und besprechen mit dem Therapeuten die Einzelheiten, auch die Finanzierung.

Das wichtigste Kriterium für die gewählte Therapie sollte der gute Draht zum Therapeuten sein. Wenn Sie einen einfühlsamen, hoch motivierten Fachmann gefunden haben, dann ist es zweitrangig, welche Art von Therapie er durchführt. Seine Persönlichkeit ist entscheidend. Sie haben das Recht, eine Probestunde zu nehmen und festzustellen, ob Ihnen seine Art zusagt.

Wenn Sie schon am Anfang ein Unbehagen, Ablehnung oder gar Antipathie spüren, sollten Sie jemand anderes aufsuchen. Ihr Gegenüber kann fachlich hoch versiert und erfolgreich sein und dennoch mit Ihnen nicht klar kommen. Ein guter Psychologe wird das seinerseits spüren und Ihnen von sich aus vorschlagen, einen Kollegen aufzusuchen. Sie sind in guten Händen, wenn nicht nur die Gesprächsatmosphäre stimmt, sondern in dieser ersten Unterhaltung Rahmenbedingungen wie Kosten, Therapiedauer und Methoden des Vorgehens konkret benannt werden. Verschwommene Angaben mit vielen „vielleicht“ und „wir werden sehen“ sollten mißtrauisch machen. Erkundigen Sie sich auch, welche Ausbildung der Therapeut durchlaufen hat. Neben seinem Studium sollte er über Praxiserfahrungen und Zusatzausbildungen verfügen.

Im Regelfall werden Sie nicht von vornherein wissen, welcher Fachmann von der Persönlichkeit her zu Ihnen paßt. Dann stehen Sie vor der Qual der Wahl. In einer großen Vergleichsstudie von Grawe, Donati und Bernauer aus dem Jahre 1994 werden 41 Therapiearten vorgestellt und in der Einleitung eine Fülle weitere Verfahren erwähnt. Wir empfehlen, sich in den örtlichen Gesundheitsämtern oder in psychologischen Beratungsstellen zu erkundigen und zunächst mehrere Therapeuten unterschiedlicher Schulen aufzusuchen, bevor Sie ein Urteil fällen. Ein Quentchen Glück gehört in jedem Fall dazu.

Wenn Sie sich entschieden haben, sollten Sie dem Therapeuten aber auch die Chance geben, sein Können unter Beweis zu stellen. Brechen Sie die Behandlung nicht nach zwei oder drei Stunden ab! Es dauert seine Zeit, bis eine Therapie wirkt. Nach fünf bis sechs Sitzungen sollten Sie zumindest eine leichte Entlastung Ihrer negativen Gefühle wie Angst und Wut spüren, nach zwanzig Stunden sollten Sie sich deutlich besser fühlen. Lediglich bei der Psychoanalyse kann es länger dauern, bis der entscheidende Durchbruch erzielt ist.

Hören Sie auf Ihr Gefühl: Ist der Therapeut an Ihrem Problem „dran“ oder haben Sie den Eindruck, daß Sie beide aneinander vorbei reden? Wenn nach einem drei bis vier Monaten Behandlung noch nichts erreicht wurde, dürfen Sie die Therapie guten Gewissens abbrechen.

Wie unterscheidet man Scharlatanerie von seriösen Therapien? So manches mit starken Argumenten angepriesene Verfahren hat sich noch nie einem objektiven Nachweis seiner Wirksamkeit gestellt. Manche – und dazu gehören auch die meisten Psychoanalytiker – lehnen eine Erfolgsprüfung ab, weil jeder Fall einzigartig sei. Aber die Klienten hinterher fragen, ob sich Ihr Befinden verbessert hat – das sollte jeder Therapeut als
Erfolgskriterium anerkennen.

Will man die Wirkung von Therapien beurteilen, sind vier Faktoren zu berücksichtigen, nämlich:

  1. die Spontanheilungen
  2. die unspezifischen Therapieeffekte
  3. die spezifischen Therapieeffekte
  4. die Fehler.

Spontanheilungen: Eine je nach Störung unterschiedliche Anzahl von Patienten werden von selbst wieder gesund, nicht anders als bei körperlichen Krankheiten. Bei Neurosen ist der Anteil der Spontanheilungen besonders hoch. Deswegen haben Therapien, die in erster Linie bei Neurosen eingesetzt werden, eine höhere Heilungsquote als andere.

Unspezifische Therapieeffekte sind Wirkungen, die automatisch dadurch auftreten, daß überhaupt therapiert wurde. Allein die Tatsache, daß ein als Autorität akzeptierter Fachmann sich Zeit nimmt und zuhört, daß der Patient Gelegenheit bekam, sich einmal auszusprechen, ohne daß sein Gegenüber ungeduldig abwinkt, macht manche bereits gesund. Der wichtigsten Bedingungen hierbei sind Sympathie und Verständnis zwischen Therapeut und Klient. Ein Großteil dessen, was in einer psychologischen Sprechstunde abläuft, geht also allein auf die Anwesenheit eines geduldig zuhörenden Beraters zurück und hat nur wenig mit seiner Fachkompetenz zu tun.

Die verschiedenen Therapien machen sich die unspezifische Effekte in unterschiedlichem Maße zunutze. Während manche Verhaltenstherapien ganz ohne sie auskommen – einige können sogar auf die Anwesenheit eines Therapeuten ganz verzichten – nutzt die Gesprächspsychotherapie diese Effekte in ihrer vollen Bandbreite aus.

Spezifische Therapieeffekte sind jene, in denen sich die einzelnen Methoden tatsächlich unterscheiden. Nach der schon zitierten Untersuchung von Grawe, Donati und Bernauer haben Verhaltens- und kognitive Therapien die höchste spezifische Wirkung. Sie ist doppelt so hoch wie ihre unspezifische Wirkung. Aber auch bei der Psychoanalyse und bei der Gesprächspsychotherapie ist der Anteil der spezifischen Wirkung höher als der Anteil der allgemeiner Effekte.

Die Statistiken liefern freilich nur Durchschnittswerte; sie schließen nicht aus, daß in etlichen Fällen eine Therapie mit nur geringen spezifischen Effekten sinnvoller sein wird. Entgegen den Werbeversprechungen mancher modischer Seelenpropheten muß man jedoch sagen, daß für die meisten Therapieverfahren überhaupt keine spezifischen Effekte festgestellt werden konnten – außer von Ihren Vertretern selbst, die gern über Ihre Erfolge berichten, aber von Ihren Mißerfolgen schweigen oder den Patienten mangelnder Mitarbeit beschuldigen.

Die Fehler. Nicht alle Mißerfolge einer bestimmten Therapie sind der Methode selbst geschuldet. Therapeuten sind auch nur Menschen und machen Fehler. Bei Therapien, wo viel von der Persönlichkeit des Therapeuten abhängt (Psychoanalyse, Gesprächspsychotherapie), ist die Zahl der Fehler höher als zum Beispiel bei den mehr „technischen“ Verfahren der Verhaltenstherapie.

Grundsätzlich haben Sie bei dem Therapeuten die besseren Heilungschancen, der verschiedene Methoden beherrscht und erst nach einer genauen Diagnose für Sie ein individuelles Programm vorschlägt. Therapeuten, die so arbeiten, sind jedoch eher die Ausnahme. Die meisten sind einer bestimmten Schule und damit einer bestimmten Methode verpflichtet. Durch Ihre Vorentscheidung für eine bestimmte Therapie können Sie auf die Festlegung der für Sie günstigsten Vorgehensweisen Einfluß nehmen.

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