Print Friendly, PDF & Email

In den Nachrichten hören wir vom Kampf der Kulturen. Kopftuchstreit, Parallelgesellschaft. Attentate und Fundamentalisten dominieren die Meldungen. Doch im Stillen schreitet die Vermischung der Kulturen fort. Auch auf dem privatesten Gebiet, der Liebe.

Knapp 400 000 Paare geben sich jedes Jahr in Deutschland das Ja-Wort. Bei jedem sechsten – also über 60 000 – treffen zwei Kulturen aufeinander. Bei diesen Ehen begegnen sich nicht nur Mann und Frau, sondern meist auch zwei Sprachen, zwei Familien, Religionen und unterschiedliche Sitten und Werte. Die Statistik weist bei uns Ehepartner aus fast jedem Land der Erde nach – lediglich wenige Zwergstaaten wie San Marino und einige Südseeinseln fehlen.

Frauen verheiraten sich am häufigsten mit Türken, Kroaten und Afrikanern. Männer bevorzugen Osteuropäerinnen und Asiatinnen. Steht es um die kulturelle Integration so schlecht wie die täglichen Horrormeldungen über Ausländerghettos vermuten lassen? Nach den aktuellen Scheidungszahlen scheitern Multikulti-Ehen nicht häufiger als Heiraten von Deutsch zu Deutsch. Allerdings liefert die Statistik nur ein Durchschnittsbild. In der Realität müssen wir zwei Fälle unterscheiden:

  1. Ein Teil dieser Ehen sind Notgemeinschaften. Sie halten besser als die deutsche Durchschnittsehe. Denn mindestens ein Partner ist auf den Erhalt der Ehe dringend angewiesen. Er/sie verdankt ihr Aufenthaltserlaubnis oder Einbürgerung. Der Ehepartner ist in der Fremde oft der einzige soziale Halt.
  2. Ein anderer Teil der Multikulti-Ehen hält schlechter. Alle Paartherapeuten bestätigen, dass Ähnlichkeit der Werte und des Lebenshintergrundes eine Ehe stabilisiert, während Differenzen ein Liebesrisiko darstellen. Dazu gehören auch kulturelle Unterschiede. Verschiedene Ideale der Erziehung und Rollenverteilung liefern Konfliktstoff.

Am Anfang wirkt der „Exoten-Bonus“. Das Fremdartige fasziniert. Verliebte empfinden die ferne Lebensanschauung als Bereicherung. Sie stürzen sich mit viel Leidenschaft, Neugier und positiven Erwartungen in das Liebensabenteuer.

Andere Essgewohnheiten, Tagesabläufe und Verhaltensvorlieben rufen zuerst Begeisterung hervor, später eher Streit und Ärger. Doch selbst wenn das Paar scheitert, bleibt die intime Begegnung mit einer anderen Kultur als Bereicherung in Erinnerung. Berührungsängste verschwinden. Man hat gelernt, sich flexibel anzupassen, sich aufeinander einzustellen und im Alltag Toleranz zu üben. Ohne hohe Kompromissfähigkeit hätte das Paar die ersten Monate kaum heil überstanden.

Im Frühjahr 2006 überraschte das Statistische Bundesamt mit der Meldung, dass an die 20 Prozent der Bevölkerung einen „Migrationshintergrund“ besitzen. Was bedeutet diese Zahl? Da sind zunächst 7,3 Millionen Ausländer ohne deutsche Pass. Eine größere Anzahl – 9 Millionen – sind Deutsche mit Wurzeln in einer anderen Kultur. Dazu gehören Ausländer, die einen deutschen Pass erhielten. Außerdem Spätaussiedler, zum Beispiel Russen deutscher Abstammung. Und schließlich die Kinder und Enkel von Gastarbeitern.

25 Prozent der deutschen Kinder hat mindestens einen ausländischen Elternteil. Wir nehmen sie in erster Linie als Risiko wahr: Kinder, die nicht genug deutsch können, um in der Schule mitzukommen. Wenn sich ein Multikulti Paar für Kinder entscheidet – werden sie von Geburt an Bürger zweiter Klasse sein?

Mischkulturen hat es auch in früheren Jahrhunderten oft gegeben. Einige – wie die Weltmacht USA – haben aus der Vermischung kreatives Potential gewonnen. Personen, in denen zwei Kulturen aufeinander treffen, verständigen sich in mindestens zwei Sprachen. Sie springen zwischen Kulturen hin und her. Sie blicken über den Tellerrand ihres Wohnorts hinaus. Sie kennen die Relativität der Werte jeder Kultur.

Solange Ausländer als Bedrohung gelten, verpuffen diese Chancen ungenutzt. Eine Ghettomentalität entsteht, wo Armut herrscht. Dort bilden die Benachteiligten solidarische Notgemeinschaften. Wohlstand und Chancengleichheit öffnet die Ghettos. Wir machen uns viele Gedanken, wie wir Fremde von Deutschland fern halten können. Daran könnte sich etwas ändern, wenn die Millionen Fälle, in denen Deutsche mit Fremden gemeinsam den Alltag meistern, mehr Beachtung finden.

Veröffentlicht im Februar 2007 © by www.berlinx.de

Rating: 3.0/5. From 1 vote.
Please wait...