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Lange Zeit galt Heimat als spießig und be­schränkt, der mo­der­ne Mensch streb­te in die Fer­ne. In­zwi­schen geht der Trend zu Nä­he und Ver­trau­theit.

Was steckt da­hin­ter?

Das Wort „Heimat“ ist ein urdeutsche Er­fin­dung. Die mei­sten an­de­ren Völ­ker ken­nen le­dig­lich Geburts- und Vater­land. Doch „Heimat“ bedeutet mehr als Herkunft. Sie steht für Geborgenheit, Vertrautheit und Sehnsucht nach verlorener Kindheit.

Als die Welt sich in ein globalisiertes Dorf verwandelte, galt Heimat als veraltet. Das Fernweh zog uns nach Bali und Thailand. Unsere Filme kamen aus Hollywood. Das Zentrum der Malerei war zuerst Paris, dann New York. Die Rockmusik kam aus Groß­britannien. Unsere Mode bezogen wir aus Mailand und Rom. Lediglich der Fußball blieb deutsch.

Inzwischen erlebt die Heimat eine erstaunliche Wieder­geburt:

  • Wer „in“ ist, fliegt nicht mehr in die Ferne, sondern wandert durch deutsche Wälder.
  • Die erfolgreichsten Krimis spielen nicht mehr in Chicago, sondern in der Eifel.
  • Soviel deutschsprachige Nummer-Eins-Hits wie in jüngster Zeit gab es nicht mal in den 1960er Jahren, als der deutsche Schlager blühte.

Der Wandel hat vor allem drei Ursachen:

  • Globalisierung führt zu einer weltweiten Einheits­kultur ohne lokale Wurzeln. Wir vermissen das Besondere, das unseren Lebens­raum von anderen Kulturen unter­scheidet.
  • Die Mobilität des Arbeitsmarktes treibt uns von Ort zu Ort. Uns fehlt die Verwurzelung in einer Region, mit der wir uns identi­fizieren dürfen.
  • Mit dem neuen Terrorismus wirkt die Fremde zunehmend bedrohlich. Die Nachrichten sind voll von Attentaten und Entführungen. Die vertraute Umgebung ist nicht mehr langweilig, sondern sicher.

Heimat ist zunächst der Ort der Kindheit. Mit ihm verbinden wir nicht nur optische Eindrücke, Düfte und Geräusche, sondern vor allem Gefühle. Dort empfingen den prägenden Eindruck, was Wirklichkeit ist. Alle späteren Erfahrungen messen wir an dem ersten Ort. So wie wir auch späteren Sprach­erwerb über unsere Mutter­sprache erlangen. Traditionell umfasst die Heimat:

  • Die engere Nachbarschaft: Menschen mit ähnlichen Erfahrungen, Werten und dem gleichen Dialekt.
  • Die Landschaft mit Dorf, Kreisstadt, Fluss, Hügeln und Architektur.
  • Die soziale Ordnung – man gehört zur selben Schicht mit ähnlichem Einkommen und ähnlichen Sitten, was Sparsamkeit, Bildung, Kaufge­wohnheiten, Religion usw. betrifft.

In der Wirklichkeit ist dieses Ideal nur noch selten anzutreffen. Ein beträchtlicher Teil wächst in anonymen Großstädten auf, wo ein Heimatgefühl nur schwer aufkommen will. Zahlreiche Kinder wachsen überhaupt nicht an einem Ort auf, sondern ziehen mehrmals um. Daher kommt die Tendenz, Heimat nicht mit einem Ort, sondern einer größeren Region zu verbinden – mit Bayern, dem Rheinland, dem Osten oder der Küste. Oder sich gleich als Deutscher oder Europäer zu verstehen.

Je größer die Heimat, desto mehr geht ihre regionale Qualität verloren. Heimat verwandelt sich dann aus einer realen Landschaft in einen Sehnsuchtsort der Phantasie, in ein Utopia, was wörtlich „Nirgendwo“ bedeutet. Die Gefühle gelten dann einem Traumort. Ihn gibt es ebenso wenig wie den Traumprinzen als realen Ehepartner.

Aber vielleicht ist das gut so. Als die 68er sich von der Heimatliebe ihrer Eltern distanzierten, hatte das einen guten Grund. Was ihren Eltern Geborgenheit nach dem verlorenen Weltkrieg gab, bedeutete für die Kinder Gefangenschaft in einem muffigen Wertesystem. Unsere neue Heimat­sehnsucht soll uns verwurzeln, ohne uns die Flexibilität zu rauben.

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veröffentlicht im Januar 2014 © by www.berlinx.de

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