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Jeder glaubt intui­tiv zu wissen, was Liebe ist. Aber hat nicht jeder seine eigene Idee von der Liebe?  Selbst bei den Fach­leuten hat jeder eine andere Theorie. Von biolo­gischem Instinkt bis zu reli­giöser Versenkung reicht das Spek­trum ihrer Antworten. 

Egonet lädt zum Philo­sophieren über die Liebe ein.

Romeo liebt Julia. Der Geizige liebt das Geld. Die Mutter liebt ihr Kind. Stephanie liebt ihr Pferd Timmy. Der Patriot liebt sein Vaterland, der Dichter seine Muttersprache. Gläubige Christen lieben den „lieben“ Gott. So viele Liebende und so viele geliebte Wesen! Verbirgt sich hinter diesen vielen Spielarten etwas Einheitliches – „die“ Liebe?

Die Philosophen müssten es wissen. Sie tragen die Liebe in ihrem Namen. Das altgriechische Wort „Philosophie“ bedeutet „Liebe zu Weisheit“. Das unterscheidet den Philosophen vom bloßen Sophos, dem Weisen. Ein Sophos war in der Antike ein Lehrer, der kluge Sprüche und die Kunst, geschickt zu argumentieren, für teures Geld an den wohlhabenden adligen Nachwuchs verkaufte. Der Sophos behauptete, im Besitz der Weisheit zu sein. Dieser Anspruch war seinen Kunden viel Geld wert.

Der Philosoph ist dagegen jemand, der nach Weisheit sucht. Nicht der Besitz, sondern das ständige Streben ist sein Ziel. Seine Weisheit lässt sich nicht dauerhaft festhalten. Das Phänomen kennt jeder aus eigener Erfahrung: Kaum hat man Wissen erlangt, geht es schon wieder verloren. Es wird vergessen oder neue Erkenntnisse stellen altes Wissen infrage.

So ist es auch mit der Liebe. Wir versuchen, die Liebe als Besitz festzuhalten. Der Mann erobert die Liebste, sie heiraten und gründen eine Familie. Falls sie sich nicht bald wieder scheiden lassen, „besitzen“ sie einander. Wie in einem berühmten Werbespot, wo der Mann seine Fotos auf den Tisch knallt: „Mein Haus, mein Auto, meine Frau, meine Kinder.“

Doch heißt „einander besitzen“, dass sie sich nach Jahren noch lieben? Wenn es gut geht, weicht die Anfangs­leidenschaft einem Gefühl von Respekt und kameradschaftlicher Verbundenheit. Die Zufriedenheit, das Objekt der Begierde sicher eingefangen zu haben, ist Gift für die Leidenschaft.

Platon erzählte in seiner Schrift „Das Gastmahl“ eine berühmte Fabel. Einst waren die Menschen kugelförmig, sie hatten vier Arme und Beine. Die Götter hatten in ihnen vollkommene Wesen geschaffen. Doch vollkommene Wesen sind selbstzufrieden. Sie vermissen und begehren nichts – und niemanden. Sie vergaßen sogar, den Göttern mit Opfergaben zu danken. Erzürnt spaltete Göttervater Zeus diese Kugelmenschen in zwei Hälften. Nun fühlten sie sich unvollkommen und suchten nach ihrer verloren gegangenen anderen Hälfte. Von nun an opferten sie den Göttern, um ihre Hilfe bei der Suche zu erflehen.

Für Platon war die Liebe gleichbedeutend mit Suche nach Liebe. Das Gefühl bleibt lebendig, solange Hoffen und Bangen, Liebesfreud und Liebesleid dicht beieinander wohnen. Das Christentum steigerte Platons Liebessehnsucht mit dem Spruch „Geben ist seliger denn Nehmen“ (Apostel­geschichte, Kapitel 20, Vers 35) ins Jenseitige. Christliche Liebe sucht überhaupt nicht mehr nach irdischer Erfüllung. Der Gläubige spendet Liebe, ohne Gegenliebe zu erwarten.

Naturforscher erklären die Sehnsucht als Spiel der Hormone. Dopamin heizt die Leidenschaft an. Ein Serotoninmangel hält die Liebenden in Erregung, lässt sie keine Ruhe finden. Ist der Partner jedoch sicher eingefangen, tritt das Kuschelhormon Oxytocin auf den Plan. Gewöhnung lässt die Leidenschaft einschlafen. Serotonin und Dopamin kehren auf ihr Normalmaß zurück.

Richard David Precht zieht in seinem jüngsten Bestseller „Liebe – Ein unordentliches Gefühl“ mit gehässigen Worten über die Naturforscher her. Liebe sei etwas ganz anderes als sexuelles Begehren. Nur – warum kommt dann zwischen Mann und Frau Liebe ohne sexuelles Begehren so selten vor? Übrigens hält auch Precht am Besitzenwollen der Liebe fest und lässt an der christlichen Entsagung kein gutes Haar.

Die philosophische Weisheit führt zu einem Paradox: Sobald du deine Liebe in Besitz genommen hast, beginnt sie zu verschwinden. Sie wächst und gedeiht nur, solange du sie noch nicht erlangt hast. Das hat die Liebe mit dem Glück gemeinsam. Auch das Glück lässt sich nicht festhalten. Gewöhnung lässt uns bald schon nach einer höheren Glücksdosis streben. Doch es gibt durchaus Möglichkeiten, Liebe lebendig zu halten. Das beweist zum Beispiel die Mutterliebe.

Die Mutterliebe lebt vom Bangen um die Sicherheit ihres Kindes, aber auch von der ständigen Veränderung ihres Liebesobjekts. Das Kleinkind wird selbständig, entzieht sich immer mehr ihren Umklammerungs­versuchen. Es baut sich eine eigene Welt auf. Das Kind verändert sich, wird von Tag zu Tag ein anderes Wesen. Die Mutter muss die Liebe ihres Kindes ständig neu erobern.

Dieses Bangen, dieses „Nie ans Ziel gelangen“ hält nicht nur die Mutter bei ihrem Kind, sondern auch Sammler am Sammeln und die Geliebte bei ihrem verheirateten Geliebten. Es lässt Menschen nach der idealen Liebe suchen und verhindert, dass sie sich mit einem erreichbaren Partner zufrieden geben. Ist die dauerhafte Liebe als Paar unmöglich?

Zahlreiche Beispiele beweisen das Gegenteil. Allerdings kommt das Dauerglück zu zweit nicht von allein. Die „ewige“ Liebe verlangt (philosophische) Lebensweisheit und ständiges Bemühen. Das sind ihre zentralen Regeln:

Realismus: Wer weiß, was Liebe kann und was nicht, hat bessere Karten. Liebe kann über Jahre romantische Elemente bewahren. Die Leidenschaft wird jedoch nachlassen. Kluge Liebende genießen die Veränderung zu Kameradschaft und intimer Vertrautheit als etwas Positives.

Aufmerksamkeit: Liebevolle Rituale pflegen und einander wichtig nehmen. Den anderen nie als selbstverständlichen Besitz betrachten – er könnte sich durchaus neu verlieben und von dannen ziehen.

Krisen: Jedes Paar wird im Laufe der Jahre vor Bewährungsproben gestellt. Statt gegeneinander zu streiten, einvernehmliche Lösungen suchen. Die durchstandene Erfahrung sollte beide Partner stärker aneinander binden.

Gemeinsamkeiten: Die Geburt von Kindern schwächt Paare, bei denen es kriselt. Wahrhaft Liebende dagegen stärkt die gemeinsame Liebe zu ihren Kindern. Doch auch gemeinsame Aufgaben in der Arbeit, bei Hobbys, beim Hausbau oder bei der Pflege von Freundeskreisen können Paare stärker verbinden.

Suche: Auch Liebende, die einander endgültig gefunden haben, sollten ihre Sehnsüchte pflegen. Nicht jeder für sich, sondern als Paar. Welche Leidenschaft teilen beide miteinander? Wobei jeder erfüllte Traum nur eine Zwischenetappe auf dem Weg zu neuen Zielen sein sollte.

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veröffentlicht im November 2009 © by www.berlinx.de

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