Welche Lebensweise verspricht mehr Glück?

Etwas Besonderes sein, einmal im Licht der Öffentlichkeit stehen – für Tausende ist das ein Lebenstraum. Die wenigen, die ihn verwirklichen: Führen Sie wirklich das bessere Leben? Egonet über die Psychologie der Exklusivität.

Jana ist Krankenschwester, verheiratet, ein Kind. Ihr Mann verdient als Lehrer recht gut. Sie hat schon daran gedacht, ihren Beruf an den Nagel zu hängen. Aber da sie gerade ein Haus gebaut haben, kann das Ehepaar von ihrem Gehalt recht gut den Baukredit abzahlen. So will sie noch einige Jahre weiter machen. Aber dann wollen beide gern ein zweites Kind. Das einzige Karriereziel, das Jana verfolgt, ist ein Leben als Hausfrau und zweifache Mutter.

Jana war schon immer Mittelmaß. In der Schule, in der Sportgruppe, in ihrem Aussehen. Ihr Gesang eignet sich höchstens für die Dusche und fröhliche Familienfeiern, Dennoch zögert sie zuzugeben, dass sie absoluter Durchschnitt ist. Durchschnitt und Mittelmaß sind Tabus geworden. „Sie ist Durchschnitt“ klingt abwertend. Man möchte automatisch das Wörtchen „nur“ einfügen. Jeder will heutzutage außergewöhnlich, herausragend, etwas Besonderes sein. „Erfolg“ ist gleichbedeutend mit „ein Star werden“ oder zumindest „auf einem Gebiet alle anderen überrunden“. Kinder großziehen und ein normales Leben führen, gilt nicht als Erfolg. Obwohl es immer mehr Leute gibt, die an dieser Alltagsaufgabe scheitern.

Die statistische Normalverteilung – die berühmte Gaußsche Glockenkurve – ergibt, dass sich mindestens 75 Prozent der Bevölkerung im Mittelfeld bewegen. Sie sind weder Stars noch Versager. Klar, jeder von ihnen hat seine Talente, Macken und ist irgendwie einzigartig, da nicht einmal Zwillinge zu hundert Prozent identisch sind. Aber herausragende Sportasse, Kunsttalente oder Intelligenzbestien sind nur wenige. Sonst wäre das Besondere ja nicht Besonderes.

Tatsache ist: Nichts Besonderes zu sein, macht viele unzufrieden. Sonst wäre nicht zu erklären, warum Millionen sich abrackern, nur um andere auszustechen. Sie trainieren bis zum Umfallen, leisten 80-Stunden-Wochen, vernachlässigen ihr Privatleben, schuften bis zum Burnout. Zum Glück sind die Normalos in Überzahl. Menschen, die pünktlich zur Arbeit kommen, aber sie genauso pünktlich auch wieder beenden.

Der Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow hat in seinem Buch Celebrities das Leben der Stars unter die Lupe genommen und die These aufgestellt: Wer berühmt wird, leidet unter dem Borderline-Syndrom. Das ist eine Persönlichkeitsstörung, die in exzentrischem, selbstzerstörerischem Verhalten gipfelt. Nicht der Ruhm zerstöre die Psyche der Stars, sondern weil sie gestört sind, werden sie Stars. Eine moderne Version der alten These, dass Genie und Wahnsinn nahe beieinander liegen. Beispiele findet er von Marilyn Monroe bis Robbie Williams reichlich.

Das ist sicher übertrieben. Es gibt von Paul McCartney bis Britney Spears auch zahlreiche Gegenbeispiele. Also Erfolgskarrieren, die sich vor allem aus Ehrgeiz, Talent, glücklichen Zufällen und viel Selbstdisziplin erklären. Aber Bandelow macht auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam. Das außergewöhnliche Leben ist nicht unbedingt das glücklichere Leben.

In „Mittelmaß“ steckt das Wort „Mitte“. Durchschnitt sein, heißt Extreme vermeiden. In östlichen Weisheitslehren geht es darum, seine Mitte zu finden. Sie empfehlen Ausgewogenheit, Gleichgewicht, innere Balance. Ein extremes Leben ist ein gefährdetes Leben. Ein Taumeln am Rande eines Abgrunds. Ein Star zu werden, ist ein Erfolg. Der Ehrgeiz, ein Star zu bleiben, ist ein Risiko. Irgendwann ist der erreichte Ruhm nicht mehr zu übertreffen, das Ende der Fahnenstange erreicht. Dann geht es abwärts. Ein Teil der Fans wendet sich neuen Idolen zu. Den Verlust des einstigen Ruhms gefasst zu überleben, verlangt viel seelische Stärke.

Um glücklich zu werden, empfiehlt die Psychologie genau die entgegengesetzte Strategie. Nicht ehrgeizig nach Erfolg in einigen Jahren streben und dafür lange Zeit Entbehrungen zu ertragen. Sondern: In den Tag hineinleben. Den Augenblick genießen. Kleine, realistische Ziele verfolgen. Freundschaften pflegen. Eine Balance zwischen Arbeit und Entspannung einhalten. Den Spalt zwischen Wünschen und Wirklichkeit möglichst klein halten. Extreme vermeiden.

Zugegeben, es sind die Ehrgeizlinge dieser Welt, die Erfindungen gemacht, Kunstwerke geschaffen und die Demokratie erstritten haben. Ohne sie säßen wir noch genügsam und zufrieden in unseren Urzeithöhlen. Gönnen wir also den Ruhmsüchtigen ihren Erfolg. Sie arbeiten daran, dass wir Mittelmäßigen unser ruhiges Durchschnittsleben immer besser genießen können.

Veröffentlicht im September 2006 © by www.berlinx.de

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