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Was tun, wenn der Mitmensch stört?

Wir sollen unsere Nächsten lieben wie uns selbst. Aber wie, wenn sie drängeln, laut telefonieren und sich rücksichts­los benehmen?

Annette hat heute eine wichtige Be­sprechung. Zum Glück hat sie während der Busfahrt zwanzig Minuten Zeit, ihre Unter­lagen noch einmal durch­zugehen. Sie erwischt sogar einen Sitzplatz. Glück gehabt! Sie öffnet ihre Mappe und beginnt mit dem ersten Punkt. Da kräht ihr von hinten eine laute Stimme ins Ohr: „Nein, Alter, du störst überhaupt nicht. Ich sitze im Bus. Nichts los. Ich bin gerade Ecke Wagnerplatz …“

Annette erblickt hinter sich einen Kerl Ende zwanzig, mit einem nagelneuen Smart­phone am Ohr. Sie versucht wegzu­hören, da zückt das Mädchen, das neben ihr sitzt, ebenfalls ein Handy: „Wie war das gestern auf der Party? Wie lang bist geblieben? Hat der Finsterling tatsächlich versucht, dich abzu­schleppen? Nein, ich hab Dschungel­camp geguckt …“

Mit einem lauten Seufzer klappt Annette ihre Mappe zu. Da tröstet es sie wenig, dass sie mit ihrem Schicksal nicht allein ist. Laut aktuellen Umfragen nervt lautes Telefo­nieren in der Öffent­lichkeit drei Viertel aller Deutschen. Drängeln und freches Benehmen stören ebenso viele. Hat sich unser Land tatsächlich in eine Rüpel­republik verwandelt?

Ärger über unhöfliches Benehmen gab es schon immer. Vor fünfzig Jahren fühlten sich die Bürger eher gestört von Kaugummi­blasen, lautes Kofferradio hören und fettigen langen Haaren. Wäre Höflichkeit selbst­verständlich, müsste niemand sie einfordern. Schlechtes Benehmen gab es schon immer. Nur die Formen der Unhöflichkeit veränderten sich im Laufe der Zeit.

Sind wir rüpelhaften Umgangs­formen hilflos ausgeliefert? Viele geben die Unhöf­lichkeit mit gleicher Münze zurück. Du drängelst? Das kann ich besser. Unter der Mehrheit, die sich beklagt, befinden viele, über die sich wiederum andere beklagen.

Wie du mir, so ich dir – dieses Prinzip eignet sich höchstens, um kurz­fristig Luft abzulassen. Lang­fristig schaukeln sich die Rüpel gegenseitig hoch. Du telefonierst laut? Ich telefoniere lauter! Klüger ist es, sich abzuschotten, zum Beispiel durch Kopfhörer, die Ihr individuelles Musik­programm übertragen.

Sie wollen sich zur Wehr setzen? Die Gesprächs­psychologie empfiehlt, zwei Regeln zu beachten:

Sagen Sie dem Stören­fried nicht, wie er sich verhalten soll. „Telefonieren Sie gefälligst leiser!“ „Behalten Sie Ihre Ellenbogen bei sich!“ Solcher Protest macht dem spontanen Ärger Luft, bringt aber nichts. Befehle reizen den Angespro­chenen zum Widerstand. Er pflaumt zurück. Wenn Sie sich das nicht gefallen lassen, kann daraus schnell eine Prügelei werden.

Sagen Sie, was Sie stört und dass es Sie stört. „Es ist mir unan­genehm, Ihr Privat­leben mit anzuhören.“ Oder: „Ich möchte lesen. Ihr lautes Reden stört mich.“  Die Umsitzenden werden beifällig nicken: Endlich spricht einer aus, was ich mich nicht getraut habe zu sagen. In dieser Form ange­sprochen, ergreift der Stören­fried entweder die Flucht oder sagt ins Telefon: „Ich muss Schluss machen, die Tante mir gegenüber nervt.“

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veröffentlicht im Mai 2014 © by www.berlinx.de

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