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Die positive Seite der Selbst­bewunderung

Sind Sie eitel, selbstverliebt und denken Sie in erster Linie an sich selbst? Dann sind Sie ein Narziss. Bestreiten Sie ein Narziss zu sein? Dann sind Sie wahr­scheinlich auch keiner.

Narziss war der Sohn des altgrie­chischen Flussgottes Kephisos und der Nymphe Leiriope. Nachdem er zu einem schmucken Jüngling herangewachsen war, stellten ihm die Nymphen nach, aber er verschmähte alle. Nemesis, die Göttin der Rache, belegte ihn mit dem Fluch, sich in sein eigenes Spiegel­bild zu verlieben. Voll unerfüllter Sehnsucht nach sich selbst starb er an Liebes­kummer. Wo seine Leiche verbrannt wurde, blühte eine bis dahin unbekannte Blume, die Narzisse.

Der Narziss von heute denkt gar nicht daran, vor Sehn­sucht zu vergehen. Im Gegenteil, er ist stolz auf seine Eitelkeit. Das zeigte jetzt ein Test der Ohio State University. Bisher versuchte man Narzissten mit einem vierzig Fragen umfassenden Persönlich­keits­frage­bogen aus der Bevölkerung heraus­zufiltern. Einige Beispiele:

  • Haben Sie ein natürliches Talent, Menschen zu beein­flussen?
  • Ist Bescheidenheit nicht Ihre Sache?
  • Lieben Sie Heraus­forderungen?
  • Halten Sie sich für etwas Besonderes?
  • Mögen Sie es, Ihren Körper zu betrachten?
  • Sind Sie erst zufrieden, wenn Sie alles bekommen, was Ihnen zusteht?
  • Genießen Sie es, Kompli­mente zu bekommen?
  • Möchten Sie mächtig sein?
  • Mögen Sie es, im Mittelpunkt der Aufmerk­samkeit zu stehen?

Wer diesen und ähnlichen Fragen zustimmt, ist ein Narziss. Doch nun fanden die Psychologen aus Ohio heraus: So viel fachliche Mühe ist gar nicht nötig. Es genügt, die Leute zu fragen: „Sind Sie ein Narziss?“ Die Antworten sind ebenso zutreffend wie die Ergebnisse des ausführ­lichen Frage­bogens.

Narzissten sind nämlich stolz auf Ihren Charakter. Sie leugnen ihre Neigung keineswegs. Selbst dann, wenn man ihnen Narzissten als eitle, egoistische und selbstbezogene Personen definiert. Ein Narziss hält sich für überlegen und möchte, dass die anderen das zur Kenntnis nehmen. Wer dagegen bescheiden ist und wen Komplimente eher verlegen machen, wird diese Frage verneinen. Wenn es um den Grad unserer Selbst­verliebtheit geht, sind wir erstaunlich ehrlich und nüchtern.

Selbstüber­hebung galt lange als moralisch fragwürdig. Die moderne Wirtschaft könnte ohne Narzissten nicht überleben. Sie halten die Mode­industrie am Laufen. Die Medien wären ohne sie nicht halb so interessant. Ganze Sende­formate leben von ihnen. Vor 500 Jahren betrachtete man Schauspieler als Bettler­gesindel. Heute gilt er als Traumberuf – obwohl die Mehrheit der Schauspieler(innen) von diesem Beruf nicht leben kann.

Wer heute Erfolg haben will, muss Aufmerk­samkeit erringen. Ein Narziss hat dafür die richtige Einstellung. Er hat keine Scheu, in Fett­näpfchen zu treten. Er blüht auf, wenn sich alle Blicke auf ihn richten – egal, ob aus Bewunderung oder aus Abscheu. Keine Beachtung zu finden, wäre schlimmer.

Zur Quelle der Studie —>

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veröffentlicht im September 2014 © by www.berlinx.de

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