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Jede zweite Frau hat Schwierigkeiten mit dem Gipfel aller Lustgefühle. Deshalb entwickelte sich das Recht auf die weibliche Lust in den 70ern zu einem Zentralthema der sexuellen Revolution. Auch wenn wir heute wissen: der Orgasmus ist nicht alles – ohne ihn macht die Lust nur halb so viel Spaß. Und: auch Männer kennen Orgasmusprobleme. EGO-Net klärt auf.

Jede Frau und jeder Mann kann den Orgasmus erreichen – im Alleingang. Erst im Zusammenspiel mit dem Partner treten Probleme auf: „Technisches“ Ungeschick oder seelische Barrieren. Meist beides zugleich.
Nerven, Blutbahnen und Geschlechtsorgane sind jedenfalls hervorragend gerüstet für den ultimativen Kick. Aber halt – die Lust entsteht ja in Wahrheit im Kopf. Doch da sind Männer und Frauen gleich gut gerüstet, wie ungarische Neurologen erst kürzlich herausfanden. Das intensive Lusterlebnis hat in einer Region der rechten Hirnhälfte seinen Ursprung, einem Teil des Limbischen Systems. Ausgerechnet Epilepsiepatienten brachten die Forscher auf die Spur. Kurz vor einem Anfall traten bei ihnen Gefühle auf, die einem Orgasmus ähneln.

Wie die Lust erlebt wird, hängt allerdings von vielen Faktoren ab: der Laune, dem Partner, dem Vorhandensein oder der Abwesenheit von Sorgen und Stress, der eigenen Einstellung zum Sex … Nicht zuletzt spielen Erfahrungen eine Rolle. Nicht nur mit früheren Partnern und der Selbstbefriedigung. Sondern die Vertrautheit mit dem eigenen Körper und der Akzeptanz geheimer seelischer Regungen.

Auch der Einfluß der Sexualkultur ist nicht zu unterschätzen. AIDS, Mißbrauchsberichte in den Medien, aber auch der wachsende Individualismus haben die Vorsicht wieder größer werden lassen – nach einer Epoche der Sorglosigkeit vom Ende der 60er bis Anfang der 80er Jahre. Der gelungene Orgasmus braucht aber Vertrauen und Sich-gehen-lassen. Die Furcht, die Kontrolle zu verlieren und sich dem Partner auszuliefern, spielt für Frauen heute eine wachsende Rolle als Hemmnis auf dem Weg zum Höhepunkt. Lebenslange Ehen werden seltener, die Tendenz zum Lebensabschnittspartner wächst. Die innere Vorbehalte gegen den aktuellen Partner schließen völlige Hingabe aus.

Wie dennoch eine orgasmusförderliche Atmosphäre entsteht, zeigt die altindische Tradition des Tantra. Sie setzt nicht auf Spontansex, sondern geplante, ausführliche Rituale allmählicher Luststeigerung. Seine wichtigsten Elemente:
Männer und Frauen trainieren ihre Beckenbodenmuskulatur. Er mit dem Ziel, seine Ejakulation zu beherrschen und hinauszuzögern. Sie steigert ihre Empfindungsfähigkeit und wird schließlich fähig, allein durch Reiben ihrer Vaginalmuskeln das stillhaltende männliche Glied zur Ejakulation zu führen.
Die geschlechtliche Vereinigung dehnt sich im Tantra zu einem stundenlangen Spiel. Am Anfang stehen Ganzkörperküsse und Berührungen in vielfacher Variation.
Ein besonderes „Bonbon“ ist die Yab-Yum-Position. Beide sind im Schneidersitz einander zugewandt. Sie sitzt dabei auf seinen Schenkeln. Mit gelegentlichen, langsamen Beckenbewegungen kann sie seine Erektion in ihr eine Stunde und länger aufrechterhalten. Auch der Orgasmus wird zeitlich gedehnt. Die Meister des Tantra nutzen zusätzlich die Technik der verlangsamten Ausatmens während des Höhepunkts. Ob verlängerter oder multipler Orgasmus: im Tantra alles eine Frage bewußten Hinauszögerns und Übens.

In der westeuropäischen Tradition diskutieren wir statt der seelischen Atmosphäre lieber die Anatomie: Was ist besser: Klitoris- oder Vaginalorgasmus? Gibt es den G-Punkt, und wenn ja, wo? Moderne Forschungen zeigen, daß die alten Unterscheidungen überholt sind. Australische Studien zeigten, daß die sichtbare Klitoris sich nach innen bis zu 10 Zentimeter fortsetzt und mit Schwellkörpern verbunden ist, die bis an die Vorderwand der Vagina reichen. Vagina und Klitoris sind verbunden. Vernetzt mit empfindlichen Nervenbahnen, läßt eine Vaginareizung auch die Klitoris anschwellen.

Am überraschendsten ist jedoch die Erkenntnis, daß auch Männer Probleme mit dem Lustgipfel kennen. Die simple Formel „Ejakulation gleich Orgasmus“ gilt nicht mehr. Typische Männerprobleme:
Vorzeitige Ejakulation. Sorgen Nervosität, Ängste oder Stress für vorzeitigen Samenerguß, ist alles vorbei, bevor überhaupt Lustgefühle sich aufbauen können.
Kein Höhepunkt-Feeling trotz „normaler“ Ejakulation. Seelische Barrieren und Sorgen verhindern ein Lustempfinden. Handelt es sich nicht nur um vorübergehende, sondern dauernde Unlust, ist eine Behandlung bei einem Sexualtherapeuten unumgänglich.
Schmerzen bei der Ejakulation. Dahinter kann eine bakterielle Infektion stecken. Sex nur mit Kondom! Ein Eisbeutel lindert den ersten Schmerz. Dann ab zum Arzt.
Vorgetäuschter Orgasmus: Keine reine Frauendomäne, wie Umfragen zeigen. 60 Prozent der Frauen haben mindestens einmal einen Höhepunkt vorgetäuscht – aber auch 29 Prozent der Männer! Wenn er sich leidenschaftlich aufbäumt und es ansonsten „feucht“ zugeht, kann er durchaus erfolgreich den fehlenden Samenerguß verschleiern. Vor allem beim One-night-stand, wenn sie seine üblichen Reaktionen nicht kennt.

Ob Mann oder Frau – Blockaden im Kopf sind der Hauptfeind der Lust. Die beste Abhilfe: Nicht auf spontane Leidenschaft warten, sondern einen „Sextermin“ vereinbaren, von dem alle Störfaktoren (Telefon, Termine) ferngehalten werden. Ein ungewöhnlicher Ort oder ein origineller Striptease geben dann der Phantasie den nötigen Anstoß für mehr …

In der nächsten Ausgabe:
Typisch Frau – Typisch Mann”, Teil 26:
„Das kannst du sowieso nicht verstehen!“
Fünf typische Männer- und Frauen-Macken im Vergleich

April 2002 © by www.berlinx.de

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