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Dauerndes Glück, wer kennt das schon. Befragen Sie Ihre Bekannten, wann Sie wirklich glücklich waren, und sie werden Ihnen wenige Höhepunkte Ihres Lebens nennen – Glücksmomente. Mit dieser Form zeitlich begrenzten Glücksempfindens schließt EGONet den dreiteiligen Beitrag zum Thema „Glück“ ab.

„Dürft ich zum Augenblicke sagen, verweile doch, du bist so schön.“ So beschrieb Goethes Faust das Ziel seines Glückstrebens. Goethe freilich gestand seinem Mitarbeiter Eckermann, daß er in mehr als drei Jahrzehnten „keine vier Wochen eigentliches Behagen gehabt“ habe. Bismarck reduzierte die zeitliche Dauer seines Glückserlebens sogar auf weniger als einen Tag. Und man kann nicht einmal sicher sein, daß diese Zahl stimmt. Denn ältere Leute neigen dazu, in der Rückschau auf ihr Leben selbst unangenehme Erlebnisse in der Erinnerung zu verklären. Wie jeder bestätigen kann, der seine Großeltern von den guten alten Zeiten hat reden hören.
 
Dennoch gibt es sie – die Glücksmomente. Sie sind sogar die häufigste Form des Glücks. Denn jeder kann sich wenigstens an zwei, drei Erlebnisse erinnern, bei denen er rundherum glücklich war. Für den einen war es die Heirat oder ein erstaunlich gut bestandenes Examen, für den andern ein Moment der Ruhe in einer wunderbaren Landschaft oder ein begeisternder Kunstgenuß. Daran sieht man schon, daß es keine allgemeingültiges Rezept gibt. Was jemand als Moment höchsten Glücks empfindet, ist von der inneren Empfänglichkeit des einzelnen abhängig.
 
Daraus ergibt sich auch, warum die Erinnerung nachträglich banale Erlebnisse zu Glücksmomenten aufbauscht oder umgekehrt glückliche Stunden zu Quellen des Unglücks umwertet. Die Erinnerung beurteilt die Vergangenheit immer vom Standpunkt der Gegenwart, auch auf der Gefühlsebene. Einst fühlten Sie sich vielleicht toll, als Sie auf einer Reise einen tollen Mann oder eine tolle Frau kennenlernten. Aber da der- oder diejenige Sie später gemein betrogen und schnöde verlassen hat, erinnern Sie sich an die erste Begegnung bestenfalls noch mit einem zwiespältigen Gefühl.
 
Daß wir nachträglich durchschnittliche Stunden zu glücklichen Momenten erheben, liegt daran, daß die Konflikte von damals ausgestanden sind. Die Unsicherheiten und quälenden Gefühle von einst wirken nicht mehr. Dadurch erscheint leicht die Kindheit als harmonische Idylle. Die Gegenwart mit ihren Spannungen und unausgestandenen Problemen wirkt daher wie ein Verlust an Ruhe und Geborgenheit. Die Vergangenheit ist sicher, weil bekannt, die Zukunft unsicher und eine Quelle möglicher Gefahren.
 
Wer Glücksmomente erleben will, muß sich statt in der Vergangenheit in der Gegenwart Erfüllung suchen.
Das zeichnet Glücksmomente aus:
  • Sie sind selten.
  • Sie sind von einem erhebenden Gefühl begleitet, das sie aus dem Alltagseinerlei heraushebt.
  • Für kurze Zeit fallen Zweifel, Ängste und unangenehmer Erinnerungen von Ihnen ab. Sie geben sich ganz dem augenblicklichen Erleben hin.
  • Sie fühlen sich eins mit der Welt. Die Konflikte Ihres Lebens scheinen bedeutungslos.
  • Sie fühlen sich erfolg- und siegreich. Es scheint, als könne Ihnen niemand etwas anhaben.
  • Diese grandiose Stimmung dauert nicht an. Es tritt ein Gewöhnungseffekt ein. Der Alltag holt sie mit neuen Eindrücken in die Wirklichkeit zurück.
  • Wenn Sie versuchen, das Hochgefühl zu erneuern, müssen Sie das Erfolgserleben weiter steigern – was in aller Regel mißlingt.
 
ist die Fähigkeit, Glücksmomente zu erleben, sehr ungleich verteilt. Das Leben glücklicher Menschen setzt sich aus vielen fröhlichen Einzelstunden zusammen. Unglückliche Menschen scheinen dagegen immer nur Pech zu haben.
 
Da bekanntlich ein dickes Bankkonto nicht unbedingt froh und Armut nicht unbedingt traurig macht, muß die Quelle glücklicher Erlebnisse in uns selbst liegen. Es kommt nicht so sehr darauf an, was, sondern wie man etwas erlebt.
 
Beobachten Sie einmal sich und andere auf dem Weg in den Urlaub, beispielsweise – um kein zu ausgefallenes Beispiel zu wählen – bei einer Flugreise nach Mallorca. Da stürmen Familien mit viel Gepäck und in Eile in den Flughafen. Sofort beginnt der Ärger. Da steht schon eine lange Schlange. Mutter ist nervös und nervt den Vater, ob er Pässe und Tickets griffbereit hat.
„Ja ja“, sagt er, „es dauert mindestens eine halbe Stunde bis wir dran sind.“
„Erinnere dich bloß an letztes Jahr …“
„Was willst du damit sagen?“
Wir erfahren es nicht mehr, denn die kleine Tochter muß ausgerechnet jetzt auf die Toilette. Mutter schimpft: „Konntest du nicht zu Hause gehen? Jetzt mußt du aushalten.“
Kurz bevor die Familie mit der Abfertigung an der Reihe ist, jammert die Kleine: „Ich mach gleich in die Hose!“
Ergeben, mit zum Himmel verdrehten Augen, zieht die Mutter mit ihn los, eine Toilette zu suchen. Vater läßt andere Leute in der Schlange vor. Die Aufmerksamkeit ist ihm sehr peinlich. Der Sohn hat am Kiosk zwanzig Meter weiter eine Modellbauzeitschrift entdeckt, die Vater ihm letzte Woche versprochen hat, sobald sie erscheint. Er will sie unbedingt haben.
„Aber doch nicht jetzt!“ ruft der Vater.
„Du hast es versprochen!“ quängelt der Sohn.
Die Geschichte ließe sich fortsetzen mit dem Streit im Flugzeug um die Fensterplätze, Beschwerden wegen der Bordverpflegung, Ärger bei der Ankunft, weil der Bus zum Hotel auf sich warten läßt …
 
Hoffentlich haben Sie, während Sie den Kopf schüttelten über diese zankenden vier Leutchen, nicht die andere Familie übersehen, ein Stück weiter hinten in der Schlange. Während der Vater sich mit dem Gepäck anstellt, geht die Mutter mit beiden Kindern an andern Schaltern vorbei. Sie lesen die Namen der Städte und versuchen die zugehörigen Länder zu erraten. Und dann das Starten und Landen der Flugzeuge, die man durch die Glasfront beobachten kann! Die Familie fliegt nicht das erste Mal, aber es ist immer wieder ein tolles Erlebnis! Später, an Bord, bemerken sie gar nicht, daß das Essen auf sich warten läßt. Da sind die bizarren Wolken, die kleinen Städte tief unten, die ab und zu durch die Lücken des weißen Teppichs blitzen …
 
So trivial die Gegenüberstellung dieser beiden Familien auf Sie wirken mag – sie beschreibt genau, was die einen befähigt, Glücksmomente zu erleben, und die anderen daran hindert. Es ist die Kunst der Kontemplation, die Begabung, sich ganz dem gegenwärtigen Augenblick hinzugeben. Ohne Machtkämpfe auszutragen, ohne zu kritisieren, ohne ständig alles an den eigenen (oft unrealistischen) Zukunftserwartungen und früheren Erlebnissen zu messen.
 
Eine kleine Übung hilft. Wenn Sie merken, daß die schlechte Laune Sie mit Beschlag belegt, suchen Sie sich einen Platz, wo Sie zwei, drei Minuten für sich sind setzen Sie ein künstliches Lächeln auf. Konzentrieren Sie Ihr Denken allein auf das Aufrechterhalten dieses Lächelns, mindestens eine Minute lang. Sie werden merken, daß sich Ihre Laune spürbar bessert, und vor allem – daß Sie den Ärger von eben mit größerem innerem Abstand betrachten können.
 
Auch Kontemplation läßt sich lernen. Dreimal am Tag fünf Minuten Pause nutzen und die Aufmerksamkeit auf einen angenehmen Gegenstand konzentrieren. Schauen Sie unentwegt diesen Gegenstand an: eine Blume, einen Apfel, eine Kerzenflamme. Wenn Ihre Gedanken von dem Gegenstand wegschweifen, kehren Sie ruhig zu diesem Gegenstand zurück. Nach zwei Wochen wird es Ihnen gelingen, ohne sich ablenken zu lassen, die Aufmerksamkeit fünf Minuten lang auf das Objekt Ihrer Kontemplation zu konzentrieren.
 
Seit der Antike haben Philosophen die Fähigkeit, glückliche Augenblicke zu erleben, untersucht. Sie hängt von der Erwartungshaltung ab, mit der wir den Alltag meistern. Die acht zentralen Grundsätze lauten:
  • Leben Sie aktiv statt passiv. Probleme angehen statt untätig grübeln.
  • Hoffen statt fürchten.
  • An das Gute denken, was man hat, statt an das Unerreichbare, was man nicht hat.
  • Unangenehmen Menschen aus dem Weg gehen, statt sie ändern zu wollen.
  • Lösbare Probleme Schritt für Schritt angehen – aber mit Entschlossenheit.
  • Die Existenz unlösbarer Probleme als Teil der Wirklichkeit akzeptieren.
  • Mißerfolge mit Humor und als Gelegenheit zum Lernen nehmen.
  • Ärger, Unglück, Mißerfolg? Trotzdem lächeln! Wenn Sie ganz unten sind, kann es nur besser werden.
 
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