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Hände weg Fleisch und Süßem, her mit Körnern und Gemüse? Was gesund klingt, hat ein US-Mediziner unter dem Namen Orthorexie als Krankheit diag­nostiziert. Warum maßvoll sündigen besser ist als zwang­hafte Abstinenz, erfahren Sie bei Egonet.

Fetter Gänse­braten zu Weih­nachten, dazu jede Menge Süßig­keiten, Wein und Sekt zu Silvester – wer möchte schon auf solche Genüsse verzichten? Da würde während der Feier­tage keine fröhliche Stimmung aufkommen. Doch schnell meldet sich das schlechte Gewissen. Wie viele Wochen muss ich nun darben, um die Sünden wieder auszugleichen? Entwarnung! Nach neuen Studien ist die Schlemmerei gesünder als strikte Enthaltsamkeit.

Die Mehrheit von uns glaubt, vor hundert Jahren hätten sich die Menschen gesünder ernährt. Doch die Forschung zeigt: Noch nie waren die Menschen so gut ernährt wie heute. Vitamin- und Nährstoffmangel waren damals häufig, heute kommen sie kaum noch vor. Trotz wachsendem Übergewicht steigt die Lebenserwartung weiter.

Allerdings ist das ein Durchschnittswert. Die Bevölkerung ist geteilt. Auf der einen Seite die Fast-Food-Junkies, auf der anderen Seite die Fans von Müsli und Biokost. Zu den letzteren gehören auffällig viele Ernährungsberater. Sie neigen dazu, den Segen ihrer Ernährungspläne viel zu positiv darzustellen. Das berichtete Udo Pollmer („Lexikon der populären Ernährungsirrtümer“) kürzlich im Deutschlandradio.
Auch der amerikanische Arzt Steven Bratman gehörte lange Zeit zu den Anhängern gesunder Ernährung. Bis er vor zehn Jahren feststellte, dass alle seine Gedanken zwanghaft nur noch um das richtige Essen kreisten. Bei Gleichgesinnten in seinem Umfeld entdeckte er ähnliche Symptome. Er erkannte darin eine neue Form der Essstörung. Er nannte sie Orthorexie – der Begriff setzt sich aus den griechischen Wörtern „richtig“ und „Appetit“ zusammen.

Ob wir es wirklich mit einer neuen Krankheit zu tun haben, ist unter den Fachleuten umstritten. Eins steht jedoch fest: Nicht nur diätwillige Dicke versuchen, ihr Essverhalten zu kontrollieren. Auch zahlreiche Fans pflanzlicher Ernährungslehren folgen nicht ihrem Appetit, sondern einem streng überwachten Speiseplan. Sie verbieten sich zahlreiche Genüsse. Und es gibt keinen Beweis, dass sie wirklich gesünder leben. Im Gegenteil: Menschen mit leichtem Übergewicht haben eine höhere Lebenserwartung als Superschlanke.

Was ist nun richtig? Welchem Ernährungsplan sollen wir folgen? Keinem. Das beste Rezept lautet: Maßvoller Genuss. Folgende Fakten werden oft unterschlagen:

  • Die meisten Menschen vertragen Rohkost nur in Maßen. Mindestens die Hälfte sollte gegart werden. Darauf sind wir seit der Bändigung des Feuers in der Steinzeit biologisch eingerichtet.
  • Industrienahrung ist nicht grundsätzlich schlecht. Tiefkühlkost enthält oft mehr Vitamine als frisches Gemüse. Lediglich Fertiggerichte mit vielen Geschmacksverstärkern sollte man meiden.
  • Die meisten Gesundheitstipps gelten nicht für jedermann. Wer an Gicht oder Rheuma leidet, sollte auf Fleisch verzichten. Die übrigen gewinnen einige wichtige Vitamine und Mineralstoffe leicht aus (magerem) Fleisch, aber kaum aus Pflanzen. Grüner Tee wiederum soll vor Brustkrebs schützen – das gilt aber nur für eine kleine Gruppe von Frauen, denen ein bestimmtes Enzym fehlt.
  • Abwechslungs­reiche Ernährung ist gesünder als jedes noch so gesunde einseitige Prinzip.
  • Genuss ist ein wichtiger Gesundheitsfaktor. Dazu gehört auch der Selbst­belohnungs­effekt eines guten Essens: „Heut habe ich mir mal was Gutes gegönnt.“
  • Reichlich essen und sich zum Ausgleich körperlich anstrengen ist viel gesünder als Pfunde kontrollieren durch kalorienarmes Essen. Ein Mindestmaß an Zucker und Fetten sind lebensnotwendig.

Dass wir am Jahresende mehr Kalorien zu uns nahmen als sonst, hat übrigens seinen guten Sinn. Das festliche Essen gleicht die Folgen des vorweih­nachtlichen Stress aus. In der Regel genügt es, am Jahres­anfang einen Gang zurückzuschalten, um wieder das rechte, gesunde Maß zu finden.

Mehr Informationen:
Günter Reich, Silke Kröger: Essstörung – gesunde Ernährung wieder entdecken. TRIAS Verlag, € 17,95

Veröffentlicht im Januar 2008 © by www.berlinx.de

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