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Die Erfolgsgesellschaft in der Krise

Es ist noch nicht lange her, da galten Anleitungen zum schnellen Erfolg als der letzte Schrei. Der Euphorie folgte der Katzenjammer und mit ihm die Frage: Ist Erfolg überhaupt ein erstrebenswertes Ziel?

Kaum ein Monat vergeht, wo nicht im Fernsehen ein neuer Superstar gekürt wird. Quiz- und Talenteshows versprechen den kurzen Weg vom Niemand zum Helden der Nation. Solange es nur ein oder zwei Superstars gab, konnten sie ihr Versprechen noch halbwegs erfüllen. Zumindest für eine kurze Zeit. Doch inzwischen verlieren wir den Überblick. Wo Dutzende von Superstars gekürt werden, reicht dieser Titel auch nicht mehr, um sich aus der Masse heraus zu heben.

Martin Hecht, Publizist des SPIEGEL und überregionaler Zeitungen, hat Das große Jagen – so der Titel seines neuen Buches – kritisch unter die Lupe genommen. Er zeigt die Schattenseiten der massenhaften Jagd nach einem Logenplatz in der Gesellschaft auf. Wo Erfolg nicht mehr als Glückssache galt, sondern als erreichbares Ziel harter Arbeit, musste ein Gerangel ausbrechen, das nur wenige Gewinner, aber viele Verlierer hervorbrachte. Kurz, die Teilnehmer haben viel riskiert, aber nichts gewonnen.

Schlimmer noch: Wer sich von Anfang an im Verlierertum einrichtete, hatte es besser. Er musste keinen Absturz verkraften. Ein berühmtes Beispiel stammt aus dem 19. Jahrhundert. Damals, im Jahre 1867 verfasste der Franzose Maurice Joly eine der ersten Anleitungen zum schneller Erfolg, seine „Recherches sur l’art de parvenir“, auf deutsch kürzlich wiederveröffentlicht unter dem Titel Das Handbuch des Aufsteigers. Er war leider nicht in der Lage, seine eigenen Rezepte in die Tat umzusetzen. Das Buch blieb der letzte Erfolg seines Lebens. Den darauffolgenden Absturz in die Erfolglosigkeit verkraftete er nicht. 1878 beging er Selbstmord.

In Zeiten des Aufschwungs glaubten wir einen Moment lang, jeder könnte ein Gewinner sein. Der Aufwärtstrend schien allen eine Nische persönlichen Erfolgs zu bieten. Die Krise seit 2001 brachte die Gründe für diesen Irrtum an den Tag:

  • Erfolgsrezepte von Motivationstrainern verschleierten, dass zum Erfolg neben Anstrengung eine Portion Glück gehört.
  • Erfolgsstreben verwandelte sich durch diese Illusion in 60-Wochen-Stunden. In einer Zeit, wo der Bedarf an Arbeit ständig abnimmt, eine Sackgasse. Workaholics auf der einen Seite und Arbeitslose, die sich als Versager betrachten, auf der anderen.
  • Erfolg wurde zu einem Ziel an sich – Hauptsache, groß herauskommen, egal, womit. Doch die großen Helden der Vergangenheit feierten ihre Triumphe, weil sie sich für eine bestimmte Sache begeisterten und deshalb alle Kraft für sie einsetzen konnten. Erst danach stellte sich – bei einigen – Anerkennung ein.
  • Erfolg wurde verwechselt mit Prominenz. Ein Gelingen, das einen nicht in die Medien bringt, war höchstens die Hälfte wert. Die Folge: Nicht Leistung und Talent zählte, sondern Auffallen um jeden Preis.

Die Bilanz, die Martin Hecht zieht, ist daher niederschmetternd. Das Streben nach Erfolg hat mehr Schein als Sein hervorgebracht. Erfolgreich auszusehen wurde wichtiger als echte, nutzbringende Leistung. Karrieristen besuchten Benimm- und Rhetorikkurse, unterzogen sich Farb- und Stilberatungen, kauften sich ihren Doktortitel und gaben sich die Aura eines angepassten Querdenkers, der zwar gelegentlich widerspricht, aber nur so, wie der Chef es gerne hört. Das Gedränge dieser Leute an die Spitze brachte genau die Betrügereien hervor, die in den letzten Jahren Schlagzeilen machten:

  • Wirtschaftsbosse genehmigten Abfindungen in Millionenhöhe und sicherten sich Aufträge durch Bestechungen statt durch die Qualität ihrer Angebote.
  • Politiker halten die Hand auf und inszenieren sich medienwirksam. Ihre Reformen dagegen zeugen von peinlichem Dilettantentum: von der Gesundheitsreform bis zum LKW-Mautvertrag.
  • Wissenschaftler schönen und fälschen ihre Resultate, weil die Zahl der Veröffentlichungen entscheidet, wer Karriere macht. Nicht, ob sie wirklich etwas Neues entdeckt haben.

Wenn schon die Gewinner eine magere Bilanz aufzuweisen haben – wie sieht es dann erst mit den Verlierern aus? Wir denken meist zuerst an die Arbeitslosen. Doch auch wer im Routinejob auf der Stelle tritt, wer von der großen Liebe verlassen wird oder an andere Lebenszielen scheitert, fühlt sich in der Erfolgsgesellschaft als Versager. Sogar der Terrorismus ist letztlich eine Form, in dem sich der Trotz der Verlierergesellschaften gegen das ökonomische Diktat der Industrieländer wehrt.

Die Krise bietet uns eine Chance. Da der schnelle Weg nach oben nicht mehr funktioniert, gewinnen wir die Muße zu erkennen, was uns wirklich glücklich macht. Wer sich mit seinen Lieblingsinteressen befasst und das große Gerangel aus der Ferne mit Gelassenheit betrachtet, findet nicht nur den Lebensgenuss wieder. Er bewahrt sich auch die Hoffnung auf einen echten Erfolg: Zufriedenheit mit dem eigenen Leben und Anerkennung durch gute Freunde.

Unser Lesetipp:
Martin Hecht. Das große Jagen. Auf der Suche nach dem erfolgreichen Leben. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004 EUR 14,50.

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Die Kunst des Scheiterns. Auch Verlieren will gelernt sein.

April 2004 © by www.berlinx.de

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