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Warum es nicht nur Kluge geben kann

Medien und Experten beklagen rege­lmäßig die zuneh­mende Ver­blödung der Republik. Wie weit stimmt dieser Eindruck? Und wenn ja, wäre das so schlimm?

Wer Beispiele für sagen­hafte Dumm­heiten präsentieren möchte, braucht nicht lange zu suchen. Eine Viertel­stunde Nachmittags­programm der Privat­sender genügt. Wem das nicht genügt, braucht nur die unend­liche Geschichte des Berliner Flug­hafens oder die Rüstungs­einkäufe der Regierung zu verfolgen. Immer wieder verdienen Journalisten leichtes Geld, indem sie solche Beispiele sammeln und mit knackigen Titeln auf den Buchmarkt werfen wie Bullshit oder Generation Doof.

Aus diesen Beispielen auf eine zunehmende allge­meine Verdummung zu schließen, wäre aber falsch:

Dummheit gab es schon immer. Sokrates bewies mit bohrenden Fragen seinen Mitbürgern, dass sie sich zwar einbildeten, Bescheid zu wissen, aber keine Ahnung hatten. Statt Einsicht und mehr Beschei­denheit zu zeigen, rächten Sie sich an dem Mann, der ihnen die schlechte Nachricht beibrachte. Sie verurteilten Sokrates zum Tode wegen Gottes­lästerung und Verderben der Jugend. Hatten die antiken Athener wenigstens aus ihrem Fehler gelernt? Keineswegs. 76 Jahre bedrohten sie das Leben von Aristoteles. Er entzog sich dem drohenden Urteil durch Flucht ins Exil. Seitdem verteidigte die Mehrheit immer wieder ihre Dummheit gegen eine kluge Minderheit. Was wahr und falsch ist, legte sie per Gesetz fest: Dass sich die Sonne um die Erde dreht, dass die Plan­wirtschaft dem Kapitalismus überlegen sei oder dass Europäer bessere Menschen sind als Schwarze und Juden. Der einzige Fortschritt: Dank der welt­weiten Medien gelangen mehr Beispiele für Dumm­heiten in unsere Wohn­zimmer.

Auch die Klugheit nimmt zu. Dafür gibt es hand­feste Beweise. Der wichtigste ist der Flynn-Effekt, benannt nach seinem Entdecker: Seit weltweit der Intelligenz­quotient gemessen wird, registrieren die Forscher ein stetes Wachstum des IQ. Das liegt vor allem an Nachhol­effekten. Die Zahl der Anal­phabeten und völlig Ungebildeten nahm stark ab. In einigen Industrie­ländern wächst der IQ seit zwanzig Jahren nicht mehr oder geht sogar leicht zurück. Im Welt­maßstab nimmt aber die Klugheit weiter zu. Das beweist auch der technische Fortschritt. Das Wissen der Menschheit wächst immer schneller. Das Problem ist nicht die fehlende Klugheit, sondern dass die Klugen von Dummen und Gleich­gültigen gehindert werden, ihr Wissen zum Wohl aller zu verwirklichen.

Es gibt nur soviel Dummheit, wie es Klugheit gibt. Warum können wir überhaupt Menschen als dumm bezeichnen? Weil wir wissen, was Klugheit ist. Die Klugheit liefert den Maßstab, an dem wir den Grad der Verblö­dung messen. Leider gilt auch die Umkehrung. Wir können Einstein & Co. nur deshalb als klug bezeichnen, weil wir an den Dummen einen Maßstab für unsere Bewertung haben. Wüssten wir nicht, was Klugheit ist, könnten wir auch niemanden als dumm bezeichnen. Dann wäre alle durch­schnittlich intelligent. Es gäbe keine Unterschiede zwischen den Menschen, was Wissen und Fähigkeiten betrifft.

Dumm sind immer die anderen. Nehmen wir an, Sie veranstalteten eine Umfrage unter allen Bürgern: „Halten Sie sich für dumm?“ Die Zahl derer, die diese Frage mit Ja beantworten, dürfte sehr gering sein. (Und es sind wahrscheinlich eher kluge Leute, die mit Ja antworten, weil sie die Grenzen ihres Wissens kennen.) Wer das so genannte Unter­schichten­fernsehen schaut, tut es meist nicht wegen der eigenen Blödheit. Sondern aus Schaden­freude. Man will sich über die Trottel amüsieren, die sich vor aller Welt blamieren. Zudem ersetzt es bei einsamen Menschen den fehlenden Klatsch und Tratsch, den in früheren Zeiten die Dorf­nachbarschaft am Garten­zaun geboten hatte.

Jeder ist ein bisschen dumm. Die Welt zerfällt nicht in die zwei Klassen der Dummen und Klugen. Auch den Klügsten unterlaufen gelegentlich sagen­hafte Dummheiten, über die sie hinter­her verwundert den Kopf schütteln. Umge­kehrt gelingen dümmeren Leuten auch mal kluge Aktionen. Die meisten von uns bilden ein Gemisch aus klug und dumm. Das gibt es den Professor, der nicht in der Lage ist, einen Nagel in die Wand zu schlagen oder sein Handy zu bedienen. Andere besitzen Witz und Schlag­fertigkeit, wenn es um alltags­praktische Dinge geht, sind aber hilflos, wenn sie ausrechnen sollen, wie viel sie bei einem Rabatt von zwanzig Prozent einsparen.

Lesen Sie bei uns auch:

Deppen-Alarm Sieben Reaktionen, mit denen die Dummen sich verraten

Literatur:
Harry G. Frankfurter: Bullshit. Suhrkamp Taschenbuch, € 4,99
Stefan Bonner, Anne Weiss: Generation Doof, Bastei Lübbe Taschenbuch, € 8,95

veröffentlicht im Mai 2015 © by www.berlinx.de

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